Der Weltkrieg am 19. September 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

Blick über Wilna
Blick über Wilna

 Der deutsche Heeresbericht:

Wilna besetzt

Großes Hauptquartier, 19. September.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Südöstlich von Bray (an der Somme) gelang eine ausgedehnte Sprengung in und hinter der feindlichen Stellung. In dem anschließenden, für uns günstigen Gefecht hatten die Franzosen erhebliche Verluste. Es wurden einige Gefangene gemacht.
Hart westlich der Argonnen wurden schanzende feindliche Abteilungen durch Artilleriefeuer unter schweren Verlusten zersprengt. Das lebhafte Artilleriefeuer dauert auf einen großen Teil der Front an.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg:
Der umfassende Angriff der Armee des Generalobersten v. Eichhorn gegen Wilna hat zu vollem Erfolge geführt. Unser linker Flügel erreichte Molodeczno, Smorgon und Wornjany. Versuche des Feindes, mit eilig zusammengerafften starken Kräften unsere Linien in Richtung auf Michaliski zu durchbrechen, scheiterten völlig. Durch die unaufhaltsam vorschreitende Umfassungsbewegung und den gleichzeitigen scharfen Angriff der Armee der Generale v. Scholtz und v. Gallwitz gegen die Front des Feindes ist der Gegner seit gestern zum eiligen Rückzug auf der ganzen Front gezwungen; das starkbefestigte Wilna fiel in unsere Hand. Der Gegner wird auf der ganzen Linie verfolgt.
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls Prinz Leopold von Bayern:
Auch hier wird der zurückgehende Feind verfolgt. Die Heeresgruppe erreichte die Linie Nienandowicze-Derewnoje-Dobromysl. Feindliche Nachhuten wurden geworfen.
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls v. Mackensen:
Nördlich von Pinsk ist die Wisliza erreicht. Südlich der Stadt ist der Strumen überschritten.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Die Lage ist unverändert.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Die "Frankfurter Zeitung" schreibt zur Einnahme von Wilna:

Wilna ist genommen, die einstige Hauptstadt des Großfürstentums Litauen, die von den Russen während des Krieges zur Festung umgewandelt worden und zur nachdrücklichen Verteidigung bestimmt war. Die Stadt, die am Zusammenflusse der Wileika und der Wilia in anmutiger, von Hügeln belebter Gegend liegt, zählte vor dem Kriege etwa 200000 Einwohner, unter denen zahlenmäßig die Juden vermutlich am stärksten waren, während Litauer und Polen folgten. Russen lebten in Wilna fast nur als Beamte, freilich in nicht geringer Zahl, da die Stadt Gouvernementssitz, wichtiger Eisenbahnknotenpunkt und Sitz eines Generalkommandos war, was als besondere Auszeichnung galt. Hier residierte vor dem Kriege General Rennenkampf. Ein römisch- katholisches Bistum bestand in der Stadt seit altersher, die Russen hatten noch ein griechisch-orthodoxes daneben errichtet.
Das Heidentum hat sich in Europa, außer in den Gegenden jenseits der Wolga, nirgends länger erhalten als in Litauen, wo Spuren der Pferdeverehrung noch im 16. Jahrhundert weiterlebten Der Ursprung Wilnas hängt mit diesem heidnischen Kulte zusammen, der schon in den ältesten Zeiten hier seinen Mittelpunkt hatte. Am Fuße des heutigen Schloßhügels, auf dem Großfürst Gedimin von Litauen die Burg erbaute, von der noch spärliche Trümmer stehen, brannte ein heiliges Opferfeuer. Schon 1323 wurde Wilna zur Stadt und Residenz erhoben; erst 64 Jahre später wurde hier das Christentum eingeführt. als der litauische Großfürst Wladislaw Jagiello König von Polen geworden war. Nun wurde Wilna, das aus einem von unaufhörlichen Kämpfen zwischen deutschen Rittern, russischen Großfürsten und tatarischen Horden erschütterten Boden stand, zur Stadt mit deutschem Recht. Noch heute stehen viele altertümliche Kirchen aus jener Zeit, manche davon wurde freilich später stark umgebaut, so auch die Kathedrale des hl. Stanislaus, die noch von Jagiello selber angelegt worden war.
Im Jahre 1578 erhielt Wilna eine Akademie, die später zur Universität ausgebaut, aber unter Alexander I. 1832 aufgehoben wurde. Die nächsten Jahrhunderte aber verzögerten die Entwicklung der Stadt, die unter den unaufhörlichen Kämpfen zwischen Schweden und Rußland schwer zu leiden hatte, auch von der polnischen Regierung vernachlässigt wurde. 1794 fiel Wilna an Rußland. Eine besondere Bedeutung erlangte die Stadt im russischen Feldzuge Napoleons, der hier während der Vorbereitung des Vormarsches sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte und auch aus der Flucht aus Moskau in Wilna weilte. Seit jener Zeit war Wilna russisch. Freilich lange haben die Russen den baulichen Charakter der Stadt nicht zu bestimmen vermocht, die auch jetzt noch ein Bild polnisch-westlicher Kultur bietet. Einige Denkmäler, von denen das der Katharina II., das der jüdische Bildhauer Antokolski schuf, und das des berüchtigten Gouverneurs Mucawiew, der den polnischen Aufstand 1863 in Blut und Feuer erstickte, die hervorragendsten sind, waren die wichtigsten Zeugen russischer Herrschaft. Als die russischen Behörden vor einiger Zeit die Stadt räumten, befahlen sie der Stadtverwaltung vor allem, diese Denkmäler zu hüten, für deren Beschädigung die Bürgerschaft verantwortlich gemacht werden sollte. Das wertvollste Kulturdenkmal Wilnas war bisher seine große, etwa 220000 Bände umfassende Bibliothek, die besonders auch für die Geschichte des östlichen Judentums wichtige Schätze enthielt. Über ihr Schicksal ist bisher noch nichts bekannt geworden.

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Gescheiterter italienischer Angriff bei Flitsch

Wien, 19. September.
Amtlich wird verlautbart:
Russischer Kriegsschauplatz:
In Ostgalizien verlief der gestrige Tag ruhig. Gegenüber unseren Linien an der Ikwa entwickelte der Feind stärkere Artillerietätigkeit. Im wolhynischen Festungsgebiet ging die Besetzung unserer neuen Stellung ohne Störung durch den Gegner von statten. Der aus Litauen zurückweichende Feind wird von den dort inmitten deutscher Armeen vordringenden k. und k. Streitkräften verfolgt.
Italienischer Kriegsschauplatz:
Gestern eröffnete die italienische schwere Artillerie neuerdings ein lebhaftes Feuer gegen unsere Werke auf den Hochflächen von Vielgereuth und Lafraun. Im übrigen ist die Lage im Tiroler und Kärntner Grenzgebiet unverändert. Der gegen den Raum von Flitsch angesetzte Angriff, der dem Feind im Talbecken allein über 1000 Mann kostete, ist gescheitert. Heute früh waren die vordersten Gräben bereits von den Italienern verlassen. Im Vrsicgebiet versuchte der Gegner unter dem Schutze des Abendnebels eine unserer Vorstellungen zu überfallen. Diese Unternehmung scheiterte vollständig. Gegen Mitternacht sprengten unsere Truppen die dort von den Italienern errichtete Mauer aus Sandsäcken samt den dahinter befindlichen Feinden in die Luft. Im Südwestabschnitt der Karsthöhe von Doberdo wurde die vergangene Nacht zur Sprengung feindlicher Sappen ausgenutzt.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 1)

 

Der türkische Heeresbericht:

Ein feindliches Transportschiff in Brand geschossen

Konstantinopel, 19. September.
An der Dardanellenfront griffen unsere Wasserflugzeuge den Hafen von Kefalo auf der Insel Imbros an und trafen ein großes feindliches Transportschiff, auf dem sofort Feuer ausbrach. Eine Wassersäule stieg gleichzeitig auf. - Bei Anaforta verjagten in der Nacht des 18. September unsere Erkundungsabteilungen diejenigen des Feindes und warfen mit Erfolg Bomben in die feindlichen Schützengräben. Sie erbeuteten Gewehre und Kriegsmaterial. Am 18. September beschoß unsere Artillerie wirksam die feindlichen Lager bei Kemikli Liman. Bei Ari Burun nichts Wichtiges.
Bei Sed ül Bahr brachte unsere Artillerie durch kräftige Erwiderung die feindliche Artillerie zum Schweigen, die unsere Stellungen im Zentrum beschossen hatte. Unsere Erkundungsabteilungen näherten sich den feindlichen Gräben bei Kerevisdere und warfen mit guter Wirkung Bomben. Unsere Küstenbatterien beschossen am Vormittag des 18. September die Lager und Stellungen der feindlichen Infanterie und Artillerie bei Sed ül Bahr. Bei einer Batterie schwerer Kanonen entstand eine heftige Explosion, und wir sahen eine Menge Ambulanzwagen nach diesem Orte eilen.
Am Nachmittag beschoß ein Kriegsschiff von der Klasse "Patrie" sowie die feindlichen Batterien des Festlandes bei Sed ül Bahr eine Stunde lang unsere Küstenbatterien, ohne Schaden anzurichten.

 

Der 1. Weltkrieg im September 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 3
Nationaler Verlag, Berlin (1916)

 

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