Der
österreichisch-ungarische Heeresbericht:
Przemysl
durch Hunger bezwungen
Wien,
22. März.
Amtlich wird verlautbart:
Nach viereinhalbmonatiger Einschließung am Ende ihrer Kräfte
angelangt, ist die Festung Przemysl am 22. März in Ehren gefallen.
Als die Verpflegungsvorräte Mitte dieses Monats knapp zu werden begannen,
entschloß sich General der Infanterie v. Kusmanek zum letzten Angriff.
Die Ausfallstruppen brachen am 19. März. zeitig morgens über
die Gürtellinie vor und hielten in siebenstündigem Gefecht gegen
starke russische Kräfte bis zum äußersten stand. Schließlich
zwang die Überlegenheit der Zahl zum Zurückgehen hinter die
Gürtellinie. In den folgenden Nächten gingen die Russen gegen
mehrere Fronten von Przemysl vor. Diese Kämpfe brachen gleich allen
früheren in dem Feuer der tapfer verteidigen Befestigungen zusammen.
Da nach dem Ausfalle am 19. März auch die äußerste Beschränkung
in der Verpflegungsration nur mehr einen dreitägigen Widerstand gestattete,
hatte der Festungskommandant mittlerweile den Befehl erhalten, nach Ablauf
dieser Frist und nach Vernichtung des Kriegsmaterials den Platz dem Feinde
zu überlassen. Wie ein Flieger der Festung meldete, gelang es tatsächlich,
die Forts samt Geschützen, Munition und Befestigungsanlagen zu zerstören.
Dem opfermutigen Ausharren und dem letzten Kampfe der Besatzung gebührt
nicht minderes Lob als ihrer Tapferkeit in den früheren Stürmen
und Gefechten. Diese Anerkennung wird auch der Feind den Helden von Przemysl
nicht versagen.
Der Fall der Festung, mit dem die Heeresleitung seit längerer Zeit
rechnen mußte, hat keinen Einfluß auf die Lage im Großen.
Bei der Feldarmee dauern die Kämpfe im Karpathenabschnitt vom Uzsoker
Paß bis zum Sattel von Konieczna an.
Der Stellvertreter
des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)
Feldmarschall Erzherzog
Friedrich
Wien,
22. März. (W. B.)
Feldmarschall Erzherzog Friedrich hat nachstehenden Armeebefehl erlassen:
"Nach
viereinhalbmonatigen, heldenmütigen Kämpfen, in denen der
rücksichtslos und zähe, aber stets vergeblich anstürmende
Feind ungeheure Verluste erlitt, und nach blutiger Abwehr seiner noch
in der letzten Zeit, insbesondere am 20. und 21. März Tag und Nacht
unternommenen Versuche, die Festung Przemysl mit Gewalt in die Hand
zu bekommen, hat die heldenmütige Besatzung der Festung, die noch
am 19. März mit letzter Kraft versuchte, den übermächtigen
Ring der Einschließung zu sprengen, durch Hunger bezwungen, auf
Befehl und nach Zerstörung und Sprengung aller Werke, Brücken,
Waffen, Munition und Kriegsmaterial aller Art die Trümmer von Przemysl
dem Feinde überlassen. Den unbesiegten Helden von Przemysl unseren
kameradschaftlichen Gruß und Dank. Sie wurden durch Naturgewalten,
nicht durch den Feind bezwungen; sie bleiben uns ein hehres Vorbild
treuer Pflichterfüllung bis an die äußerste Grenze menschlicher
Kraft. Die Verteidigung von Przemysl bleibt für alle Zeiten ein
leuchtendes Ruhmesblatt unserer Armee.
Feldmarschall
Erzherzog Friedrich." 2)
Die
"Frankfurter Zeitung" schreibt dazu:
Dreiundzwanzig Tage dauerte die erste Belagerung von Przemysl, in
der die Festung ihre ruhmvolle Aufgabe bis zur Entsetzung durch die österreichisch-ungarischen
Truppen erfüllen konnte. 70000 Russen sind damals den wütenden
Sturmangriffen zum Opfer gefallen, die Radko Dimitriew, der "Napoleon
des Balkans", gegen die feuerspeienden Batterien trieb. Fast ebenso
viele Wochen wie bei der ersten Belagerung Tage hat die zweite Einschließung
Przemysls gedauert. Sie war nicht so reich an blutiger Dramatik wie die
erste. In langsamer Aushungerung haben die Russen das bittere Ende herbeigeführt,
das sie in gewaltsamem Sturme zu erreichen verzweifeln mußten. Sicherlich
hat die russische Heeresleitung, die den Späher- und Spionagedienst
vielleicht zur höchsten Vollkommenheit entwickelt hat, den Zustand
der Festung genau gekannt und gewußt, wann die äußerste
Beschränkung der Lebensmittelration angeordnet werden musste. Sie
konnte "sitzen" und warten. Die technische Frage, ob die Artillerie
oder der Panzerschutz moderner Forts überlegen sei, wird somit durch
den Fall von Przemysl nicht entschieden; die Besatzung, deren prächtiger
Offensivgeist sich noch in den letzten Tagen durch wuchtige Ausfälle
geäußert hat, hätte die Festung noch länger gehalten.
Für alle diese Ereignisse dieses Krieges wird erst die Geschichte
die volle Verantwortlichkeit feststellen können. Sie kann aber auch
erst den Helden volle Gerechtigkeit zuteil werden lassen, deren Ausdauer
unter den widrigsten Umständen, angesichts des Hungers, wir nach
ihrem ganzen Umfange nur ahnen können. Bis zum letzten haben diese
Männer ihre Pflicht getan, sie haben die Festung selber und all ihre
Anlagen noch zerstört, bevor die habsburgische Fahne fiel.
Die Öffentlichkeit hatte das gute Recht, den Verteidigern Przemysls,
die die erste Belagerung mit unvergleichlichem Heldenmut überstanden
hatten, unbedingt zu vertrauen. Umso schmerzlicher wirkt die überraschende
Nachricht vom Falle der Festung. Die österreichisch-ungarische Heeresleitung
hat, wie sie mitteilt, schon seit einiger Zeit damit gerechnet. Ihre Aufgabe
hat die Festung freilich vollauf erfüllt; im Rahmen der großen
strategischen Operationen kam ihr kaum mehr irgend welche Bedeutung zu.
Die Verteidigung Ungarns liegt nicht mehr der Besatzung Przemysls ob,
sondern dem eisernen Wall auf den Karpathenpässen, der sich gegen
die dräuende Macht der Russen langsam aber unwiderstehlich vorschiebt,
dem Wall aus stählernen Waffen und eisenharten Männern. Eine
Festung kann in Ehren fallen, aber nicht in ihr liegt die lebendige Kraft
eines Landes. "Männer, nicht Mauern bilden eine Burg."
2)
|