Der Weltkrieg am 22. März 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Vertreibung der Russen aus Memel

Großes Hauptquartier, 22. März.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Ein nächtlicher Versuch der Franzosen, sich in den Besitz unserer Stellung am Südhang der Loretto-Höhe zu setzen, schlug fehl.
Auch in der Champagne nördlich von Le Mesnil scheiterte ein französischer Nachtangriff.
Alle Bemühungen der Franzosen, die Stellung am Reichsackerkopf wiederzugewinnen, waren erfolglos.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Aus Memel sind die Russen gestern nach kurzem Gefecht südlich der Stadt und nach hartnäckigem Straßenkampfe wieder vertrieben worden. Unter dem Schutz der russischen Truppen hat hier russischer Pöbel sich an Hab und Gut unserer Einwohner vergriffen, Privateigentum auf Wagen geladen und es über die Grenze geschafft. Ein Bericht über diese Vorgänge wird noch veröffentlicht werden.
Nördlich von Mariampol erlitten die Russen bei abgewiesenen Angriffen schwere Verluste.
Westlich des Orzyc, bei Jednorozek, und nordöstlich von Prasznysz, sowie nordwestlich von Ciechanow brachen russische Tag- und Nachtangriffe unter unserem Feuer zusammen. 420 Gefangene blieben bei diesen Kämpfen in unserer Hand.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Französische Flieger über Freiburg i. B.

Freiburg (Brsg.), 22. März. (Priv.-Tel.)
Heute nachmittag 4½ Uhr erschienen zwei feindliche Flieger und warfen am Schloßberg fünf und in Zähringen eine Bombe. In Zähringen wurde ein Kirchendiener leicht verletzt. Beim Orte Feldkirch wurde ein Flugzeug zum Landen gezwungen und zwei französische Unteroffiziere gefangen genommen.

Freiburg i. B. 22. März. (Priv.-Tel.)
Wie die "Freiburger Zeitung" berichtet, sind die französischen Flieger, die auf Freiburg Bomben warfen und dann zum Landen gezwungen und gefangen genommen wurden, Artillerie- und Alpenjäger-Offiziere. Ihr Flugzeug verlor infolge der Beschießung schon in Zähringen einen Teil des Schwanzes. Bei Schallstadt fiel auf einer Wiese ebenfalls eine Bombe nieder, die jedoch keinen Schaden verursachte. Offenbar suchten die Flieger sich des Ballastes zu entledigen, um wenn möglich noch die Grenze zu erreichen. Das gelang ihnen aber nicht.
2)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Przemysl durch Hunger bezwungen

Wien, 22. März.
Amtlich wird verlautbart:
Nach viereinhalbmonatiger Einschließung am Ende ihrer Kräfte angelangt, ist die Festung Przemysl am 22. März in Ehren gefallen.
Als die Verpflegungsvorräte Mitte dieses Monats knapp zu werden begannen, entschloß sich General der Infanterie v. Kusmanek zum letzten Angriff. Die Ausfallstruppen brachen am 19. März. zeitig morgens über die Gürtellinie vor und hielten in siebenstündigem Gefecht gegen starke russische Kräfte bis zum äußersten stand. Schließlich zwang die Überlegenheit der Zahl zum Zurückgehen hinter die Gürtellinie. In den folgenden Nächten gingen die Russen gegen mehrere Fronten von Przemysl vor. Diese Kämpfe brachen gleich allen früheren in dem Feuer der tapfer verteidigen Befestigungen zusammen.
Da nach dem Ausfalle am 19. März auch die äußerste Beschränkung in der Verpflegungsration nur mehr einen dreitägigen Widerstand gestattete, hatte der Festungskommandant mittlerweile den Befehl erhalten, nach Ablauf dieser Frist und nach Vernichtung des Kriegsmaterials den Platz dem Feinde zu überlassen. Wie ein Flieger der Festung meldete, gelang es tatsächlich, die Forts samt Geschützen, Munition und Befestigungsanlagen zu zerstören. Dem opfermutigen Ausharren und dem letzten Kampfe der Besatzung gebührt nicht minderes Lob als ihrer Tapferkeit in den früheren Stürmen und Gefechten. Diese Anerkennung wird auch der Feind den Helden von Przemysl nicht versagen.
Der Fall der Festung, mit dem die Heeresleitung seit längerer Zeit rechnen mußte, hat keinen Einfluß auf die Lage im Großen. Bei der Feldarmee dauern die Kämpfe im Karpathenabschnitt vom Uzsoker Paß bis zum Sattel von Konieczna an.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 1)

 

Feldmarschall Erzherzog Friedrich

Feldmarschall Erzherzog Friedrich

Wien, 22. März. (W. B.) 
Feldmarschall Erzherzog Friedrich hat nachstehenden Armeebefehl erlassen:

"Nach viereinhalbmonatigen, heldenmütigen Kämpfen, in denen der rücksichtslos und zähe, aber stets vergeblich anstürmende Feind ungeheure Verluste erlitt, und nach blutiger Abwehr seiner noch in der letzten Zeit, insbesondere am 20. und 21. März Tag und Nacht unternommenen Versuche, die Festung Przemysl mit Gewalt in die Hand zu bekommen, hat die heldenmütige Besatzung der Festung, die noch am 19. März mit letzter Kraft versuchte, den übermächtigen Ring der Einschließung zu sprengen, durch Hunger bezwungen, auf Befehl und nach Zerstörung und Sprengung aller Werke, Brücken, Waffen, Munition und Kriegsmaterial aller Art die Trümmer von Przemysl dem Feinde überlassen. Den unbesiegten Helden von Przemysl unseren kameradschaftlichen Gruß und Dank. Sie wurden durch Naturgewalten, nicht durch den Feind bezwungen; sie bleiben uns ein hehres Vorbild treuer Pflichterfüllung bis an die äußerste Grenze menschlicher Kraft. Die Verteidigung von Przemysl bleibt für alle Zeiten ein leuchtendes Ruhmesblatt unserer Armee.

Feldmarschall Erzherzog Friedrich." 2)

 

Die "Frankfurter Zeitung" schreibt dazu:
Dreiundzwanzig Tage dauerte die erste Belagerung von Przemysl, in der die Festung ihre ruhmvolle Aufgabe bis zur Entsetzung durch die österreichisch-ungarischen Truppen erfüllen konnte. 70000 Russen sind damals den wütenden Sturmangriffen zum Opfer gefallen, die Radko Dimitriew, der "Napoleon des Balkans", gegen die feuerspeienden Batterien trieb. Fast ebenso viele Wochen wie bei der ersten Belagerung Tage hat die zweite Einschließung Przemysls gedauert. Sie war nicht so reich an blutiger Dramatik wie die erste. In langsamer Aushungerung haben die Russen das bittere Ende herbeigeführt, das sie in gewaltsamem Sturme zu erreichen verzweifeln mußten. Sicherlich hat die russische Heeresleitung, die den Späher- und Spionagedienst vielleicht zur höchsten Vollkommenheit entwickelt hat, den Zustand der Festung genau gekannt und gewußt, wann die äußerste Beschränkung der Lebensmittelration angeordnet werden musste. Sie konnte "sitzen" und warten. Die technische Frage, ob die Artillerie oder der Panzerschutz moderner Forts überlegen sei, wird somit durch den Fall von Przemysl nicht entschieden; die Besatzung, deren prächtiger Offensivgeist sich noch in den letzten Tagen durch wuchtige Ausfälle geäußert hat, hätte die Festung noch länger gehalten. Für alle diese Ereignisse dieses Krieges wird erst die Geschichte die volle Verantwortlichkeit feststellen können. Sie kann aber auch erst den Helden volle Gerechtigkeit zuteil werden lassen, deren Ausdauer unter den widrigsten Umständen, angesichts des Hungers, wir nach ihrem ganzen Umfange nur ahnen können. Bis zum letzten haben diese Männer ihre Pflicht getan, sie haben die Festung selber und all ihre Anlagen noch zerstört, bevor die habsburgische Fahne fiel.
Die Öffentlichkeit hatte das gute Recht, den Verteidigern Przemysls, die die erste Belagerung mit unvergleichlichem Heldenmut überstanden hatten, unbedingt zu vertrauen. Umso schmerzlicher wirkt die überraschende Nachricht vom Falle der Festung. Die österreichisch-ungarische Heeresleitung hat, wie sie mitteilt, schon seit einiger Zeit damit gerechnet. Ihre Aufgabe hat die Festung freilich vollauf erfüllt; im Rahmen der großen strategischen Operationen kam ihr kaum mehr irgend welche Bedeutung zu. Die Verteidigung Ungarns liegt nicht mehr der Besatzung Przemysls ob, sondern dem eisernen Wall auf den Karpathenpässen, der sich gegen die dräuende Macht der Russen langsam aber unwiderstehlich vorschiebt, dem Wall aus stählernen Waffen und eisenharten Männern. Eine Festung kann in Ehren fallen, aber nicht in ihr liegt die lebendige Kraft eines Landes. "Männer, nicht Mauern bilden eine Burg."
2)

 

Die englischen Verluste bei Neuve Chapelle

Manchester, 22. März. (W. B.)
Der Londoner Korrespondent des "Manchester Guardian" erfährt von einer Seite, die die vorliegenden Berichte einsehen konnte, daß die gesamten Verluste der Engländer bei Neuve Chapelle 8000 bis 9000 Mann betragen haben. Über 1000 verwundete Inder seien bereits in England angekommen.

London, 22. März. (Priv.-Tel.)
Die Bestürzung über die außerordentlichen Verluste bei dem "Sieg" bei Neuve Chapelle kommt stets deutlicher in den Blättern zum Ausdruck. Die "Times" nimmt die Angelegenheit zum Anlaß, um sich über die wenig aufrichtige Art der offiziellen Berichterstattung durch den " Augenzeugen" zu beklagen. Sie schreibt: "Wir wollen nur einmal das Gefecht bei Neuve Chapelle betrachten. Es war ein Sieg, aber ein sehr teuerer Sieg. Wenn man dieses Ereignis in richtiger Weise dargestellt hätte, würde es für die gesamte Nation wie ein Trompetensignal zur neuen Kraftentwicklung gewirkt haben. Die offiziellen Mitteilungen haben allein Bezug auf den Sieg und in der geschicktesten Weise wurde über die Verluste geschwiegen. Wir bekamen Erzählungn, daß selbst die Verwundeten Triumphlieder sangen (englische Zeitungen haben sich die größte Mühe gegeben, durch die Abbildung lustiger verwundeter Engländer dem Publikum weiszumachen, wie fröhlich die Schlacht bei Neuve Chapelle gewesen sei. Anm d. Berichterstatters.) Wie mörderisch unser Artilleriefeuer gewirkt habe und Scharen von trostlosen deutschen Kriegsgefangenen, von deutschen Truppen, die wie Kornfelder niedergemäht waren, wurden gezeigt, aber man überließ es sich selbst durch mühsames Nachzählen in den Verlustlisten auszurechnen, daß wir bei Neuve Chapelle und St. Eloi offenbar mehr als 200 tote und mehr als 300 verwundete Offiziere hatten, wozu noch die bisher nicht veröffentlichte Verlustliste der Mannschaften kommt. Es wurde kein Versuch gemacht, uns zu zeigen, daß die Erfahrungen bei Neuve Chapelle dem Lande wie mit einem Blitzstrahl bewiesen haben, wie furchtbare Schwierigkeiten auf dem Wege liegen, den wir noch abzulaufen haben. Die Schilderung der Schlacht war durchaus in den schönsten Farben gehalten, der Pinsel des Erzählers war in die rosigsten Farben getaucht. Der empfangene Eindruck war, daß wir den Feind schlagen konnten, wenn wir wollten. Die richtige Art, unser Volk über den Vorfall von Neuve Chapelle auf dem laufenden zu halten, wäre gewesen, vollständig offenherzig zu sein. Man hätte der Nation sagen müssen, daß wir etwas gewonnen haben, wenn schon nur wenig, daß es aber der Mühe wert gewesen sei, daß unsere Truppe außerordentlich mutig gestritten hat, daß aber der von ihr bezahlte Preis über alle Maßen hoch war."
2)

 

Der 1. Weltkrieg im März 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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