Der Weltkrieg am 9. September 1914

 

Die Kämpfe im Westen

Paris, 9. September. (Priv.-Tel.)
Die offiziellen französischen Mitteilungen verschweigen bisher den Fall von Maubeuge. Die im Gang befindliche Schlacht gehe gegen Vitry- le-François fort. Im übrigen ist aus den französischen Meldungen über die einzelnen Phasen der Schlacht wenig Klarheit zu gewinnen, denn sie widersprechen einander häufig. So berichtet beispielsweise ein Bulletin vom 8. September nachmittags von einem Vordringen der Verbündeten vom Ourcq bis gegen Montmirail; ein acht Stunden später veröffentlichtes Bulletin spricht aber davon, daß die Franzosen noch am Ourcq stunden und dort von den Deutschen vergeblich angegriffen würden. In den Vogesen hätten die Franzosen die Gipfel Mandray und Col de Fourneaux besetzt.
Die Schlacht findet bei großer Hitze statt. Das Volk von Paris, das in lebhafter Aufregung ist, erfährt nur kleine Episoden, die von flüchtigen Bürgern und von Ordonnanzen, die dienstlich nach Paris geschickt wurden, erzählt werden. Die Zeitungen dürfen nur die offiziellen Bulletins bringen. Das Volk sagt, es genüge, daß die Franzosen dem deutschen Ansturm jetzt widerständen, um später den entscheidenden Sieg davonzutragen. Auf alle Fälle erwartet man noch andere Schlachten.
Noch größerer Widerspruch ist zwischen den verschiedenen belgischen Bulletins festzustellen. Eines von diesen behauptet die Räumung ganz Nordbelgiens durch die Deutschen und eine Niederlage derselben bei Termonde. Das folgende Bulletin muß dann zugeben, daß die Deutschen zwischen Givet und Antwerpen vorrücken.

 

Die Beute von Reims

Berlin, 9. September. (Priv.-Tel.)
Wie amtlich mitgeteilt worden ist, haben unsere deutschen Truppen bei der Einnahme von Reims auch das Militärflugzeug-Depot besetzt: 10 Eindecker, 20 Doppeldecker und eine Anzahl der auch in Deutschland bekannten Gnome-Motoren fielen in die Hände der Eroberer. Besonders die Motoren, die in den Gnome-Werken hergestellt werden, sind gut verwendbar. Auch die 20 erbeuteten Doppeldecker, die meist nach dem Typ Maurice Farman gebaut sind, sind recht verwendbar. Die Steuerung und Bedienung der Flugzeuge unterscheidet sich von der deutscher Militärmaschinen nicht so stark, daß unsere Offiziere die Apparate nicht ohne weiteres steuern könnten. Der Verlust der dreißig Flugzeuge und der Reservemotoren wäre für die Franzosen wohl noch zu verschmerzen, wenn nicht die Einnahme von Reims für ihre Heeres-Luftfahrt einen viel schwereren Schaden bedeuten würde. Reims ist gewissermaßen die Zentrale des Militärflugwesens in Frankreich gewesen, und von dort aus wurden alle Operationen der Luftflotte vorbereitet und geleitet. In Reims, das einen großen ausgezeichnet unterhaltenen und mit allen Hilfsmitteln versehenen Militärflugplatz mit einer Offizierfliegerschule besaß, war in Friedenszeiten eine Kompanie Flieger untergebracht. Neuerdings aber hatte man Reims zum Mittelpunkt der Fliegerei gemacht und nicht weniger als drei Fliegerkompanien mit allem Zubehör dort untergebracht.
Die französische Fliegerkompanie zerfällt in sechs Einheiten, die sogenannten Geschwader, deren jedes wieder acht Flugzeuge umfaßt. Von diesen acht Apparaten sind sechs für den beständigen Bedarf bestimmt, während die restlichen zwei für den Mobilmachungsfall und als Reserven eingestellt werden. Für jedes Flugzeug ist ein Automobil vorgesehen, das bei großen Transporten den Apparat abhängt und mit Geschwindigkeiten von 30 bis 40 Kilometer in der Stunde über die Landstraße bringt. Das Auto erhält auch Motoren-Reserveteile und eine kleine Werkstätte. Jedem Geschwader ist außerdem ein großes Werkstatt-Automobil beigegeben. Die Detachements des Reimser Fliegerlagers befinden sich in Verdun, Toul, Epinal und Belfort, umfassen also den äußeren Festungsgürtel auf der Südfront. Durch die Einnahme von Reims sind also die wichtig Festungen nicht mehr in der Lage von der Zentrale Nachlieferungen von Mannschaften, Material, Brennstoffen usw. zu beziehen. Ohne Zweifel ist unseren Truppen auch der nicht unerhebliche Automobilpark in die Hände gefallen, der gute Dienste leisten kann.

 

Die Lage in Paris

Paris, 9. September. (Priv.-Tel.)
Paris fährt fort, sich für die Belagerung vorzubereiten. Fortwährend trifft frisches Vieh ein, das dann in den Parks auf die Weide geschickt wird; auch werden große Mengen von Futtermitteln aufgestapelt. Besondere Sorgfalt verwenden die Behörden darauf, dem eingetretenen Milchmangel abzuhelfen. Alle Personen, die sich aufs Viehversorgen und Melken verstehen, werden aufgefordert, sich zur Arbeit zu melden. Sodann wurden 2 Millionen Kilo kanadisches und argentinisches Gefrierfleisch bezogen. Die Behörden nehmen jetzt auch eine Zählung der in Paris Zurückgebliebenen vor; auf den Zählkarten steht die Anordnung daß das Gas künftig nur zu Beleuchtungszwecken gebraucht werden darf. Um die besonders große Not der geistigen Arbeiter jeder Art, denen alle Verdienstmöglichkeit genommen ist, einigermaßen zu lindern, hat man für diese Kategorie eine Freispeisehalle mit Lesesaal eröffnet. - Der Auszug der Regierung aus Paris erfolgte so schnell, daß ganze Kisten Akten vergessen wurden. Die Haupttore der Ministerien sind verschlossen. Einige wenige Beamte begeben sich aus Gewohnheit durch Neben-Eingänge an ihre bisherigen Arbeitsstätte, um nicht allein in den von ihren Familien verlassenen Wohnungen zu sitzen.

 

Der Zustand Belgiens

Berlin 9. September. (W. B. Nichtamtlich.)
Die "Nordd. Allgem. Ztg" bringt eine weitere ausführliche Schilderung des Direktors der Deutschen Bank Dr. Helfferich über den Zustand Belgiens. Dr. Helfferich sagt u. a.: Einige Ortschaften sind völlig zerstört; teils ist in diesen Ortschaften heftig gefochten worden, zum anderen Teile erfolgte die Zerstörung wegen heimtückischer Überfälle nach friedlicher Kapitulation. So wurde die kleine Stadt Battice niedergebrannt, weil der Bürgermeister des Ortes nach einer Bewillkommungsansprache den Führer der deutschen Abteilung niederschoß. Gleichzeitig wurde aus allen Fenstern ein wütendes Feuer auf die in den Straßen haltenden deutschen Kolonnen eröffnet. Dagegen ist der große Industrieort Verviers völlig unversehrt. Die Stadt Lüttich selbst zeigt nur an wenigen Stellen Spuren des Krieges. Gegenüber der Universität sind allerdings eine Anzahl Häuser zusammengeschossen, weil nach der Besetzung der Stadt auf unsere Soldaten von hier geschossen wurde, wie behauptet wurde, von russischen Studenten. Die schönste Brücke Lüttichs und die meisten Brücken im Maastal sind von den Belgiern ganz zweckloser Weise selbst gesprengt worden. Unsere Truppen errichteten in kürzester Zeit Notbrücken. Zwischen Lüttich und Tirlemont, wo unsere Truppen in breiter Front sich vorwärts bewegten, sieht es bis auf wenige Stellen friedlich aus, als ob nie der Fuß eines feindlichen Soldaten die Gegend betreten hätte. Nirgends hat man den Eindruck, als ob unsere Truppen ohne Not zerstört und verbrannt hätten. Tirlemont selbst ist gänzlich unversehrt. Von Löwen ist lediglich derjenige Stadtteil niedergebrannt, in dem die heimtückischen Überfälle und die anhaltenden Straßenkämpfe stattgefunden haben. Unsere Truppen selbst versuchten zu retten, was zu retten war. In der Stadt Brüssel ist keinem menschlichen Wesen auch nur ein Haar gekrümmt worden. Das Eigentum der Bürger wird auf das peinlichste respektiert; Requisitionen der Truppen wie alle Einkäufe der einzelnen Soldaten erfolgen gegen bare Bezahlung. Das große Industriebecken von Charleroi ist so gut wie vollständig verschont geblieben. Alle Fabriken und Werke sind intakt. In der weiteren Umgegend von Maubeuge sind die großem Ortschaften im wesentlichen unberührt, dagegen sind die Zerstörungen in der näheren Umgebung, soweit sie im Bereich der Geschütze der Festung liegt, erheblich.
An dieser Stelle schaltet Dr. Helfferich ein, daß die bei den Ausfällen aus Maubeuge gefangenen englischen Soldaten übereinstimmend aussagten, daß sie ihre scharfe Munition aus einem in Maubeuge eingerichteten Depot erhielten, wobei zu beachten ist, daß das englische Gewehrkaliber nicht mit dem französischen identisch ist, daß also speziell die Munition für die englischen Truppen bereitgehalten worden war. Bei den englischen Soldaten wurden große Mengen von Dum-Dum- Geschossen vorgefunden. In der Gegend zwischen Sambre und Maas kehrten die Einwohner zurück. Nachdem dort erbitterte Kämpfe stattgefunden hatten, haben sich die Einwohner überzeugt, daß der deutsche Soldat, solange man ihm nichts ans Leben geht, der friedlichste Mensch der ganzen Welt ist. Im Tal der Maas wurde Dinant total zerstört, weil unsere Truppen nach friedlicher Kapitulation der Stadt und mehrtägigem Aufenthalt plötzlich von allen Seiten her von den Einwohnern beschossen wurden. Aus dem gleichen Grunde mußte die Zerstörung eines großem Teils der Stadt Ardenne erfolgen. Den meisten übrigen Orten des Maastales ist von den Schrecken des Krieges nichts anzumerken. Der Gesamteindruck ist, daß unsere Truppen nur dort zerstört haben, wo die bittere Notwendigkeit des Gefechtes es verlangte oder wo das Verhalten der Einwohnerschaft die schwersten Repressalien nötig machte. An zahlreichen Stellen ist es klar ersichtlich, daß unsere Truppen geradezu bemüht waren, die Zerstörungen auf den notwendigen Umfang zu beschränken und alles, zu schonen, was geschont werden durfte. Eine der wichtigsten Aufgaben des deutschen Generalgouvernements wird sein, den wirtschaftlichen Betrieb, die Landwirtschaft, die Industrie und das kaufmännische Gewerbe, wieder in Gang zu bringen.

 

Besetzung der Walfischbai durch die Deutschen

London, 9. September. (Priv.-Tel.)
Deutsche Truppen besetzten die Walfischbai. Die britische Regierung bemerkt dazu: Die Bai kann leicht wiedergewonnen werden, sobald die südafrikanische Regierung ihre Vorbereitungen beendigt hat, in Deutsch-Südwestafrika einzufallen.

 

"Karlsruhe" im Gefecht

Berlin, 9. September. (W. B.)
Die "B. Z. am Mittag" meldet aus Wilhelmshaven:
Der kleine Kreuzer "Karlsruhe" hatte, wie englische Blätter melden, in diesen Tagen ein kleines Scharmützel mit englischen Kreuzern zu bestehen.

 

Der 1. Weltkrieg im September 1914

ZURÜCK   HAUPTSEITE   WEITER

 

Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

© 2005 stahlgewitter.com