Hofrat
Kattner ermordet
Berlin,
13. August. (Priv.-Tel.)
Hofrat Alfred Kattner, der seit mehr als 30 Jahren im deutschen
konsularischen und diplomatischen Dienst in Rußland tätig war und der
bei der kürzlichen Abreise der deutschen Botschaft zurückgelassen worden
war, ist, wie der "Lokal-Anzeiger" mitteilt, vom Petersburger Pöbel
ermordet worden. Die Volksmassen konnten ungehindert in das
Botschafterpalais eindringen, haben den Beamten niedergemacht, die Räume
geplündert und dann das Gebäude in Brand gesteckt. Dann erst kam Polizei
und Feuerwehr.
Dazu
die "Frankfurter Zeitung":
Dem Petersburger Pöbel, der in den Tagen vor der Kriegserklärung
johlend und singend die ganzen Nächte hindurch die Straßen durchzog, was
dann der Welt als begeisterte Kundgebungen des Volkes verkündet wurde,
war jede Schandtat zuzutrauen. Der Russe ist gutmütig wie ein Wilder,
aber auch tückisch und grausam wie dieser. Daß aber die Polizei, die in
Petersburg alles beherrscht, ein Haus, das auch nach der Kriegserklärung
unter dem Schutz uralter Rechte internationaler Gastlichkeit stand, das
unmittelbar der Obhut der Vereinigten Staaten von Amerika anvertraut war,
diesen Banden von Verbrechern, von denen freilich ein Teil wohlgekleidet
schienen, ungehindert preisgab, das übersteigt doch alles, was man selbst
von dieser elendesten Hüterin einer Ordnung befürchten mußte. Das Haus
der deutschen Botschaft liegt mitten in dem Viertel Petersburgs, wo um den
kaiserlichen Winterpalast die Gebäude der Ministerien vereinigt sind, hat
die Isaakskathedrale, die vornehmste Kirche der Stadt, und den Palast des
Reichsrats zu Nachbarn. Starke Polizeiaufgebote sind immer um all diese
Anstalten versammelt. Von einer Überraschung der Polizei kann daher keine
Rede sein, sie hat den Überfall auf das Botschaftsgebäude zum mindesten
geduldet. Wenn sie aber zuließ, daß ein Haus, in dem bei der natürlich
eiligen Abreise gewiß Wertsachen zurückgeblieben waren, wo eine
prunkvolle Ausstattung der Räume gar nicht entfernt werden konnte, vom Pöbel
geplündert wurde, so darf man schon fast mit Bestimmtheit sagen, daß sie
dies nicht nur geduldet, sondern daß sie selber damit einverstanden war.
Die materiellen Schäden wird die russische Regierung später vergüten müssen,
und den Bruch des Völkerrechts wird man ihr dabei auch anzurechnen
wissen. Den Meuchelmord an Hofrat Kattner aber kann sie nicht wieder gut
machen. Der Beamte, der zur Bewachung des Hauses zurückgeblieben war,
stand unter völkerrechtlichem Schutz. Noch niemals ist eine ähnliche
Schandtat in Europa geschehen. Auch in Paris blieb 1870 ein deutscher
Beamter in der Botschaft, wo er trotz aller Greuel der Belagerung
respektiert wurde. Die russische Regierung erst hat den Schandfleck einer
solchen Tat auf sich geworfen. Vor der ganzen Welt hat sie damit
kundgetan, daß sie eine Macht der Barbarei und Finsternis vertritt.
Wer den freundlichen alten Herrn gekannt hat, der von einer feigen
Mordbande hingemeuchelt wurde, kann ein persönliches Gefühl
schmerzlicher Teilnahme nicht unterdrücken. Hofrat Kattner war einer der
aufrichtigsten Freunde Rußlands. Er hatte eine große und wertvolle
Bibliothek über Rußland gesammelt, er hatte sich Freunde nicht nur in
deutsch-russischen Kreisen erworben. Der Ausbruch des Krieges traf ihn
persönlich aufs schwerste, da er bis zum letzten Augenblick hoffte, die
Verblendung der Kriegspartei werde von Erwägungen der Vernunft überwunden,
die Rußland ein freundschaftliches Verhältnis zu Deutschland zur
Lebensnotwendigkeit machten.