Die Schlacht von La Bassée und Arras

(Die Loretto-Schlacht.)

Der 1. Weltkrieg 1915: Blick über das Schlachtfeld am Südabhang der Lorettohöhe
Blick über das Schlachtfeld am Südabhang der Lorettohöhe

Veröffentlicht durch Wolffs Telegraphisches Bureau
am 5. Juli 1915.

I.

Während in Galizien die verbündeten Armeen von Sieg zu Sieg eilen durften, hatte die Armee des Kronprinzen von Bayern einen Kampf zu bestehen, der nicht minder heiß, blutig und ruhmvoll war. Doch gab es hier kein Vorwärtsstürmen durch die Reihen des Feindes, keine Verfolgung der flüchtenden Scharen mit des Mannes und Rosses letztem Atemzug. Die vielleicht gerade dem deutschen Soldaten schwerste Aufgabe galt es zu erfüllen: in einer Verteidigungsstellung den Ansturm eines weit überlegenen, mit zahlreicher schwerer Artillerie und unerschöpflicher Munition ausgerüsteten Gegners abzuwehren.
Denn Großes plante der Feind. Nicht etwa eine Ablenkung unserer Stärke von dem in Galizien verblutenden Verbündeten galt es. Die Versammlung so starker Kräfte, die Anwesenheit des französischen Oberbefehlshabers, die gewaltigen Anstrengungen und die Hartnäckigkeit des Angreifers beweisen es, die erbeuteten Befehle bestätigen es: General Joffre erachtete den Augenblick für gekommen, die deutsche Front zu durchstoßen, die verlorenen Provinzen und Belgien zu befreien und den Krieg an den Rhein zu tragen. Die Not des östlichen Verbündeten, der Zusammenbruch seiner Armeen in Galizien zwangen dazu, jetzt die Gelegenheit auszunutzen, da Deutschland scheinbar starke Kräfte nach dem Osten hinübergeschoben hatte. Gelang die entscheidende Operation diesmal nicht, so bestand die Gefahr, daß Rußlands Angriffskraft erdrückt, die Kraft der Deutschen auf dem westlichen Kriegsschauplatze vermehrt würde.
Möglichst starke Kräfte galt es, zu diesem großen Ziel zusammenzuziehen, also nicht nur französische, sondern auch englische Truppen dafür zu verwenden. So ergab sich von selbst als Schauplatz des Durchbruchs die Gegend, in der die beiden verbündeten Armeen einander berührten.
Hier schien auch die taktische Lage nicht ungünstig für das Vorhaben. Die deutschen Truppen befanden sich nicht in für die Verteidigung sorgfältig ausgewählten Stellungen, sondern hielten im wesentlichen die Linien, wie sie aus der Offensive entstanden waren. So konnte es nicht an schwachen Punkten fehlen.
In dem fast ebenen Gebiet Flanderns zwischen der Gegend von Armentières und La Bassée befand sich zwar kein ausgesprochener Geländevorteil in der Hand der Engländer, immerhin gab es, insbesondere in der Gegend östlich Festubert und bei La Bassée, manche vorspringende Teile unserer Linien, an denen eine Umfassung dem Feinde leicht möglich war. Begünstigt wird hier der Angriff durch die Unübersichtlichkeit des dicht mit baumumpflanzten Gehöften besetzten Geländes. Das im Mai schon hohe Gras verdeckt den geschickt herankriechenden Infanteristen dem Verteidiger. Der Artillerie fehlen natürliche Beobachtungspunkte. Erst hinter unserer Linie von Radinghem über Aubers-Fromelles zieht eine leichte Welle nach Violaines.
Ein anderes Bild bietet die südlich davon liegende Landschaft Artois. Hier bildet den südlichen Abschluß der Tiefebene ein etwa senkrecht zu unserer Front verlaufender langgedehnter und steil abfallender Höhenzug. Weithin erblickt man im Tiefland auf ihm den scharf abgesetzten Ostrand des Bois de Bouvigny, weithin leuchtete auch früher, als im Herbst 1914 zuerst unsere Reitergeschwader hierher kamen, die vielbesuchte Wallfahrtskirche von Notre Dame de Lorette. Sie lag am äußersten östlichen Rande des schmalen gegen Westen noch ansteigenden Plateaus auf diesem Höhenzug und war in den Kämpfen seit dem Herbst völlig zerstört worden. Hier hatten die Deutschen schon seit dem Oktober Fuß gefaßt. Schrittweise war es ihnen gelungen, in harten Kämpfen in den Wintermonaten einige hundert Meter weit vorzudringen. Immer aber noch blieb der ganze Wald von Bouvigny im Besitz der Franzosen. So klammerten unsere Badener sich nur an einen kleinen Teil dieses Höhenzuges an, der von beiden Seiten umfaßt war, da unsere von La Bassée über Loos und Angres geführte Stellung von dort mit einer scharfen Spitze vorsprang über die Lorettohöhe zu den beiden südlich davon in zwei durch die niedrige Höhe 125 geschiedenen Bachgründen tief gelegenen Orten Ablain und Carency. Von diesen Dörfern, deren Ausläufer noch in Feindeshand geblieben waren, zog die deutsche Linie scharf nach Südosten zurück und lief auf die östliche Vorstadt von Arras, St. Laurent, zu. Sie führte hier über La Targette dicht östlich des großen Dorfes Neuville im allgemeinen in der Tiefe zwischen zwei Höhenzügen. Der westliche, auf dem die zerschossenen gewaltigen Türme von Mont St. Eloy eine Landmarke des ganzen Gebietes bilden, bot den Franzosen treffliche Artilleriestellungen und in den Dörfern Ecurie und Roclincourt gute Stützpunkte.
Der östliche Höhenzug steigt von dem im Carencybachtal tiefgelegenen Orte Souchez aus stark zur Höhe 140 empor und senkt sich dann über La Folie zwischen Thélus und Bailleul hindurch gegen die Scarpe. Die Besitznahme dieser Höhen, die die weite Ebene um Douai nach Westen abschließen und einer von dieser Stadt vordringenden Armee die erste günstige Stellung bieten, war im Oktober für uns von größter Wichtigkeit gewesen. Ihr Verlust konnte uns schwer treffen.
So bot für die Franzosen der Angriff auf den vorspringenden Winkel bei der Lorettohöhe und die anschließenden Stellungen gute Aussichten.
Die ersten Tage des Monats Mai begünstigten die Franzosen. Das Wetter schränkte die Luftaufklärung sehr ein und hinderte uns daher das Heranführen der großen Truppenmassen auf der Bahn genau zu erkennen, obschon es beobachtet wurde und auch sonst Anzeichen dafür vorlagen. Sehr geschickt verheimlichten die Franzosen auch sonst diese Verschiebungen. Keine Patrouillen durften ihre Gräben verlassen. Bisher hatten in dem Abschnitt von der Grenze zur englischen Armee südlich La Bassée bis Arras den Deutschen 3¼ französische Armeekorps (58. Infanteriedivision, 92. Infanteriedivision, XXI. Armeekorps, XXXIII. Armeekorps, ¼ X. Armeekorps) gegenübergestanden. Am 8. Mai deuteten zum erstenmal bei einem gefallenen Franzosen gefundene Briefe auf die Anwesenheit des XVII. Armeekorps.
Dagegen lag bereits seit dem 1. Mai sehr schweres feindliches Artilleriefeuer hauptsächlich auf dem Abschnitt von der Lorettohöhe nach Süden bis gegenüber Roclincourt.
Am 6. Mai schätzte ein Armeekorps, daß der Feind 13500 Schuß gegen seine vorderen Linien abgegeben habe, am 8. Mai erhöhte sich die Zahl auf 17000. Dazu traten jetzt neuerdings schwere Wurfminen auf, deren am 8. Mai nicht weniger als 1800 gezählt wurden.
Schwer litten unsere Gräben und Drahthindernisse, die wiederherzustellen unsere Leute bei dem ununterbrochenen Feuer trotz aller Aufopferung keine Gelegenheit fanden. Südlich Carency sappierte der Feind sich auch näher heran.
Zum Angriff kam es aber vorerst nur am 8. Mai in der Nähe von Liévin, wo französische Jäger nach einem starken Artilleriefeuerüberfall in ein kleines Grabenstück eindrangen. Im Laufe der Nacht warfen die Badener den Feind wieder hinaus und nahmen ihm 100 Gefangene ab.
So brach der strahlend schöne, schwüle Sonntag des 9. Mai an. Planmäßig, aber wirkungslos weckten Bombenwürfe feindlicher Flieger einige höhere Kommandobehörden und das Personal aller wichtigen Bahnhöfe. Die Absicht, durch Zerstörungen Verwirrung in der Befehlsgebung zu erzielen und den Antransport von Verstärkungen zu vereiteln, war dem Feind mißglückt.
Auf den Stellungen nördlich Arras lag von 4 Uhr morgens ab schwerstes Feuer. Auch auf alle Beobachtungsstellen unserer Artillerie und in die Verbindungen nach vorwärts fiel Geschoß auf Geschoß ein. Bald versagten die Drähte zu den Schützengräben, selten und langsam kamen Meldegänger zurück. Daß der Feind seine Hindernisse wegräume, teilten sie mit. Von der Höhe von La Folie aus sah man, wie unsere Gräben in dichten Rauch gehüllt waren. Eine feindliche Granate nach der anderen fuhr in die schwarze Wolke, die sich bald haushoch türmte. Höher noch schleuderten Minenwürfe Erdschollen und Trümmer des weißen Kalkgesteins in die Luft.
Gegen 8 Uhr schweigt das Feuer auf einen Schlag. Rasch eilen die schon stark gelichteten Reste der Grabenbesatzung, niederrheinische Landwehr sowie bayerische Chevaulegers und Infanterie, an die Brustwehr, bereit, dem anstürmenden Feind Auge in Auge entgegenzutreten. Sofort schicken die vorne befindlichen Kommandeure zu den Unterstützungen, die in der zweiten Stellung liegen, den Befehl vorzurücken. Unsere Artillerie legt starkes Sperrfeuer auf die französischen Gräben. Doch statt des Angriffs erfolgt ein neuer, noch heftigerer Feuerstoß der feindlichen Artillerie. Wieder bedeckt Rauch und Qualm das ganze Gesichtsfeld. Da, um 9 Uhr, sieht die Artillerie von La Folie aus an der zufällig etwas rauchfreien Stelle zwischen Carency und dem Wäldchen südlich davon eine lange dunkle Linie im Vorgehen. Sie erkennt, wie zwischen Carency und La Targette mehrere Minen in die Luft gehen. Die Franzosen greifen an! Unter dem Rauch hindurch dringen sie in Massen vor.
Im Abschnitt zunächst nördlich der Scarpe brechen sie in unserem Feuer zusammen. Haufen von Toten und Verwundeten der französischen 19. Division und des XVII. Armeekorps liegen
vor den Drahthindernissen. 1600 feindliche Leichen zählte ein einziges unserer Regimenter vor seinem Abschnitt. Gegenüber Roclincourt dringt ein kleiner Teil ein. Bayerische Bajonette werfen ihn hinaus.
Allzu mächtig aber ist der Ansturm auf den durch Artilleriefeuer besonders beschädigten Abschnitt zwischen La Targette und Carency. Mit gewaltiger Überlegenheit überrennen hier das XX. und XXXIII. französische Armeekorps und mitten zwischen ihnen die marokkanische Division die schwache Besatzung der zertrümmerten Gräben. Verzweifelt wehren sich die wenigen Überlebenden. Schwer verwundet fällt der Regimentskommandeur der Landwehr, der die Unternehmungen persönlich vorführt, in Feindes Hand.
Unsere zweite Stellung ist entblößt. An den vorgeschobenen Geschützen nördlich Neuville und südlich Souchez bricht sich die Brandung kurze Zeit, bis der letzte Kanonier zu Boden sinkt. Dann geht der Ansturm weiter. Die Franzosen dringen auf der Höhe von La Folie vor. Die Artilleriebeobachtungsstellen bei La Folie sind in ihrer Hand, schon nähern sie sich dem Ostabfall des großen Höhenzuges. Und auch gegen Norden gewinnen sie Boden.
Von der Höhe stürmen sie hinab in das Dorf Souchez. Der Kommandeur eines bayerischen Jägerbataillons mit zehn Mann hält hier vorläufig allein den Südeingang.
Westlich davon dringen Zuaven und Fremdenlegionäre über den Carencybach, nehmen Moulin Malon, bedrohen die Lorettohöhe von Süden und umschließen auch von Osten das Dorf Carency, gegen das von Süd und West die 10. Division anstürmt.
Um 12 Uhr mittags scheint es fast, als sei hier den Franzosen der Durchbruch gelungen. In einer Breite von 4 Kilometer und einer Tiefe von 3 Kilometer ist das Gelände zwischen den Dörfern Neuville, Tarency und Souchez in ihrer Hand. Auch südlich Neuville ist der Feind in das Grabengewirr eingedrungen, das sein Bericht bezeichnenderweise "Labyrinth" nennt. Bis über die Straße, die im Hohlweg von Ecurie nach Norden führt, ist er gelangt. Ein von uns kunstvoll mit Dach versehener Verbindungsweg bietet ihm nun Schutz.
Aber jetzt zeigt unsere Truppe, welch Geistes sie ist. Nördlich Ecurie machen die von Süden und Westen angegriffenen Söhne des Allgäus nun auch nach Norden Front, und wehren dem Feind in erbittertem Nahkampf das Vordringen gegen den Rücken des Regiments. Kein Mann denkt daran, die Stellung zu räumen. In Neuville werfen sich die Verteidiger in die Häuser und halten die östliche Hälfte des Ortes. In einem Garten steht ein Geschütz, dessen Bedienung gefallen ist. Ein Pionierleutnant und zwei Pioniere feuern damit auf nächste Entfernung in den Feind. Am Wege von Neuville nach La Folie bildet sich eine Schützenlinie, die den eingedrungenen Feind von Süden flankiert. Von Norden her lösen eine badische Batterie und ein bayerischer Haubitzzug, auf 600 Meter feuernd, glänzend diese Aufgabe, bis auch im Dorf schwache Unterstützungen, zuerst ein einziger Jägerzug, der Handvoll Verteidiger zu Hilfe kommen. Von Ablain her verhindern Badener das Vordringen des Feindes gegen Norden.
Gegen die Front des Durchbruchs aber werfen sich auf den Höhen westlich Givenchy und Vimy die Reserven des Abschnitts. Jeder Mann weiß, worum es sich handelt. Sieht doch der hier kommandierende General von La Goulette aus schon französische Schützen auf dieser Höhe im Vorgehen. Wer nur Waffen hat, schließt sich den Kompagnien an, Mannschaften der Kolonnen und Pferdewärter stürmen den steilen Osthang hinauf. Und es gelingt. Auf den Höhen 119, 140 und an den Waldrändern südlich davon gebietet unsere Artillerie und Infanterie den Eindringlingen Halt, nachdem deren vorderste Abteilungen niedergemacht sind.
1 Uhr ist vorbei, die erste Krisis hier überwunden , und bis zum Abend ändert sich die Lage nicht.
Inzwischen aber tobt auch an anderer Stelle der Front der Kampf. Auf den nördlich anschließenden Teilen lag seit dem Morgen heftiges feindliches Artilleriefeuer. Die von Gräben, unzähligen Geschoßlöchern und Minentrichtern durchfurchte Lorettohöhe bildete sein hauptsächlichstes Ziel. Dann folgte auch hier der Angriff. Auserlesene Jägerbataillone des französischen XXI. Armeekorps führen ihn. Sie dringen in die Gräben ein. Trotz tapferster Gegenwehr müssen die Badener die vorderste Stellung räumen, nur eine Kompagnie hält sich dort, trotzdem der Feind sie umringt.
Auch weiter nördlich in der Gegend von Loos gelangte ein Angriff in unsere Linie. Wieder wurde hierbei ein neues französisches Armeekorps, das IX., festgestellt.
Überall auf diesem Teil des Schlachtfeldes war der Feind nicht über unsere erste Stellung durchgedrungen. Seine Erfolge blieben daher weit hinter dem erstrebten Ziele zurück.
Nicht unmittelbar im Anschluß an die Franzosen erfolgte der englische Angriff. Vom 9. Mai morgens ab beschossen sie unsere Gräben heftig, besonders westlich der großen Straße La Bassée-Estaires und nördlich Fromelles. Allerdings erleichterte ihnen der hohe Grundwasserstand in dieser Gegend die Arbeit. Die Brustwehren mußten seinetwegen größtenteils hier auf den gewachsenen Boden mit Sandsäcken aufgeschüttet werden. Kein Wunder daher, wenn bald alles verschüttet war. Um 6 Uhr 30 Minuten vormittags sprangen vollkommen überraschend in der Brustwehr der Bayern nördlich Fromelles zwei Minen. An dieser Stelle und an zwei anderen in der Nähe gelegenen drangen sofort starke englische Schützenlinien ein, überrannten die vereinzelten überlebenden Verteidiger und warfen sich in weiter hinter unserer Front gelegene Gräben und Gehöfte. Welle auf Welle folgte und versuchte sich von den schmalen Durchbruchstellen aus nach beiden Seiten in den Gräben auszudehnen. Aber schon hatten die anschließenden Abteilungen die Gräben verdämmt und schon hinderte das Sperrfeuer der Artillerie die Engländer, weitere Kräfte nachzuschieben.
In wahrhaft musterhafter Weise wirkten die bayerischen Truppen zusammen, um diesen Anfangserfolg des Feindes zunichte zu machen.
Um die Mittagsstunde war jede Gefahr beseitigt, bis zum Abend das ganze Gelände wieder zurückgewonnen. An einer Stelle hatte die vorderste Linie durch Angriff von beiden Seiten mit Handgranaten und Bajonett die eingedrungenen Feinde aus eigener Kraft hinausgequetscht, an den beiden anderen hatte der Einsatz von Reserven dieses Ziel erreicht. Der Versuch, dem Schicksal zu entgehen und in die eigenen Gräben zurückzuziehen, kostete die Engländer zahllose Tote. Ganz erbitterte Nahkämpfe gegen die durchgebrochenen, verzweifelt sich wehrenden Engländer spielten sich hinter unserer Front unterdessen ab. An jeden alten Graben, an jedes Wasserloch, jeden Trümmerhaufen klammerten sich ihre Reste an. Vielfach mußten Ober- und Niederbayern zur heimischen Waffe greifen, um den Widerstand zu brechen. Von der Erbitterung der Kämpfe zeugt es, daß nur 140 Gefangene mit 7 Maschinengewehren in unsere Hand fielen, während 1500 englische Leichen allein hinter unserer Front begraben wurden. Nicht weniger als 143 tote englische Offiziere zählten wir, eine Zahl, die nur unerheblich unter der unserer gefallenen Mannschaften blieb.
Glänzend hatte eine bayerische Division den Angriff des dreifach überlegenen verstärkten IV. englischen Armeekorps abgewiesen.
Nicht gleichzeitig setzte der Kommandierende General des durch eine indische Division verstärkten I. englischen Armeekorps seinen Angriff gegen den Abschnitt Bois du Biez-La Quinque Rue an. Nachdem am Vormittag seine Infanterie nur schwächlich herangetastet hatte, steigerte er von 4 Uhr 30 Minuten nachmittags an sein Feuer zur äußersten Heftigkeit. Um 5 Uhr 15 Minuten brach der Angriff los. Voran eine Welle farbiger Engländer, dann weiße, stürzen aus den vom Feind für große Massen sehr geschickt angelegten Versammlungsgräben heraus; noch einmal farbige und wieder weiße Engländer folgen ihnen. Bis in unsere Drahthindernisse stürmen die Tapfersten. Aber stärker als des Feindes Wille ist das Feuer unserer Westfalen. Kein einziger Feind gelangt in unseren Graben. Massen von Engländern verschiedener Rassen decken das Feld.
So war es trotz eingehendster Vorbereitung, genauerer Kenntnis der schwachen Besetzung unserer Linien, großer Überlegenheit an Zahl, gewaltigen Munitionsaufwandes und rücksichtslosen Einsatzes guter Truppen dem Führer der I. englischen Armee nicht gelungen, irgendwo Vorteile zu erringen. Was er beabsichtigt hatte, war nicht etwa nur eine Demonstration zugunsten der Verbündeten.
Was er gewollt hatte, darüber geben uns seine Befehle Aufschluß:
"Die geplanten Operationen zielen auf einen entscheidenden Sieg, nicht auf einen lokalen Erfolg ab. Das Ziel der I. Armee ist: Durchbruch der feindlichen Linie, um sich in den Besitz der Straße La Bassée - Fournes zu setzen und dann auf Don vorzustoßen."
Aber auch die Erfolge der Franzosen blieben weit hinter dem zurück, was der Kommandierende General des XXXIII. Armeekorps seinen Truppen angekündigt hatte:
"Nach neunmonatiger Feldzugsdauer ist es an der Zeit, eine endgültige Anstrengung zu machen, die feindlichen Linien zu durchbrechen und zunächst als Erstes die Deutschen von Frankreichs Boden zu verjagen.
Der Augenblick ist günstig. Niemals war das Heer stärker, noch von größerem Mut beseelt.
Der Feind scheint nur einige Divisionen vor unserer Front zu haben, unsere Kräfte sind viermal so stark als die seinigen. Wir verfügen über die stärkste Artillerie, die je auf einem Schlachtfeld verwendet worden ist.
Es handelt sich heute nicht um einen Handstreich oder um die Wegnahme von Schützengräben. Es handelt sich darum, den Feind mit äußerster Heftigkeit anzugreifen, ihn zu schlagen, mit beispielloser Hartnäckigkeit und Zähigkeit zu verfolgen, ohne Rücksicht auf Strapazen, Hunger, Durst und Leiden."
Das wollte der Feind, dazu hatte Joffre einen der besten seiner Unterführer, den General Foch, mit der Leitung des Angriffs betraut, dazu hatte er Frankreichs ganze verfügbare Kraft vereinigt.
Schon am 9. Mai abends stand es fest, daß sie selbst nicht die schwachen deutschen Kräfte, die hier sofort zur Hand waren, über den Haufen werfen konnte.
Die große Sturmflut war überwunden, doch der Kampf nicht beendigt.

Der 1. Weltkrieg 1915: Blick auf Ablain-St.-Nazaire
Blick auf die Ruinen von Ablain-St.-Nazaire

II.

Drei Stellen in der Schlachtfront der Armee des Kronprinzen von Bayern waren es, an denen am 9. Mai die französische Granate dem Bajonett einen Weg gebahnt hatte.
Den Feind bei Loos wieder hinauszuwerfen, konnte der Oberbefehlshaber den dort stehenden Badenern ruhig überlassen. Er hat sich nicht getäuscht. Einige Kompagnien stellten sich den Franzosen frontal gegenüber und wichen langsam zurück, mit dem Auftrag, sie gegen die zweite Stellung nach sich zu ziehen. Die Artillerie legte hinter den Feind Sperrfeuer, das jede Verbindung unterbrach. Von Nord und Süd aber gingen in unseren Gräben je ein Bataillon, die Kommandeure an der Spitze, mit Handgranaten gegen Flanke und Rücken der Franzosen vor. Als am Morgen des 10. Mai die überlebenden 700 des französischen Regiments 114 mit ihren 6 Maschinengewehren die Waffen streckten, erblickten sie an den Helmüberzügen der Sieger dieselbe Nummer, die sie am Kragen trugen. Der tapfere tödlich verwundete Kommandeur und ein Major des französischen Regiments fanden ihre letzte Ruhestatt im Friedhof des deutschen Truppenteils mitten unter den badischen Helden.
Weiter südlich genügte die eigene Kraft der dort stehenden deutschen Truppen nicht, um die eingedrungenen Massen des Feindes zurückzudrücken. Dort mußte die oberste Führung ihre Reserven einsetzen.
Sorgfältigste Vorbereitung des hier im französischen Kohlenrevier dichten Bahnnetzes gestattete ihre schnelle Verschiebung. Bereits um die Mittagsstunde des 9. Mai nahm ein sächsisches Jägerbataillon die Badener auf der Lorettohöhe auf, bayerische Jäger verstärkten die schwache Besatzung von Souchez. Am Abend standen mehrere Infanterieregimenter in der Gegend südlich Lens zur Verfügung, weitere Regimenter führten Zug auf Zug heran. Die Straßen bedeckten die berittenen Truppen, Kolonnen und Trains der bisher in Reserve stehenden Truppenkörper. Bis zum Mittag des 10. Mai konnte der Oberbefehlshaber alle im Armeebereich verfügbaren Truppen dort vereinigen. Ein frisches Armeekorps etwa hatte er damit zur Hand. Das möchte wohl viel scheinen; winzig genug war aber diese Verstärkung gegenüber der feindlichen Übermacht. Und wie im deutschen Heere es stets als vornehmste Pflicht galt, den Kameraden zur Seite zu stehen, so sandten die kommandierenden Generale der nicht angegriffenen Nachbararmeekorps aus freien Stücken ihre bei den breiten Fronten nur recht spärlichen Reserven bereitwilligst an die bedrohen Stellen.
Alles zu vereinigen, um mit einem großen Schlag den eingedrungenen Feind hinauszuwerfen, dieser Gedanke lag nahe. Die Wirklichkeit verbot seine Ausführung. War auch der Feind zwischen Souchez und Neuville an den Höhen 119, 140 und den Waldrändern südlich davon zum Stehen gebracht, so hätten vielleicht die schwachen bayerischen Truppen hier einem neuen großen Angriff nicht widerstehen können. Sie bedurften der Unterstützung. Schon am späten Abend des 9. Mai schoben sich die ersten Regimenter in ihre Linie ein. Sie begnügten sich nicht, sie zu halten und zu verstärken. Südöstlich Souchez streicht eine tief eingeschnittene Mulde nach Süden, zwischen dem Rücken, auf dem unsere Schützen lagen, und der Höhe, deren südlichsten Ausläufer der Kirchhof dieses Dorfes krönt. Artilleriemulde hieß sie in unseren Stellungskarten. Hier standen noch einige bayerische Feldgeschütze und zwei schwere Feldhaubitzen, die der Feind überrannt hatte, aber nicht hatte zurückführen können. Bayern und Elsaß-Lothringer gingen von Givenchy aus vor, bis in die Mulde warfen sie den Feind zurück. Schon sind die Geschütze zwischen beiden Linien. Heftige Einzelkämpfe entspinnen sich um sie in der Nacht und am nächsten Vormittag. Immer wieder versuchen die Unseren die Geschütze zu nehmen, ein Tapferer nach dem anderen fällt unter dem Feuer von Maschinengewehren, die der Feind eigens zum Schutz der erhofften Beute aufgestellt hat. Den Franzosen gelingt es aber ebensowenig, die Geschütze in Sicherheit zu bringen. Die schweren Haubitzen verankern sie mit Eisenketten, die bis in ihren westlich der Mulde gelegenen Graben zurückgespannt sind. Das Schicksal will es, daß den Söhnen des Reichslandes, die so wacker ihre Pflicht für ihren Kaiser und ihre Heimat tun, ein Fremdenregiment der marokkanischen Division gegenübersteht, das mit fast völliger Vernichtung den Lohn der Vaterlandslosen erntet.
Weiter südlich, in Neuville und nördlich davon tragen Kurhessen, Lothringer und Westfalen die bayerische Linie weiter vor.
So hatte der Einsatz dieser wenigen Regimenter nicht nur unsre Linie der großen Einbruchsstelle gegenüber gefestigt, sondern die Franzosen verhindert, am 10. Mai hier den Angriff im großen Maße zu erneuern. Nur bei Neuville griff er mit kleineren Abteilungen immer wieder erfolglos an, während südlich des Dorfes das in seinen Gräben von West, Nord und Süd umfaßte bayerische Regiment, vom feindlichen Artilleriefeuer und Minenwürfen überschüttet, im erbitterten Nahkampf mit der feindlichen Infanterie seine Stellung hielt. Von dort bis zur Scarpe getrauten sich nach der blutigen Lehre vom Tage vorher das XVII. französische Armeekorps und die 19. Infanteriedivision am 10. Mai nicht anzugreifen.
Bedrohlicher erschien die Lage an der Lorettohöhe. Noch mehr als früher schon war nach dem französischen Einbruch südlich Carency unsere Stellung hier durch den Feind umfaßt. Seine Artillerie, die am 9. Mai der Infanterie gefolgt und nordwestlich La Targette in Stellung gegangen war, schoß sogar in den Rücken unserer Gräben bei der Kapelle. Jeder Verkehr südlich der Höhe entlang nach Ablain und Carency war bei Tage unter diesem Feuer unmöglich, bei Nacht ein großes Wagnis.
Als am Nachmittag des 10. Mai sehr starkes Artilleriefeuer auf diesen Stellungen lag, rückte ein sächsisches Infanterieregiment zur Unterstützung der Badener in den gefährlichen Abschnitt ein.
Dem südlich Souchez kommandierenden General standen daher nur mehr zwei frische Infanterieregimenter zur Verfügung, mit denen er am Abend zwischen diesem Dorf und Neuville anzugreifen Befehl erhielt. Artillerie bereitete den Angriff vor. Ihr Aufmarsch an der einzig möglichen Stellung beiderseits Vimy konnte der französischen Luftaufklärung nicht verborgen bleiben, der Einsatz der Beobachtungsstellen in die Infanterielinien nicht ohne beträchtliche Verluste abgehen. Und doch war es eine Lust für die Truppe, heraus aus der Einförmigkeit der Stellungsschlacht zu kommen und auffahren zu können, beinahe wie man es in der Herbstfeldschlacht getan, für die Sommerfeldschlachten erhoffte. Da ertrug man leicht Verluste an Mann, Roß und Gerät.
Um 7 Uhr abends brach der Angriff los, die frischen Regimenter, ein württembergisches von Givenchy aus, ein sächsisches über Höhe 140 mitten zwischen den im Gefecht stehenden Teilen. Über die feindwärts abfallenden Hänge galt es vorzustürmen, gegen die feindliche Infanterie, die sich in unseren vorderen Stellungen und in neuangelegten Gräben einzurichten mehr als 24 Stunden Zeit gehabt hatte gegen die gewaltige feindliche Artillerie, deren hier eingelebte Feuerleiter jeden Baumstumpf, jeden Erdaufwurf besser kannten als auf einem jahrelang gewohnten Schießplatz. Ein Feuersturm empfängt daher unsere SchützenwelIen. Hier und dort reißt er Lücken in die Tapferen. Aber jeder weiß, daß es gilt; in jedem einzelnen lebt nur der Drang an den Feind. Und es geht. Aus Souchez heraus, unterstützt von den von Givenchy her stürmenden Württembergern, nehmen bayerische Jäger den Kirchhof, der das Dorf beherrscht. Weiter südlich in die Artilleriemulde stoßen Bayern, Württemberger und Elsaß-Lothringer, mitten unter den Schützen die Kanoniere. Der erste will jeder sein, die Waffe, die ihm sein Kriegsherr anvertraut, die überlegene Kraft ihm entriß, wiederzugewinnen. Diesmal gelingts . Unser sind die Kanonen, unser die angeketteten schweren Haubitzen. Und westlich der Mulde gräbt sich die zerfetzte Schützenlinie ein, hinter sich die überrannte erste französische Linie lassend.
Bot hier die tiefe Mulde einigen Feuerschutz, so fehlte er weiter südlich, wo die Sachsen vordrangen. Mit schweren Verlusten nur konnte das tapfere Regiment die Höhe 123 stürmen und halten. Ihr zum Schutz unserer Artilleriebeobachter notwendiger Besitz lohnte die Opfer.
Auch in Neuville bringt der Kampf Mann gegen Mann, Haus um Haus uns Gewinn. Vor allem aber hat unser Angriff am Abend des 10. Mai den Franzosen gezeigt, daß wir nicht gewillt waren, ihre Angriffe in der Verteidigung zu erdulden, sondern daß die an Zahl so schwache Truppe sich nicht scheute, selbst anzugreifen.
Die Eigenschaft, die den Sieg im Kriege verbürgt, den eisernen Willen, unsere Führer und Truppe hatten sie bewiesen.
Die nächste Sorge der Führung bildete Carency. Fast einer Insel gleich, umbrandet von wilder, an den Gestaden fressender See, lag dieses Dorf vor unserer Front. Auf der Lorettohöhe zwar erreichte der Einsatz der Sachsen Erfolge. Einige Gräben nahmen sie zurück. Am Morgen des 11. befreiten sie dadurch die badische Kompagnie, die seit zwei Tagen, rings vom Feinde umschlossen, unter schwersten Verlusten und Entbehrungen ihre Stellung gehalten hatte. Als einziges Getränk hatte sie das Kühlwasser der Maschinengewehre benutzen können, da auf der kalkigen Höhe Brunnen fehlten.
Südlich der Lorettohöhe gelang es an demselben Vormittag badischen Grenadieren, Moulin Malon und die beiden dort am 9. Mai von den Franzosen genommenen Feldkanonen zurückzuerobern. Doch eine gesicherte Verbindung zwischen Carency und Souchez war damit noch nicht erreicht. Auf der Höhe westlich des .Kirchhofs Souchez weiter vorzudringen war nicht geglückt.
Die Frage, ob Carency geräumt werden sollte, konnte gestellt werden. Die Antwort fiel dem Soldaten leicht, dem Menschen schwer. Das Opfer der tapferen Besatzung war notwendig. Denn solange wir den Ort hielten, verzögerten wir das Vorwärtskommen des Feindes und nahmen ihm schwere Blutopfer ab. Das aber war hier unser Gefechtszweck.
Durch den Einsatz weiterer Kräfte die Verbindung dorthin zu verbessern, war die Absicht. Sie konnte nicht zur Ausführung gelangen, da am 11. Mai nachmittags wieder große französische Angriffe erfolgten. Nach heftigster Beschießung durch Artillerie griffen die 17. französische Infanteriedivision und Teile der 58. zwischen der Straße Hulluch-Vermelles und Lens-Mazingarbe in breiter Front an; den vordersten Wellen folgten dichte Kolonnen. Vor unseren Hindernissen brachen sie im Feuer unserer Geschütze und Gewehre zusammen. Noch einmal erneuerten frische Truppen in gleicher Form den Versuch, nur um ebenso zu scheitern. "Das französische Regiment Nr. 125 ist erledigt" konnten die Badener melden. Gefangene des IX. französischen Armeekorps, die später gemacht wurden, gaben an, daß die 17. Infanteriedivision an diesem Tage 6000 Mann hat liegen lassen.
Auch auf der Lorettohöhe setzte das französische XXI. Armeekorps zum Angriff an. Er brach zusammen. Am gewaltigsten tobte jedoch die Schlacht am 11. Mai nachmittags südlich von Carency. Zwischen diesem Dorf und der Scarpe einheitlich vorzubrechen, war die Absicht des Feindes. Schwerstes Artilleriefeuer aus allen Geschützen leitete sie ein. Doch durch die Wand von Rauch und Feuer hindurch sah unsere Artillerie aus dem Wäldchen südlich Carency und aus den Trümmern von La Targette die Massen vorbrechen. Unter den Garben unserer Schrapnells zerstob die französische 77. Division und was von der marokkanischen Division noch mit angriff. Was hier Kanone und Haubitze leisteten, das fiel von Roclincourt nach Süden dem Gewehr zu. Trotzdem hier das XVII. und X. Armeekorps in dichten Scharen bis an die durch das französische Artilleriefeuer stark zerstörten Hindernisse herankam, trotzdem die bayerische Grabenbesatzung durch die Beschießung stark gelitten hatte, sanken die stürmenden Regimenter vor unserer Linie niedergemäht zu Boden, ohne irgendwo einzudringen.
Einzig und allein bei und südlich Neuville, wo man schon in engster Gefechtsberührung stand, kam es zu Nahkämpfen. Sechs französische schwere Minenwerfer feuerten in diesem Orte seit dem heutigen Morgen schon auf die von uns besetzten Häusergruppen; nichts diesem gewaltigen Nahkampfmittel Gleichwertiges hatten wir an dieser Stelle entgegenzusetzen. Da sieht in dem durch uns wiedergewonnenen Ortsteil der Adjutant eines thüringischen Bataillons, ein Reserveoffizier der Feldartillerie, eine bayerische Feldkanone. Am 9. Mai hatten die Kanoniere sie verlassen müssen, Verschluß und Munition aber vorher versteckt. Auch diese findet der Offizier. Mit zwei Infanteristen bedient er auf das wirksamste diese Feuerwaffe im Häuserkampf, mit ihr tritt er auch dem Nachmittagsangriff entgegen. In Neuville selbst kann der Angriff zu keinen großen Ergebnissen führen. Ob das eine oder andere Haus mehr dem Feinde zufällt, das entscheidet keine Schlacht. Aber aus dem Dorf heraus gegen Thélus möchten die Franzosen vordringen. Hier liegt 200 Meter östlich Neuville der Kirchhof, mit Mauern umgeben, in freiem Felde. 80 Mann des anhaltischen Bataillons, das hier kämpft, halten ihn besetzt. Gegen 3 Uhr nachmittags sehen sie südlich Neuville starke viergliedrige Schützenlinien, denen dichtauf Unterstützungen folgen, vorgehen. Unser Feuer weist den Feind ab. Noch nicht 4 Uhr ist es, da greift von Südwesten Infanterie an, und auf der Straße aus Neuville heraus brechen Turkos hervor mit Handgranaten. Im raschen Lauf wollen sie die kurze Strecke zurücklegen und den Verteidiger überrennen. Kaltblütig schießen unsere Musketiere die Feinde nieder. Die sehen, so geht es nicht. Man muß andere Mittel holen. Artillerie und Minenwerfer setzen ein, Grabsteine splittern, Kreuze , Kränze und Särge werden zerrissen , die Besatzung fast vernichtet. Um ½7 Uhr abends beschließt der Kompagnieführer den Rückzug. Nicht weit geht es, nur gerade aus der Geschoßgarbe heraus. Freiwillig aber bleiben ein Unteroffizier und zwei Mann zurück, um in der Westspitze des Kirchhofs mit Handgranaten die Kameraden zu decken und für sie Zeit zum Eingraben zu gewinnen. Dann erst kann der Feind nachdringen, um einer neuen lebenden Mauer gegenüberzustehen.
Im Labyrinth sind noch dieselben Truppen, die dort am 9. Mai gekämpft haben. Auch sie haben nur mehr eine bei Tag nicht gangbare Verbindung nach rückwärts. Wie es bei Neuville steht, ahnen sie nicht. Sie sehen dort nur Rauchschwaden und Flammen. Ob wir das Dorf besitzen oder der Feind, ist ihnen nicht bekannt; ob sie im Osten schon abgeschnitten sind, sie wissen es nicht. Von allen Seiten hageln Granaten, Minen, Infanteriegeschosse in die Trümmer, die einst ihre Gräben waren. Von West, Nord und Süd versuchen die Franzosen vorzudringen. Das Regiment hält aus und erfährt am Abend, daß der große feindliche Angriff abgeschlagen ist, daß die Kameraden durchgehalten haben.
So war an diesem Dienstag, einem herrlichen, warmen Sommernachmittage, der zweite gewaltige Ansturm der Franzosen zusammengebrochen. Was sie gewollt, ergab ein Befehl, den ein östlich Grenay gefangener Offizier bei sich trug. Hiernach rechnete General Joffre unbedingt damit, daß am heutigen Tag Loos, am folgenden Freitag die große Kohlenstadt Lens in die Hände seines linken Flügels fallen müsse. Die Abendmeldungen dürften den französischen Oberbefehlshaber etwas enttäuscht haben. Statt der Nachricht eines Erfolges werden sie die Kunde erhalten haben, daß die französischen Truppen zu einem großen einheitlichen Angriff für die nächste Zeit überhaupt unfähig seien.
Daher finden wir in den folgenden vierzehn Tagen eigentlich nur mehr an zwei Stellen Kämpfe, in der Gegend der Lorettohöhe und bei Neuville.
Aber was die Schlacht damit an Ausdehnung eingebüßt hatte, das verlor sie durchaus nicht an Heftigkeit. Immer wieder vermochten die Franzosen auf diesen schmalen Fronten neue, teils ganz frische, teils lange ausgeruhte Kräfte heranzuziehen. Zum erstenmal traten in diesen Kämpfen das III. französische Armeekorps, die 53. und 55. Infanteriedivision uns hier gegenüber. Zwar trafen auch auf deutscher Seite einige Verstärkungen ein, doch weder Infanterie noch Artillerie konnte sich an Zahl mit dem Gegner messen. Diese zählte außerdem beim Feinde besonders viel schwere Kaliber und wurde durch eine anfänglich weit überlegene Luftaufklärung unterstützt. Trotz größtem Schneid vermochten unsere Flieger mit den vorerst zu Gebote stehenden Maschinen den schwer bewaffneten Kampfflugzeugen der Franzosen nicht gleichwertig entgegenzutreten.
Die Kämpfe im einzelnen zu schildern, ist hier nicht der Platz.
In den Regimentsgeschichten der beteiligten Truppen werden diese Tage eine Glanzzeit des Heldentums und der Entsagung sein. Gerade hier zeigte der einzelne, was er wert war. Ein Leutnants- und Soldatenkrieg spielte sich in den Gräben und Ruinen ab.
Vergeblich versuchte man am 12. Mai die Verbindung mit Carency zu verbessern. Moulin Malon, das die Franzosen wiedergenommen haben, wird am Morgen erneut erobert, aber ein Angriff bayerischer Jäger am Abend vom Kirchhof Souchez aus auf dem Höhenrande mißlingt.
Und zu dieser Zeit erfüllt sich das Schicksal der tapferen Verteidiger von Carency. Noch einmal hat in der Nacht vorher niederrheinische Landwehr sie mit einiger Verpflegung und Munition versehen, dann aber ist der Feind auf der Höhe 125 nördlich des Dorfes durchgebrochen. Einige Häusergruppen sind in seiner Hand. Bei Einbruch der Dunkelheit dringen von Osten Zuaven ein und reichen den Sturmkolonnen der anderen Fronten die Hand. Die letzten Tapferen fallen in Feindesgewalt. Gleichzeitig nimmt der Feind wieder Moulin Malon. Damit ist der Besitz des Hauptteils von Ablain wertlos geworden. Der hier kommandierende General befiehlt, das Dorf bis zur Kirche zu räumen, wo Anschluß an die Lorettostellung ist. Ohne gedrängt zu werden, gelingt den Badenern die schwierige Ausführung. Auch oben auf der Lorettohöhe nahm der Feind an diesem Tage die Steinhaufen, der die Reste der Kapelle darstellte. Weitere Vorstöße von dort herab führten zur Vernichtung der Franzosen. Ein tapferes schlesisches Reserveregiment konnte sogar im Sturm in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai wieder einen Teil der Gräben auf der Höhe nehmen, nachdem am Abend ein Angriff von fünf französischen Bataillonen an der Straße Souchez - Aix-Noulette abgewiesen wurde.
Nur wer die Lorettohöhe gesehen hat, kann ermessen, was unsere Truppen in diesen Kämpfen geleistet haben. Vor allem aber versteht es der zu würdigen, der sie kennt aus der Oktoberzeit vorigen Jahres, als die stattliche Allee von Souchez nach Aix-Noulette mit ihren mächtigen belaubten Baumkronen zwischen den in den glänzenden Farben des Herbstlaubes prangenden Gehölzen an der Höhe entlang führte, auf der zahlreiche lebende Hecken die Steilabfälle besetzten und die Grenzen frisch bestellter Felder bildeten. Und jetzt im Frühling kein Laub mehr an diesen Hecken und Bäumen, von denen nur einzelne Stümpfe in die Luft ragen, grau und kahl, ohne Graswuchs liegt die Höhe da, ein Trichter schwerer Geschosse und Wurfminen liegt neben den anderen! Wo sie tiefer eingedrungen sind, da haben sie den Kalkstein aufgewühlt und weiße Flecke hingeworfen auf den Berghang. Die weißen Striche der Schützen- und Laufgräben aber sind fast verschwunden, denn das feindliche Feuer hat gut gearbeitet, unsere Leute jeden Schutzes zu berauben. Von dem, was einst ein Waldstück östlich der großen Straße war, zieht eine Mulde gegen die Kapelle hinauf. "Schlammulde" hieß sie bezeichnenderweise auf unseren Karten; redlich hatte sie sich im feuchten Winter Nordfrankreichs diesen Namen verdient. Als gedeckter Annäherungsweg auf die Höhe war sie damals unersetzlich. In ihr hatte deutsche Pietät den zahlreichen gefallenen Kameraden dicht am Feind schön geschmückte Kirchhöfe errichtet. Nun rissen die feindIichen Granaten unsere Helden aus der Ruhe. Die Schlammulde bildete nach dem Verluste der Kapelle die Hauptverteidigungsstellung unserer Infanterie auf dem Osthang der Lorettohöhe. Nicht nur mit Front nach Nordwesten, sondern auch gegen die Höhe zu und bald mit Front nach Südosten ward dieser schmale, von allen Seiten durch Feuer umfaßte, von der Kapelle der Länge nach bestrichene Raum zum Brennpunkt des Kampfes. Eine Hölle war es für die badischen, sächsischen und schlesischen Truppen, die hier standen und, fortwährend beschossen, Tag und Nacht angegriffen, ohne Wasser und ohne warme Nahrung aushielten. Aber sie haben nicht nur ausgehalten, immer wieder gingen sie zum Angriff vor, brachten täglich Gefangene ein, am 18. Mai sogar zwei Maschinengewehre. Trefflich unterstützte sie unsere brave Artillerie in dieser schweren Zeit, zum Ruhmesfeld vollends wurde die Lorettohöhe für unsere Pioniere. Was diese Truppe in opfermütiger Arbeit, in heldenhaftem Kampfe hat geleistet hat, wird unvergeßlich bleiben.
Dieselbe Rolle spielte südlich der Lorettokapelle der sogenannte "Barrikadenweg", der von der Höhe gegen die Kirche von Ablain herabführt. Seine Verteidiger befanden sich in nicht besserer Lage als die Kameraden in der Schlammulde. Ja sie wurde sogar noch schlechter, als die feindliche Stellung bei den Ruinen der Kapelle stärker wurde. Von hier aus kam man in den Rücken der deutschen Gräben. Immer wieder versuchten es die Franzosen. Am 21. Mai gelang es. Der Barrikadenweg fiel in ihre Hand.
Anders spielte sich bei Neuville die Schlacht ab. Der Häuserkampf nahm hier einen besonders hartnäckigen Charakter durch eine Eigenart des Dorfes an. Unter ihm durchfurchten das Kalkgestein die Gänge und Höhlen alter Bergwerke. Als Unterstände ausgebaut, boten sie selbst gegen schwere Beschießung sicheren Schutz. Deutsche und Franzosen nützten ihn aus. So konnte man wochenlang ausharren gegenüber dem Feind, den nur eine schmale Straße von den Mauerresten trennte, die die eigene Stellung bildeten. Minenwerfer und Feldgeschütze standen in vorderster Linie. Immer wieder griff man mit ihrer Hilfe die Trümmerhaufen an, ohne daß der Besitzstand wesentlich wechselte. Bayern, Badenser und Lothringer wetteiferten in diesen Kämpfen. Jetzt kam rheinländische Unterstützung. Der auf diesem Abschnitt des Schlachtfeldes den einheitlichen Befehl führende General beschloß, am 22. Mai mit diesen Truppen das Gelände zwischen Neuville und dem Labyrinth zu säubern und möglichst viel vom Dorf zurückzuerobern. Der Abendangriff hatte teilweise Erfolg. Einige Häusergruppen und Gräben fielen in unsere Hand, 2 Maschinengewehre und 100 Gefangene nahm ein niederrheinisches Regiment.
Der wichtigste Erfolg aber war, daß, wie sich ergab, man gerade in die Vorbereitungen zu einem großen französischen Angriff hineingestoßen war und sie erheblich gestört hatte.
Daß er bald kommen würde, wußte man ja. Stand doch Pfingsten vor der Tür. Hohe Feste aber, das war Erfahrung, lockten den Feind stets zum Angriff.
In der Zwischenzeit waren die Engländer nicht ganz untätig geblieben. Von ihren Schlägen am 9. Mai hatten sie sich zwar nicht so rasch erholt wie die Franzosen. Erst am 14. Mai veranlaßten starkes englisches Artilleriefeuer und andere Wahrnehmungen den Kronprinzen von Bayern, Maßnahmen gegen einen Angriff anzuordnen. Die Kunst des Verteidigers, vorauszusehen, was der Feind will, bewährte sich.
Als nach heftigster Artillerievorbereitung am frühesten Morgen des 16. Mai zwei englische Divisionen südlich der Straße La Bassée-Estaires angriffen, waren die vom Oberkommando entsandten Verstärkungen bereits im Eintreffen hinter der dünnen Linie begriffen, die bisher hier gestanden war. Die Brustwehren der wegen des Grundwassers nur 40 Zentimeter in den Boden zugeschnittenen Gräben hatte das Artilleriefeuer hinweggefegt. Trotzdem schlug ein westfälisches Bataillon in der Mitte der Angriffsfront den Sturm ohne weiteres ab, rechts und links davon brach der weit überlegene Feind durch. Seinen Massen gegenüber versuchten tapfer, aber vergeblich sächsische Bataillone den Feind zurückzuwerfen. Gewaltiges Artilleriefeuer brachte ihn zum Stehen. Der hier kommandierende General befahl dem vereinzelt vorne stehenden Bataillon am 17. Mai, die unhaltbar gewordene Stellung zu räumen. So nahmen die Engländer am Wald südlich Neuve-Chapelle bis La Quinque Rue 3 Kilometer unserer vorderen Stellung in Besitz, aber dicht dahinter, in der zweiten Linie, standen die Unseren. Weiter nördlich war jeder Versuch vergeblich gewesen. Unter dem Gesang der Wacht am Rhein hatten die Westfalen dort die Sturmkolonnen niedergeschmettert und waren keinen Schritt abwichen, als ihre Nachbarn zurück mußten.
Teilangriffe am 17. und große Stürme am 18. Mai gegen unsere zweite Linie hatten auf der ganzen Front denselben Mißerfolg. Mit großer Tapferkeit, aber in ungelenken dichten Massen versuchte die englische Infanterie uns zu überrennen. Wie musterhaft unsere Artillerie mitwirkte, beweist ein schriftlicher Dank, den die Musketiere eines westfälischen Infanterieregiments den Kanonieren ihres Nachbar-Feldartillerieregiments zusandten. Es hatte seine volle Pflicht getan. Dreimal wurde ein Offizier verwundet, ohne daß er seine Geschütze verließ. Trotzdem war der Kampf nicht leicht. Schwere Verluste erlitt das meist aus Lippe stammende Infanterieregiment bei der Abwehr der Engländer. Singend aber rückte es nachts nach zehntägigem Halten in vorderer Linie in die Ablösungsquartiere und stand am nächsten Morgen zusammengeschmolzen und zerrissen, aber siegesbewußt und ungebrochen in Parade vor seinem Landesherrn.
Weiter südlich hatten pfälzische Bataillone und hannoveranische Landwehr wiederholte Stürme abgeschlagen.
Dasselbe Schicksal fanden die Wiederholungen der englischen Angriffe, die aber erst am 21. Mai einsetzten und besonders heftig in der folgenden Nacht fortdauerten. Eine indische Brigade griff östlich Richebourg l´Avoué an, 50 bis 60 Gurkhas von ihr drangen in ein Einzelgehöft ein und wurden niedergemacht. Nur fiel ein kleines Grabenstück gegenüber Festubert in Feindeshand.
Die Kraft zu wirklich großen Offensivstößen der hier versammelten englischen Armee hat damit aber überhaupt ihr Ende gefunden. Das I., IV. englische und das indische Armeekorps hatten sich eine Schlappe geholt, die ihr Gehalt an innerer Kraft nicht mehr zu überwinden vermochte.
Wieder konnte in diesem vierzehntägigen Zeitabschnitt General Joffre ebensowenig wie am 9. Mai zufrieden sein mit dem, was seine Verbündeten geleistet hatten. Die Erfolge der Engländer waren gering. Nicht einmal einen einzigen deutschen Soldaten hatten sie von dem Punkt weggezogen, an dem Frankreich das Schicksal des Krieges noch immer zu wenden hoffte. Jetzt, vierzehn Tage nach Beginn der Schlacht, hatte es 20 starke Infanteriedivisionen zur Stelle, große Kavalleriemassen zur Ausnutzung des Durchbruchs dahinter bereit.
Noch herrschte, so sagten die Gefangenen aus, Zuversicht in den französischen Reihen, daß der Durchbruch gelingen würde. Noch war der französische Führer nicht bereit, seinen Plan aufzugeben.
Es bedurft neuer Beweise deutscher Kraft und deutschen Heldenmuts, ihn davon zu überzeugen, daß sein Spiel verloren war.

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

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