Der
Fortgang der Durchbruchsschlacht
Berlin,
11. Mai.
Aus dem Großen Hauptquartier erhält die "Frankfurter
Zeitung" über den Fortgang
der Durchbruchsschlacht in Westgalizien, die den Namen
"Schlacht von Gorlice-Tarnow" tragen wird, folgende
weitere telegraphische Mitteilung:
Am Abend des 4. Mai war der taktische Durchbruch vollendet.
Trotz des Einsatzes namhafter Reserven und trotze aller
Vorbereitungen der zweiten, dritten und vierten Linien war der Feind
geschlagen und im vollen Rückzug über die Wisloka. Wie der
offizielle russische Bericht selbst zugibt.
war die Truppe vor allem durch die außerordentliche Wirkung der
schweren Artillerie der Verbündeten stark erschüttert. Am Morgen
des 5. Mai meldeten die Flieger, die durch ihre Unermüdlichkeit und
ausgezeichneten Meldungen die Führung außerordentlich unterstützten
und deren Tätigkeit durch die warme, unverwüstliche Maiensonne
ganz wesentlich begünstigt wurde, den Rückzug des Feindes auf
allen von Jaslo nach Osten und Norden führenden Straßen. Sie waren
sämtlich von in großer Unordnung abziehenden Kolonnen bedeckt. Die
Straßenbrücken Jaslos brannten, die Eisenbahnbrücken über die
Ropa und Wisloka waren gesprengt. Nun war kein Zweifel mehr, daß
der Feind nicht mehr die Kraft besaß, die Wisloka-Linie zu
verteidigen. Der Verzicht auf die Behauptung dieser Linie mußte
aber von der weittragendsten Bedeutung für die russische
Nachbararmee werden, deren Stellungen im nördlichsten Zipfel
Ungarns nunmehr unhaltbar wurden. Die strategische Wirkung des
Durchbruches mußte sich jetzt fühlbar machen und die Aufrollung
der russischen Karpathenfront bis zum Lupkowsattel als Frucht des
gelungenen Durchbruches dem Sieger in den Schoß fallen.
Zögerte der Feind mit dem Abzuge, dann wurden ihm die rückwärtigen
Verbindungen verlegt und seine im Gebirge stehenden Truppen
abgeschnitten. Tatsächlich brachte der Telegraph von der
benachbarten Armee des Generals der Infanterie Boroevic v. Bojna
schon am frühen Morgen die Kunde, daß der vor ihr gewesene Feind
in der Nacht vom 4. zum 5. Mai den Abmarsch nach Norden angetreten
habe, und daß er sich nahezu vor der ganzen Front im eiligen,
teilweise fluchtartigen Rückzuge befinde. Die dritte österreichische
Armee folgte dem Feinde auf dem Fuße. Um diesem aber womöglich
noch die Rückzugsstraße zu verlegen, ließ der den rechten Flügel
der Armee Mackensen befehligende General v. Emmich seine Truppen,
die bei Zmigrod trotz des eiligen Abzugs der Russen die Wislokabrücke
noch unversehrt gefunden hatten, in einem Gewaltmarsch bis zur
Jasiolka nördlich Dukla vorrücken, so daß seine Kanonen am Abend
dieses Tages die Stadt Dukla und die von dem gleichnamigen
vielgenannten Passe heranführende Gebirgsstraße unter Feuer
nahmen. Während Hannoveraner und Bayern die Wacht gegen die
Karpathen hielten, damit aus ihnen nichts nach Norden entschlüpfe,
stand im Rücken der deutschen Truppen noch ein schanzender Feind.
Im übrigen rückte die Mitte des linken Flügels der Armee
Mackensen an diesem Tage, gegen
feindliche Nachhuten kämpfend, an die Wisloka heran. Am 6. Mai
vollzog die Masse der Armee den Übergang über den Fluß. Der Feind
versuchte, preußischen Garde-Regimentern die östlichen Uferhöhen
streitig zu machen; er wurde angegriffen und ließ fünfzehn
Feldkanonen sowie zwei schwere Geschütze in der Hand des Siegers.
Gardetruppen hatten bis dahin allein 12000 Gefangene gemacht, drei
Geschütze und 45 Maschinengewehre erbeutet. In engster
Zusammenarbeit mit Mackensen überschritt die Armee des Erzherzogs
Josef Ferdinand am 6. Mai mit ihrem rechten Flügel die Wisloka. Die
zehnte österreichische Division, die sich unter Führung ihres
Kommandeurs, des Generals v. Mecensessy, während der sämtlichen
bisherigen Kämpfe ganz besonders ausgezeichnet hatte, setzte sich
am 7. Mai nach einem erbitterten Straßenkampfe in todesmutigem
Sturm in den Besitz der Stadt Brzostek, die die Russen hartnäckig
verteidigt hatten.
Die Mitte und der linke Flügel der österreichischen Armee warfen
den Feind aus verschiedenen zäh verteidigten Nachhutstellungen und
setzten den Vormarsch fort. Die erzherzogliche Armee hatte bis zum
Abend dieses Tages 16000 Gefangene gemacht, 6 Geschütze und 31
Maschinengewehre erbeutet.
Die "Frankfurter Zeitung" schreibt dazu:
Der siegreiche Vorstoß in Galizien prägt sich immer klarer als
eine der großen Entscheidungen des Krieges aus. Eine Woche erst ist
seit dem für den Feind völlig überraschenden Angriff auf seine
Stellungen am Dunajec verflossen und schon ist die Zahl der
Gefangenen - die für den Laien verständlichste und greifbarste
Frucht des Sieges - auf 100000 gestiegen. Und immer noch heißt es:
Die Verfolgung geht vorwärts. Tatsächlich ist jetzt schon der von
den verbündeten Heeren errungene Geländegewinn weit wichtiger als
jede Beute an Menschen und Maschinen. Dabei geht es von Tag zu Tag
voran, immer dichter ballen sich auf den bedrohten Rückzugsstraßen
die russischen Scharen zusammen, immer näher folgt ihnen auf den
Fersen die Verfolgung.
Die heutigen Tagesberichte lassen ungefähr die Stellungen erkennen,
die augenblicklich unsere Truppen besetzt halten. Östlich des
Unterlaufs der Wisloka stehen österreichisch-ungarische Truppen,
die dort den gegen die Weichsel abziehenden Feind bedrängen. Im
Zentrum ist die deutsche Armee Mackensen über den Wislok, den sie
vorgestern bei Krosno überschritten hat, weit vorgedrungen bis zur
Stobnica, einem Nebenfluß der südlich von Rzeszow, dort, wo der
Fluß eine nach Osten gerichtete Schleife macht, in den Wislok mündenden
Brzezanka. Südöstlich schließen die Stellungen der Armee von
Boroevic an, die dort die um Sanok und Lisko zusammengepreßten
Russen von Süden bedrängt. Sanok liegt südöstlich von Krosno,
dort, wo auf unserer Karte ein Nebenfluß von Westen in den San einmündet,
Lisko etwa zwölf Kilometer südöstlich davon am San. Der Stadt
Lisko gegenüber stehen die österreichisch-ungarischen Truppen auf
etwa 14 km Entfernung westlich bei Bukowsko und südlich bei
Baligrod, das etwa 16 Kilometer nordöstlich vom Lupkowpaß liegt.
Etwa 30 Kilometer weiter in ostsüdöstlicher Richtung liegt in 688
Meter Höhe Dwernik (auf unserer Karte nördlich des Punktes 1303);
hier haben die Truppen unserer Verbündeten bereits die Ufer des San
erreicht.
Der heutige Bericht wie die der letzten Tage lassen eine erhöhte
Gefechtstätigkeit auch in Ostgalizien erkennen. (Ottynia, das heute
erwähnt wird, liegt etwa 20 Kilometer südöstlich von Stanislau.)
Von dort aus und von der Grenze der Bukowina macht sich ein neuer
Druck auf die russischen Heere in Galizien geltend, dessen Wirkungen
bald sichtbar werden dürften.
Nach kurzer Pause haben die deutschen Truppen vor Ypern ihre
heftigen Angriffe wieder aufgenommen. Zahlreiche Gehöfte und
wichtige Stellungen sind in den drei letzten Tagen genommen worden,
und der deutsche Ring ist nun bis auf drei Kilometer Entfernung an
die Wälle der Stadt herangeschoben worden. In England hat man den
Ernst der Lage um Ypern erkannt und gibt offen zu, daß die
Deutschen ihrem Ziel unaufhaltsam näher kommen.
Die Angriffe, die zur Erleichterung der Ypern verteidigenden Armee
im Südwesten der Stadt von den Engländern angesetzt worden sind,
haben sich zu einer Offensivhandlung der Verbündeten in großem
Stil entwickelt. Die Angriffsfront ist der Abschnitt Armentieres -
Arras. Es hat den Anschein, als habe nunmehr die mit so großer
Reklame angekündigte "umständehalber" stark verspätete
"Frühjahrsoffensive" unserer Gegner ihren Anfang
genommen. Bei Armentieres springt die Nordwestfront der Verbündeten
am weitesten nach Osten vor. Ein Durchbruch in diesem Abschnitt würde
Lille unmittelbar bedrohen, würde unsere in dem Winkel Albert-
Roye-Soissons stehenden Heeresteile in Bedrängnis bringen und
unsere rückwärtigen Verbindungen in Belgien gefährden. Der Plan
ist also nicht schlecht, aber, wie wir feststellen können, bis
jetzt durchaus mißlungen. In der nördlichen Hälfte der genannten
Linie sind alle Angriffe abgeschlagen worden und in der südlichen
steht der noch andauernde Kampf für uns günstig. Eine Überrumpelung
ist dem Feind nicht geglückt. Die Tatsache, daß wir ungeachtet
dieser Offensive unsere Angriffskämpfe gegen Ypern fortsetzen können,
beweist die vollkommene Überlegenheit der deutschen Armee. |