Der Weltkrieg am 11. Mai 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Die russischen Linien in Galizien erneut durchbrochen

Großes Hauptquartier, 11. Mai.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Gestern Vormittag wurde vor Westende ein englisches Linienschiff durch unser Feuer vertrieben. 
Östlich Ypern machten wir weitere Fortschritte und erbeuteten fünf Maschinengewehre. Südwestlich Lille setzten die Franzosen ihre Angriffe auf die Lorettohöhe und die Orte Ablain und Carency fort. Sämtliche Angriffe wurden abgeschlagen. Die Zahl der von uns hier gemachten Gefangenen erhöht sich auf 800. Zwischen Carency und Neuville hielten die Franzosen die von ihnen genommenen Gräben noch im Besitz. Der Kampf dauert hier fort. Ein englisches Flugzeug wurde südwestlich Lille heruntergeschossen. 
Nordwestlich Berry-au-Bac in den Waldungen südlich La Ville-au-Bois stürmten unsere Truppen gestern eine aus zwei hintereinander liegenden Linien bestehende Stellung in Breite von 400 Metern, machten dabei eine Anzahl unverwundbar Gefangener und erbeuteten zwei Minenwerfer mit viel Munition. Feindliche Infanterieangriffe nördlich Flirey und im Priesterwalde scheiterten unter erheblichen Verlusten für den Gegner.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Die Lage ist unverändert.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Die Russen versuchten gestern in der Linie Besko-Brzozow an der Stobnica - Brzezanka-Abschnitt - Ropezyce (östlich Debica - Szczucin an der Weichsel) die Versorgung der Armeen des Generalobersten v. Mackensen zum Stehen zu bringen. Diese Absicht ist völlig gescheitert. Gegen Abend waren die russischen Linien an vielen Stellen, insbesondere bei Besko und zwischen Brzozow und Lutcza durchbrochen, nachdem am Vormittag bereits ein verzweifelter Angriff mehrerer russischer Divisionen von Sanok in Richtung Besko unter schwersten Verlusten für den Feind gescheitert war. Die Verfolgung wird fortgesetzt.

    Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der Fortgang der Durchbruchsschlacht

Berlin, 11. Mai.
Aus dem Großen Hauptquartier erhält die "Frankfurter Zeitung" über den Fortgang der Durchbruchsschlacht in Westgalizien, die den Namen "Schlacht von Gorlice-Tarnow" tragen wird, folgende weitere telegraphische Mitteilung:
Am Abend des 4. Mai war der taktische Durchbruch vollendet. Trotz des Einsatzes namhafter Reserven und trotze aller Vorbereitungen der zweiten, dritten und vierten Linien war der Feind geschlagen und im vollen Rückzug über die Wisloka. Wie der offizielle russische Bericht selbst zugibt.
war die Truppe vor allem durch die außerordentliche Wirkung der schweren Artillerie der Verbündeten stark erschüttert. Am Morgen des 5. Mai meldeten die Flieger, die durch ihre Unermüdlichkeit und ausgezeichneten Meldungen die Führung außerordentlich unterstützten und deren Tätigkeit durch die warme, unverwüstliche Maiensonne ganz wesentlich begünstigt wurde, den Rückzug des Feindes auf allen von Jaslo nach Osten und Norden führenden Straßen. Sie waren sämtlich von in großer Unordnung abziehenden Kolonnen bedeckt. Die Straßenbrücken Jaslos brannten, die Eisenbahnbrücken über die Ropa und Wisloka waren gesprengt. Nun war kein Zweifel mehr, daß der Feind nicht mehr die Kraft besaß, die Wisloka-Linie zu verteidigen. Der Verzicht auf die Behauptung dieser Linie mußte aber von der weittragendsten Bedeutung für die russische Nachbararmee werden, deren Stellungen im nördlichsten Zipfel Ungarns nunmehr unhaltbar wurden. Die strategische Wirkung des Durchbruches mußte sich jetzt fühlbar machen und die Aufrollung der russischen Karpathenfront bis zum Lupkowsattel als Frucht des gelungenen Durchbruches dem Sieger in den Schoß fallen.
Zögerte der Feind mit dem Abzuge, dann wurden ihm die rückwärtigen Verbindungen verlegt und seine im Gebirge stehenden Truppen abgeschnitten. Tatsächlich brachte der Telegraph von der benachbarten Armee des Generals der Infanterie Boroevic v. Bojna schon am frühen Morgen die Kunde, daß der vor ihr gewesene Feind in der Nacht vom 4. zum 5. Mai den Abmarsch nach Norden angetreten habe, und daß er sich nahezu vor der ganzen Front im eiligen, teilweise fluchtartigen Rückzuge befinde. Die dritte österreichische Armee folgte dem Feinde auf dem Fuße. Um diesem aber womöglich noch die Rückzugsstraße zu verlegen, ließ der den rechten Flügel der Armee Mackensen befehligende General v. Emmich seine Truppen, die bei Zmigrod trotz des eiligen Abzugs der Russen die Wislokabrücke noch unversehrt gefunden hatten, in einem Gewaltmarsch bis zur Jasiolka nördlich Dukla vorrücken, so daß seine Kanonen am Abend dieses Tages die Stadt Dukla und die von dem gleichnamigen vielgenannten Passe heranführende Gebirgsstraße unter Feuer nahmen. Während Hannoveraner und Bayern die Wacht gegen die Karpathen hielten, damit aus ihnen nichts nach Norden entschlüpfe, stand im Rücken der deutschen Truppen noch ein schanzender Feind. Im übrigen rückte die Mitte des linken Flügels der Armee Mackensen an diesem Tage, gegen
feindliche Nachhuten kämpfend, an die Wisloka heran. Am 6. Mai vollzog die Masse der Armee den Übergang über den Fluß. Der Feind versuchte, preußischen Garde-Regimentern die östlichen Uferhöhen streitig zu machen; er wurde angegriffen und ließ fünfzehn Feldkanonen sowie zwei schwere Geschütze in der Hand des Siegers. Gardetruppen hatten bis dahin allein 12000 Gefangene gemacht, drei Geschütze und 45 Maschinengewehre erbeutet. In engster Zusammenarbeit mit Mackensen überschritt die Armee des Erzherzogs Josef Ferdinand am 6. Mai mit ihrem rechten Flügel die Wisloka. Die zehnte österreichische Division, die sich unter Führung ihres Kommandeurs, des Generals v. Mecensessy, während der sämtlichen bisherigen Kämpfe ganz besonders ausgezeichnet hatte, setzte sich am 7. Mai nach einem erbitterten Straßenkampfe in todesmutigem Sturm in den Besitz der Stadt Brzostek, die die Russen hartnäckig verteidigt hatten.
Die Mitte und der linke Flügel der österreichischen Armee warfen den Feind aus verschiedenen zäh verteidigten Nachhutstellungen und setzten den Vormarsch fort. Die erzherzogliche Armee hatte bis zum Abend dieses Tages 16000 Gefangene gemacht, 6 Geschütze und 31 Maschinengewehre erbeutet. 

Die "Frankfurter Zeitung" schreibt dazu:
Der siegreiche Vorstoß in Galizien prägt sich immer klarer als eine der großen Entscheidungen des Krieges aus. Eine Woche erst ist seit dem für den Feind völlig überraschenden Angriff auf seine Stellungen am Dunajec verflossen und schon ist die Zahl der Gefangenen - die für den Laien verständlichste und greifbarste Frucht des Sieges - auf 100000 gestiegen. Und immer noch heißt es: Die Verfolgung geht vorwärts. Tatsächlich ist jetzt schon der von den verbündeten Heeren errungene Geländegewinn weit wichtiger als jede Beute an Menschen und Maschinen. Dabei geht es von Tag zu Tag voran, immer dichter ballen sich auf den bedrohten Rückzugsstraßen die russischen Scharen zusammen, immer näher folgt ihnen auf den Fersen die Verfolgung.
Die heutigen Tagesberichte lassen ungefähr die Stellungen erkennen, die augenblicklich unsere Truppen besetzt halten. Östlich des Unterlaufs der Wisloka stehen österreichisch-ungarische Truppen, die dort den gegen die Weichsel abziehenden Feind bedrängen. Im Zentrum ist die deutsche Armee Mackensen über den Wislok, den sie vorgestern bei Krosno überschritten hat, weit vorgedrungen bis zur Stobnica, einem Nebenfluß der südlich von Rzeszow, dort, wo der Fluß eine nach Osten gerichtete Schleife macht, in den Wislok mündenden Brzezanka. Südöstlich schließen die Stellungen der Armee von Boroevic an, die dort die um Sanok und Lisko zusammengepreßten Russen von Süden bedrängt. Sanok liegt südöstlich von Krosno, dort, wo auf unserer Karte ein Nebenfluß von Westen in den San einmündet, Lisko etwa zwölf Kilometer südöstlich davon am San. Der Stadt Lisko gegenüber stehen die österreichisch-ungarischen Truppen auf etwa 14 km Entfernung westlich bei Bukowsko und südlich bei Baligrod, das etwa 16 Kilometer nordöstlich vom Lupkowpaß liegt. Etwa 30 Kilometer weiter in ostsüdöstlicher Richtung liegt in 688 Meter Höhe Dwernik (auf unserer Karte nördlich des Punktes 1303); hier haben die Truppen unserer Verbündeten bereits die Ufer des San erreicht.
Der heutige Bericht wie die der letzten Tage lassen eine erhöhte Gefechtstätigkeit auch in Ostgalizien erkennen. (Ottynia, das heute erwähnt wird, liegt etwa 20 Kilometer südöstlich von Stanislau.) Von dort aus und von der Grenze der Bukowina macht sich ein neuer Druck auf die russischen Heere in Galizien geltend, dessen Wirkungen bald sichtbar werden dürften.
Nach kurzer Pause haben die deutschen Truppen vor Ypern ihre heftigen Angriffe wieder aufgenommen. Zahlreiche Gehöfte und wichtige Stellungen sind in den drei letzten Tagen genommen worden, und der deutsche Ring ist nun bis auf drei Kilometer Entfernung an die Wälle der Stadt herangeschoben worden. In England hat man den Ernst der Lage um Ypern erkannt und gibt offen zu, daß die Deutschen ihrem Ziel unaufhaltsam näher kommen.
Die Angriffe, die zur Erleichterung der Ypern verteidigenden Armee im Südwesten der Stadt von den Engländern angesetzt worden sind, haben sich zu einer Offensivhandlung der Verbündeten in großem Stil entwickelt. Die Angriffsfront ist der Abschnitt Armentieres - Arras. Es hat den Anschein, als habe nunmehr die mit so großer Reklame angekündigte "umständehalber" stark verspätete "Frühjahrsoffensive" unserer Gegner ihren Anfang genommen. Bei Armentieres springt die Nordwestfront der Verbündeten am weitesten nach Osten vor. Ein Durchbruch in diesem Abschnitt würde Lille unmittelbar bedrohen, würde unsere in dem Winkel Albert- Roye-Soissons stehenden Heeresteile in Bedrängnis bringen und unsere rückwärtigen Verbindungen in Belgien gefährden. Der Plan ist also nicht schlecht, aber, wie wir feststellen können, bis jetzt durchaus mißlungen. In der nördlichen Hälfte der genannten Linie sind alle Angriffe abgeschlagen worden und in der südlichen steht der noch andauernde Kampf für uns günstig. Eine Überrumpelung ist dem Feind nicht geglückt. Die Tatsache, daß wir ungeachtet dieser Offensive unsere Angriffskämpfe gegen Ypern fortsetzen können, beweist die vollkommene Überlegenheit der deutschen Armee.

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Russischer Rückzug in Südpolen

Wien, 11. Mai, mittags.
Amtlich wird verlautbart:
In den Kämpfen der letzten zwei Tage haben unsere Truppen die russische Schlachtlinie bei Debica durchbrochen. Hierdurch wurden die südlich der Weichsel kämpfenden starken russischen Kräfte zum schleunigen Rückzug hinter die untere Wisloka gezwungen. Die Tragweite dieser Ereignisse wird klar durch die seit heute früh vorliegenden Meldungen über den Rückzug des feindlichen Südflügels in Russisch-Polen. Die stark befestigte Nida-Front wird vom Gegner als unhaltbar erkannt und eiligst geräumt. Wie der Erfolg bei Gorlice und Jaslo sich auf die Karpathenfront übertrug, so beeinflußt jener der Armee des Erzherzogs Josef Ferdinand bei Tarnow und Debica die Situation in Russisch-Polen. In Mittel-Galizien dringen unsere und die deutschen Truppen unter fortwährenden erfolgreichen Kämpfen den Trümmern der geschlagenen russischen Korps gegen den San-Abschnitt Dynow-Sanok nach. Ein versuchter russischer Gegenangriff von zirka drei Divisionen von Sanok entlang der Bahn gegen Westen wurde unter schweren Verlusten des Feindes blutig zurückgeschlagen und die Verfolgung fortgesetzt. Gefangenenzahl und Beute nehmen täglich zu. Die aus dem Waldgebirge vorgedrungenen Kolonnen haben bei Baligrod starken Gegner geworfen und mit Vortruppen den San bei Dwernik überschritten. Die russische achte Armee, die im allgemeinen zwischen Lupkow und Uzsok kämpfte, ist nunmehr mit beträchtlichen Teilen ebenfalls in die Niederlage verwickelt. In Südostgalizien sind die Russen in mehreren Abschnitten zum Angriff übergegangen. Ein Vorstoß starker Kräfte nördlich des Pruth auf Czernowitz wurde an der Reichsgrenze zurückgeschlagen; 620 Gefangene gemacht. Nördlich Horodenka gelang es feindlichen Abteilungen, am südlichen Dnjestr-Ufer Fuß zu fassen. Der Kampf dauert hier an.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)

 

Der 1. Weltkrieg im Mai 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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