Selbständige
Teilnahme der Ukrainer an Friedenskonferenz - Trotzki über den
Verzicht auf Stockholm
Trotzki
Brest-Litowsk,
10. Januar.
Die gestern unterbrochene Plenarsitzung wurde vormittags 11 Uhr
unter dem Vorsitz des Staatssekretärs v. Kühlmann fortgesetzt.
Erster Redner war der ukrainische Staatssekretär für Handel und
Industrie Holubowytsch. Er überreichte namens des
Generalsekretariats der Regierung der ukrainischen Volksrepublik
eine Note, welche die selbständige Stellung der Ukrainer bei den
jetzigen Friedensverhandlungen betont und das ukrainische
Friedensprogramm entwickelt. Der Vorsitzende, Staatssekretär v.
Kühlmann schlug darauf vor, daß die ukrainische Note als wichtiges
historisches Dokument den Akten des Kongresses einverleibt werde und
begrüßte die ukrainischen Vertreter. Die Vertreter der
verbündeten Mächte behielten sich ihre Stellungnahme zu den
Einzelheiten der Ausführungen der ukrainischen Delegierten vor.
Herr Trotzki gab hierauf folgende Erklärung ab: "In Kenntnis
der durch die ukrainische Delegation veröffentlichten Note des
Generalsekretariats der ukrainischen Volksrepublik erklärt die
russische Delegation ihrerseits, daß sie im vollen Einvernehmen mit
der grundsätzlichen Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes jeder
Nation bis zur vollen Lostrennung kein Hindernis für die Teilnahme
der ukrainischen Delegation an den Friedensverhandlungen findet.
Über die Bedeutung dieser Erklärung entspann sich eine längere
Diskussion, die schließlich in die Frage zusammengefaßt wurde, ob
die ukrainische Delegation eine Unterabteilung der russischen
Delegation darstelle, oder ob sie in diplomatischer Beziehung als
Vertretung eines selbständigen Staates zu behandeln sei. Diese
Frage wurde von Herrn Trotzki dahin beantwortet, daß er sie als
erledigt betrachte, da die ukrainische Delegation als eine
selbständige Vertretung hier aufgetreten, da diese Vertretung von
seiner Delegation anerkannt wurde, und da von keiner Seite ein
anderer Vorschlag gemacht worden sei.
Herr Trotzki erklärte dann weiter: "Fürs erste bestätigen
wir, daß wir im vollen Einvernehmen mit dem vorher gefaßten
Beschluß die Friedensverhandlungen weiterführen wollen, ganz
abgesehen davon, ob sich die Mächte der Entente anschließen oder
nicht. Wir nehmen die Erklärung der Delegationen des Vierbundes zur
Kenntnis, daß die Grundlagen des all-gemeinen Friedens, die in
ihrer Deklaration vom 25. Dezember formuliert waren, jetzt
hinfällig werden, da die Länder der Entente während der
zehntägigen Frist sich den Friedensverhandlungen nicht
angeschlossen haben. Wir unserseits halten an den von uns
proklamierten Grundsätzen des demokratischen Friedens fest."
Trotzki erwähnte dann jenen Teil der Rede des Grafen Hertling, in
der dieser außer auf das gute Recht und das loyale Gewissen auch
aus die Machtstellung Deutschlands hingewiesen habe. Die russische
Delegation habe weder die Möglichkeit noch die Absicht zu
bestreiten, daß ihr Land durch die Politik der bis vor kurzem
herrschenden Klassen geschwächt sei; aber die Weltstellung eines
Landes werde nicht nur durch den augenblicklichen Stand eines
technischen Apparates bestimmt, sondern auch durch die ihm
innewohnenden Möglichkeiten. Aber die russische Regierung habe an
die Spitze ihres Programms das Wort "Friede" geschrieben,
und die hohen Sympathien, welche das russische Volk den Völkern der
Verbündeten entgegenbringe, bestärken es in dem Wunsche, den
schleunigsten Frieden, der aus der Verständigung der Völker
begründet sein werde, zu erreichen. Um den Mächten des Vierbundes
den Vorwand eines Abbruches der Friedensverhandlungen aus
technischen Gründen zu entziehen, nehme die russische Delegation
die Forderung an, in Brest-Litowsk zu bleiben. Sie bleibe in
Brest-Litowsk, um keine Möglichkeit in dem Kampfe um den Frieden
unausgenutzt zu lassen.
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