Die
russische Offensive
Berlin,
13. Juni. (Priv.-Tel.)
Die von dem österreichischen Kriegspressequartier schon seit längerer
Zeit als sicher bevorstehend angekündigte russische Offensive in
Wolhynien, Galizien und der Bukowina ist seit mehreren Tagen mit
ungeheurer Wucht im Gange. Mit starkem Trommelfeuer haben die Russen
ihre unter großem Menscheneinsatz durchgeführten
Infanterieangriffe eingeleitet, und es läßt sich nicht leugnen, daß
die österreichisch-ungarischen Linien an verschiedenen Stellen
weit zurückgeschoben worden sind. Das ist in den amtlichen
Meldungen der österreichisch- ungarischen Heeresleitung auch offen
zugegeben worden. Die Russen melden nun eine sehr große Zahl von
Gefangenen, die sie gemacht haben wollen, und berichten auch über
viel Kriegsgerät, das ihnen in die Hände gefallen ist. Wieweit die
russischen Meldungen darüber der Wahrheit entsprechen, läßt sich
zurzeit nicht feststellen. Aber wenn auch von dem, was sie melden,
ein erheblicher Teil wird abgezogen werden müssen, so bleibt doch
bestehen, daß die Russen bei den bisherigen Kämpfen einen Erfolg
gegen unsere Bundesgenossen erzielt haben. Das Ziel der russischen
Offensive ist wohl gewesen, den österreichisch - ungarischen Flügel
aufzurollen und die Linien nach dem Muster, das wir bei Tarnow -
Gorlice gegeben haben, zu durchbrechen. Zweifellos ist ihnen das
nicht gelungen, wie sie es sich gedacht haben; denn vor den
deutschen Kräften, die im Verband der österreichisch - ungarischen
Truppen in Galizien kämpfen, sind, wie das in den deutschen und österreichischen
Heeresberichten auch festgestellt worden ist, die feindlichen
Angriffe abgeschlagen worden, und der russische Angriff ist zum
Stehen gekommen. Zwar suchen die Russen der aufhorchenden Welt
einzureden, daß unter den Gefangenen auch viele Deutsche seien,
aber sie werden damit nicht allzu viel Glauben finden, und die Zahl
der etwa in Gefangenschaft geratenen deutschen Truppen kann nur ganz
gering sein. Dieses Standhalten des unter dem Befehl des Generals
Bothmer kämpfenden Zentrums eröffnet aber die Hoffnung, daß, wie
so oft schon, auch diesmal die russische Offensive in Blut erstickt
werden wird, und wir können auch zuversichtlich erwarten, daß
unsere Heeresleitung und die Heeresleitung unserer Verbündeten
durch Gegenmaßnahmen alles tun werden, zu verhüten, daß die
Russen aus ihren ersten Erfolgen wirklich große strategische
Vorteile ziehen können. Die zahlenmäßige russische Übermacht hat
uns trotz mancherlei Teilerfolgen, die ihr vergönnt gewesen sind, während
dieses zweijährigen Krieges niemals geschreckt, und deshalb liegt
auch keinerlei Grund zu der Besorgnis vor, daß uns durch die
russische Offensive der Sieg streitig gemacht werden könnte. 2)
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