Die
"Frankfurter Zeitung" schreibt dazu:
Drei Wochen haben die siegreich vormarschierenden Heere der Verbündeten
gebraucht, um von Warschau und Iwangorod bis ins Zentrum der zweiten russischen
Linie vorzustoßen, in die Festung Brest-Litowsk, deren Werke heute
nacht im Sturme genommen wurden. Ein in der Kriegsgeschichte unerhörter
Zug war dieser Marsch, der über Festungen hinweg, deren Widerstand
nur nach Tagen bemessen war, über kunstvolle Feldstellungen, die
der weichende Feind an jedem Flußlauf, jedem Sumpf- und Waldrand
errichtete, hinter schwer erschütterten, aber immer noch zäh
sich wehrenden Truppen nach Osten führte. Ganze Heere marschierten
von Norden und Westen und Süden gegen die Festung los, die vor wenigen
Wochen noch als unerschütterlicher Fels im brandenden Meer gepriesen
wurde. Bald sahen freilich die Russen ein, daß diese Hoffnung trügerisch
sein würde, und als Kowno und Nowo-Georgiewsk fielen, bereiteten
sie die Welt darauf vor, daß Brest-Litowsk "geräumt"
werden solle, wie Warschau und Iwangorod, damit das kostbare Material
dem unwiderstehlichen Angreifer nicht in die Hände falle. Sicherlich
haben die Russen auch schon vor einiger Zeit diese Räumung begonnen,
die ihre früheren, noch vor kurzem öffentlich verkündeten
Verteidigungspläne über den Haufen werfen mußte. Aber
der Entschluß kam zu spät. Ehe sie die um Brest-Litowsk zusammengedrängten
Armeen in Sicherheit bringen konnten, die aus wenigen Rückzugsstraßen
nur langsam abfließen konnten, setzte der Sturm der Verbündeten
ein, dem die Werke der Festung am Bug nicht länger Widerstand geleistet
haben als die russischen Forts am Njemen, an der Weichsel und am Narew.
Ein gewaltiges Werk ist getan. Deutschland und seine Verbündeten
danken es den siegreichen Heeren, von denen vom Feldherrn bis zum Gemeinen
jeder Mann das Äußerste geleistet hat.
Brest-Litowsk war wohl die stärkste der russischen Festungen, da
es Herz und Hirn des mächtigen Festungssystems in Polen bedeutete.
Monatelang war es das Hauptquartier des Großfürsten, der Deutschland
mit halbasiatischen Reiterschwärmen zu überziehen träumte.
Das sorgfältig angelegte Netz strategischer Bahnen das den russisch-polnischen
Festungen als Rückgrat diente, lief in Brest-Litowsk zusammen, wo
die beiden Hauptleitungen des Verkehrs, die zwei Linien, die Moskau mit
dem Westen verbanden, zusammenmündeten. Mit der nördlichen Hauptlinie,
der Petersburg-Warschau-Bahn, war Brest-Litowsk durch eine als erstklassige
Linie ausgebaute Querbahn verbunden, die bei Bialystok einmündet;
diese Linie ist schon vor einigen Tagen von deutschen Truppen durchschnitten
worden. Nach Südosten führte eine ebenso ausgestattete Linie
nach den drei Festungen Luzk, Rowno und Dubno. Nach Westen verband ein
reich ausgebildetes System von Bahnen die Festung mit der Weichsel und
dem Narew; auch nach Süden führte eine Stichbahn, die bei Cholm
die Hauptlinie erreichte, die von Kiew nach Lublin und Iwangorod führte.
Schon durch die Kämpfe der letzten Wochen war dieses Netz immer mehr
gelockert, war eine Masche nach der andern den Russen entrissen worden.
Jetzt ist der letzte Halt, der sie noch mit den wertvollen Bahnen verband,
verloren.
Die Natur selber hatte den Platz, auf dem Nikolaus I. die russische Festung
errichten ließ, durch Flüsse und Sümpfe geschützt;
in den Bug ergießen sich hier von rechts und links je zwei Nebenflüsse,
deren Ufergelände stark versumpft ist. Die Kunst der Befestigung,
in der die Russen sich gewiß als Meister erwiesen haben, hat diese
Hindernisse noch stärker gemacht. Die russischen Feldzugspläne
haben sicherlich von Anfang an mit einem langen Widerstand gerade dieser
Festung gerechnet, da man die östlich von ihr liegenden legenden
in jeder Beziehung stark vernachlässigte. Erst 200 Kilometer weiter
östlich führt wieder eine Bahn nordsüdwärts; bis zu
ihrem Knotenpunkt mit der aus Brest-Litowsk nach Nordosten führenden
Hauptlinie (bei Baranowitschi) sind die zurückflutenden Truppen auf
die einzige Bahnlinie angewiesen. Hätte die russische Heeresverwaltung
schon im Frieden mit der Notwendigkeit gerechnet, daß sie jemals
Brest-Litowsk aufgeben müßte, so wäre sicherlich das Bahnnetz
auch im Rücken der Festung besser ausgebaut worden. Von der zweiten
Verteidigungslinie Rußlands, der festen Stellung am Bug und Njemen,
die durch Kowno, Grodno, Bialystok und Brest-Litowsk bezeichnet wurde,
sind nur noch Fetzen übriggeblieben. Die russische Armee, die diese
Reste bald aufgeben wird, findet nun keine solche Aufnahmestellung mehr.
Ihr steht zunächst ein Rückzug durch das Sumpffeld des Poljeßje
bevor, der einer Heeresleitung, die Hindenburg Strategie in Masuren kennen
gelernt hat, furchtbare Aussichten eröffnet. Die Ergebnisse des großen
Angriffs, dem nunmehr die letzten russischen Stellungen um Polen zum Opfer
gefallen sind, werden nun erst ganz von den Feldherrn der Verbündeten
ausgeschöpft werden.
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