Die
Operationen in Galizien
Berlin,
19. Mai.
Aus dem Großen Hauptquartier erhalten wir über den Fortgang der
Operationen in Galizien folgendes Telegramm:
Nachdem Fürst Radko Dimitriew, der geschlagene russische Heerführer,
in der Durchbruchsschlacht und während der anschließenden
Verfolgung der Verbündeten bis zum 12. Mai 140000 Gefangene, gegen
100 Geschütze und 300 Maschinengewehre eingebüßt hatte, befahl er
den Rückzug an den unteren San, der von Przemysl an bis zur Mündung
gehalten und aktiv verteidigt werden sollte. Hierzu hatte sich die
Armee, wie gefangene Offiziere aussagen, auf dem westlichen Flußufer
aufzustellen und bis zum äußersten zu halten. Ausdrücklich soll
in einem Armeebefehle auf angriffsweises Vorgehen gegen den Feind
hingewiesen worden sein. Theoretisch war eine solche
Verteidigungsweise wohl möglich, nachdem die Russen während der
vergangenen Monate im Weichsel-San-Bogen bei Sieniava, dann bei
Jaroslau und Radymno große stark ausgebaute Brückenköpfe auf dem
westlichen Flußufer angelegt hatten.
Die Ausführung des Befehls sollte sich aber praktisch als unausführbar
erweisen.
Die Truppe war durch die erlittene Niederlage und den Rückzug so
schwer erschüttert und durcheinander geraten, daß nur eine passive
Verteidigung der Sanlinie möglich wurde, fanden doch unsere gegen
den San vorrückenden Truppen unter den Gefangenen immer wieder
Versprengte aus allen möglichen Verbänden der russischen Front und
berichteten diese Gefangenen doch übereinstimmend, daß die
russischen Führer bestrebt seien, durcheinandergekommene Verbände
neu zu formieren ohne jede Rücksicht auf eine Rangierung nach früherer
Regiments-Zugehörigkeit. Von den verschiedensten Kriegsschauplätzen
her wurden die entbehrlich scheinenden Teile herangezogen und mit
der Bahn an den unteren San gebracht, so daß sich an dieser
Fluglinie den Verfolgern nicht weniger als 23 verschiedene
Infanteriedivisionen entgegenstellen sollten. Radko Dimitriew mußte
aber wohl inzwischen das Vertrauen in die Widerstandskraft eines großen
Teiles seiner bei Gorlic-Tarnow beteiligt gewesenen Truppen verloren
und die am schwersten erschütterten Verbände weit hinter den San
zurückgenommen haben. Denn unsere Flieger meldeten am 12. und 13.
Mai den Rückmarsch langer russischer Kolonnen vom unteren San nach
Osten und Nordosten.
Es blieb demnach im wesentlichen Aufgabe der neuangekommenen Verstärkungen,
den San zu halten, besonders den Brückenkopf von Jaroslau, auf
dessen Behauptung der russische Armeeführer viel Wert zu legen
schien. Am 14. Mai begannen die Verbündeten, die Przemysl von Süden
her abgeschlossen und längs der ganzen Sanlinie bis nahe an den Fluß
und dessen Brückenköpfe herangerückt waren, mit dem Angriff auf
Jaroslau. Der Feind hatte die Höhen westlich dieser Stadt zu einer
Art Festung ausgebaut. Von langer Hand vorbereitet zogen sich hier
die Schützengräben in weitem nach Westen gerichteten Bogen vom
Flusse durch die westlichen Vorstädte nach dem Meierhof und
Schlosse des Grafen von Schimienski und durch den Park zur
Jupajowkahöhe, die mit Schloß und Meierhof den Schlüsselpunkt der
Stellung bildete. Regimentern der preußischen Garde und des 6. österreichisch-ungarischen
Armeekorps war es vorbehalten, sich in den Besitz von Stadt und Brückenkopf
Jaroslau zu setzen. Die russischen Verteidiger bestanden aus der 62.
Division, zu deren Unterstützung Teile der 41. und 45. Division
beschleunigt herangeführt wurden, welche die dortigen
Befestigungsanlagen besetzten und durch Neuanlage von
Drahthindernissen in aller Eile noch weiter zu verstärken suchten.
In zweitägigem Kampfe entriß die Garde dem Feinde die Stadt
Jaroslau und warf ihn hinter den Fluß zurück, die Regimenter
Elisabeth und Alexander erstürmten untermischt mit österreichisch-ungarischen
Truppen im Nachtangriff Meierhof und Schloß samt Park, dessen
uralte Bäume von den Granaten gleich Streichhölzern geknickt, während
die umfangreichen Schloßbauten in Schutt und Asche gelegt wurden.
Das österreichische Linienregiment 56 und Honveds entrissen dem
Feinde den Gipfel der Jupajowkahöhe. Bei diesen Kämpfen fielen
etwa 4000 unverwundete Russen in Gefangenschaft, einzelne
Regimenter, wie z. B. das 247., wurden so gut wie aufgerieben und
bestehen nicht mehr.
Am Abend des 15. Mai war Jaroslau und der ganze Brückenkopf in der
Hand der Verbündeten. Die geräumige Stadt mit ihren alten
polnischen Renaissancebauten und der prächtigen neuen, in
byzantinischem Stile gehaltenen Kirche war erhalten geblieben. Die
Russen brannten die Brücken hinter sich ab, nachdem sie auch die
Bahnhofsanlagen den Flammen übergeben hatten. 1) |