Der
Reichskanzler über das österreichisch-ungarische Angebot an
Italien
Reichskanzler
v. Bethmann Hollweg
Berlin,
18. Mai 1915.
Der Reichstag ist heute wieder zu einer kurzen Sitzung
zusammengetreten. Nach einer Begrüßungsansprache des Präsidenten
Dr. Kämpf hielt der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg folgende
Rede:
Meine
Herren!
Ihnen ist bekannt, daß sich die Beziehungen zwischen Italien und
Österreich-Ungarn in den letzten Monaten stark zugespitzt haben.
Aus der gestrigen Rede des ungarischen Ministerpräsidenten Grafen
Tisza werden Sie entnommen haben, daß das Wiener Kabinett, in dem
aufrichtigen Bestreben, die ständige Freundschaft zwischen der
Doppelmonarchie und Italien zu sichern und den dauernden großen
Lebensinteressen beider Reiche Rechnung zu tragen, sich zu
weitgehenden Konzessionen, auch territorialer Natur, an Italien
entschlossen hat. Ich halte es für zweckmäßig, Ihnen diese
Konzessionen zu bezeichnen:
1. Der Teil von Tirol, der von Italienern bewohnt ist, wird an
Italien abgetreten.
2. ebenso das westliche Ufer des Isonzo, soweit die Bevölkerung
rein italienisch ist, und die Stadt Gradisca.
3. Triest soll zur kaiserlichen freien Stadt gemacht werden, eine
den italienischen Charakter der Stadt sichernde Stadtverwaltung
und eine italienische Universität erhalten,
4. die italienische Souveränität über Valona und die dazu gehörige
Interessensphäre soll anerkannt werden;
5. Österreich-Ungarn erklärt seine politische Uninteressiertheit
hinsichtlich Albaniens,
6. die nationalen Interessen der italienischen Staatsangehörigen
in Österreich-Ungarn werden besonders berücksichtigt;
7. Österreich-Ungarn erläßt eine Amnestie für militärische
oder politische Verbrechen die aus den abgetretenen Gebieten
stammen;
8. wohlwollende Berücksichtigung von weiteren Wünschen Italiens
über die Gesamtheit der das Abkommen bildenden Fragen wird
zugesagt,
9. Österreich-Ungarn wird nach dem Abschluß des Vertrages eine
feierliche Erklärung über die Abtretungen geben,
10. gemischte Kommissionen zur Regelung der Einzelheiten der
Abtretung werden eingesetzt;
11. nach Abschluß des Abkommens sollen die Soldaten der österreichisch-ungarischen
Armee, die aus den besetzten Gebieten stammen, nicht mehr an den Kämpfen
teilnehmen. (Hört, hört!)
Ich kann hinzusagen, daß Deutschland, um die Verständigung
zwischen seinen beiden Bundesgenossen zu fördern und zu festigen,
dem römischen Kabinett gegenüber im Einverständnis mit dem Wien
die volle Garantie für die loyale Ausführung dieser
Anerbietungen ausdrücklich übernommen hat. Österreich-Ungarn
und Deutschland haben hiermit einen Entschluß gefaßt, der, wenn
er zum Ziele führt, nach meiner festen Überzeugung auf die Dauer
von der überwältigenden Mehrheit der drei Nationen gutgeheißen
werden wird. Mit seinem Parlament steht das italienische Volk vor
der freien Entschließung, ob es die Erfüllung alter nationaler
Hoffnungen in weitestem Umfange auf friedlichem Wege erreichen
oder ob es das Land in den Krieg stürzen und gegen seine
Bundesgenossen von gestern und heute morgen das Schwert ziehen
will. Ich mag die Hoffnung nicht ganz aufgeben, daß die Wagschale
des Friedens schwerer sein wird als die des Krieges. Wie aber
Italiens Entschließung auch ausfallen möge: In Gemeinschaft mit
Österreich-Ungarn haben wir alles im Bereiche der Möglichkeit
Liegende getan, um ein Bundesverhältnis zu stützen, das im
deutschen Volke feste Wurzel gefaßt hatte und das den drei
Reichen Nutzen und Gutes gebracht hat. Wird der Bund von einem der
Partner zerrissen, so werden wir in Gemeinschaft mit dem anderen
auch neuen Gefahren unerschrockenen und zuversichtlichen Mutes zu
begegnen wissen. (Lebhafter stürmischer Beifall und allgemeines Händeklatschen.)
Der
Reichskanzler verneigt sich mehrmals. Wiederholter stürmischer
Beifall und Händeklatschen.) |