Die
Neutralität der Schweiz
Bern,
7. Dezember. (Priv.-Tel.)
Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung einen Bericht über
die von ihm seit der Mobilmachung kraft seiner Vollmachten getroffenen Maßnahmen.
Er führt darin die Antworten an, welche auf seine Neutralitätserklärung
eingingen; diejenige Deutschlands ist besonders warm gehalten. Sie
lautete: "Die Kaiserliche Regierung hat von der Erklärung des
Bundesrats mit aufrichtiger Genugtuung Kenntnis genommen und vertraut
darauf, daß die Eidgenossenschaft, gestützt auf ihr kraftvolles Heer und
den unbeugsamen Willen des gesamten Schweizervolkes, jede Verletzung ihrer
Neutralität zurückweisen wird. Die Kaiserliche Regierung erneuert bei
diesem Anlaß ihre bereits vor Ausbruch des Krieges dem hohen Bundesrate
abgegebene feierliche Versicherung, daß das Deutsche Reich die Neutralität
der Schweiz auf das peinlichste beobachten wird. Das aufrichtige
Vertrauensverhältnis, das von jeher zwischen den beiden benachbarten Ländern
bestanden hat, bürgt dafür, daß auch während dieses Krieges diese
Beziehungen unverändert fortbestehen werden.
Die französische Regierung machte in ihrer Antwort Vorbehalte betreffs
des Rechtes der Schweiz, Savoyen zu besetzen, indem sie behauptet, dieser
Besetzung müsse ein Vertrag mit Frankreich vorangehen. Der Bundesrat
hielt an seinem Standpunkt fest, hob jedoch hervor, die Frage sei nicht
aktuell, da es sich nur um eine Eventualität handle. Der Bericht setzt
weiter auseinander, daß die Lage der Neutralen im jetzigen Krieg ganz
wesentlich verschlechtert worden sei im Vergleich zu dem, was man bisher
als durch die Londoner Seerechts-Erklärung gedeckte und bestätigte völkerrechtliche
Gemeinansicht betrachten durste. Einmal sei der Inhalt der relativen
Konterbande erweitert worden, zweitens werde der Grundsatz nicht mehr
anerkannt, daß die neutrale Flagge die Ladung decke und daß für
neutrale Häfen und neutrale Länder bestimmte Waren dem Durchsuchungs-
und Beschlagnahmerecht nicht unterliegen. Der Bundesrat habe nicht
ermangelt, Schritte zu tun, um das Recht der Neutralen zu wahren. Jedoch
habe diese Frage bisher keine Lösung gefunden.
Bern,
7. Dezember. (Priv.-Tel.)
Der Bundesrat teilt folgendes mit:
Auf die Vorstellungen, welche der Bundesrat bei der britischen und bei der
französischen Regierung wegen des Überfliegens von schweizerischem
Gebiet durch englische Flugzeuge erhoben hat, hat der französische
Botschafter eine Erklärung des französischen Ministers des Äußern
abgegeben dahingehend, daß derselbe den Vorfall, sofern er erwiesen sei,
aufrichtigst bedauere. Dieser Vorfall könne gewiß nur einer
Unachtsamkeit zugeschrieben werden. Im übrigen lege die französische
Regierung mehr als je Gewicht auf die schweizerische Neutralität. Sie
wolle, daß diese durch ihre Truppen beobachtet werde, einerlei, ob es
sich um das Gebiet der Eidgenossenschaft oder um den darüber liegenden
Luftraum handele.
Die britische Regierung hat heute durch ihren Gesandten dem Bundesrat eine
Note überreichen lassen, in welcher sie ausführt, daß die Flieger,
welche am Angriff auf die Zeppelinwerft teilnahmen, die bestimmte Weisung
hatten, schweizerisches Gebiet nicht zu überfliegen. Wenn sie es dennoch
getan hätten, so sei das auf Unachtsamkeit und auf die Schwierigkeiten
zurückzuführen, in großer Höhe die wirkliche Lage eines Luftfahrzeuges
festzustellen. Auf Grund der schweizerischerseits gebrachten Beweise für
das Überfliegen schweizerischen Gebiets halte die britische Regierung
darauf, dem Bundesrat zu versichern, daß dies entgegen ihren Absichten
geschehen sei, und spreche ihm dafür ihr lebhaftes Bedauern aus. Die
britische Regierung wünsche im Anschluß daran festzustellen, daß aus
den ihren Fliegern erteilten Instruktionen und aus dem dem Bundesrat wegen
deren Nichtbeobachtung ausgesprochenen Bedauern keine allgemeinen Schlüsse
auf die englische Anerkennung eines nicht unbestritten geltenden völkerrechtlichen
Grundsatzes betreffend die Gebietshoheit über den Luftraum gezogen werden
könnten.
Der Bundesrat hat den beiden Regierungen für ihre Erklärung gedankt und
die Gelegenheit benutzt, der britischen Regierung neuerdings mitzuteilen,
daß mit Rücksicht darauf, daß keine völkerrechtliche Beschränkung der
Gebietshoheit über den Luftraum bestehe, er die letztere im vollen
Umfange geltend machen müsse und schon bei Anlaß der Mobilisation der
Truppen entsprechende Weisungen zum Schutze derselben erlassen habe. 2)
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