Verletzungen
der Genfer Konvention
Berlin,
20. Oktober. (W. B. Amtlich.)
Der "Reichsanzeiger" schreibt in seinem amtlichen Teil:
Die Kaiserliche Regierung hat nachstehende Denkschrift über die
Verletzungen der Genfer Konvention vom 6. Juli 1906 durch die französischen
Truppen und Freischärler, in der gegen deren völkerrechtswidriges
Verhalten scharfer Protest erhoben wird, der französischen Regierung
sowie den Regierungen der neutralen Mächte zugehen lassen:
"In dem
gegenwärtigen Kriege haben französische Truppen und Freischärler
die zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken bei im Felde
stehenden Heeren getroffenen Bestimmungen der Genfer Konvention vom
6. Juli 1906, die von Deutschland und Frankreich ratifiziert worden
sind, in flagranter Weise verletzt. Aus der großen Zahl der bekannt
gewordenen Fälle werden in Anlagen diejenigen aufgeführt,
die bereits durch gerichtliche Vernehmungen oder dienstliche Meldungen
einwandfrei festgestellt wurden. An der Spitze der Genfer Konvention
steht einer der ersten Grundsätze des Kriegsrechts, daß nämlich
die Verwundeten und Kranken des feindlichen Heeres ebenso wie die Verwundeten
und Kranken des eigenen Heeres geachtet und versorgt werden sollen (Art.
11 Abs. 1). Diesem Grundsatz haben französische Truppen und Freischärler
ins Gesicht geschlagen, indem sie deutsche Verwundete, die in ihre Hände
gefallen waren, nicht nur roh behandelt, sondern auch beraubt, ja sogar
teilweise in bestialischer Weise verstümmelt und ermordet haben
(Anlage 1 bis 8).
Für die beweglichen Sanitätsformationen sehen Artikel 6 und
14 der Genfer Konvention besonderen Schutz vor. Diesen Bestimmungen
zuwider haben französische Truppen deutsche Automobile mit Verwundeten
angegriffen (Anlage 6) und Sanitätswagen beschossen (Anlage 11
bis 14), obwohl das Rote Kreuz deutlich erkennbar war; auch wurden deutsche
Lazarette überfallen, ihres Personals und ihrer Ausrüstung
beraubt (Anlage 7).
In völkerrechtswidriger Weise haben sich ferner französische
Truppen gegen den Artikel 9 der Genfer Konvention vergangen, der das
Sanitätspersonal der kriegführenden Heere schützen, ja
sogar sie neutral behandelt wissen will. Wie sich aus den Anlagen ergibt,
wurde der Führer einer Sanitätskolonne von einem französischen
Truppenführer verhaftet und weggeschleppt (Anlage 9), und ein Arzt,
der einem Verwundeten helfen wollte, von französischen Truppen
erschossen (Anlage 10); auch wurden die Ärzte und Begleitmannschaften
eines Sanitätswagens unter Feuer genommen (Anlage 11), sowie Krankenträger
bei der Bergung der Verwundeten durch französische Truppen und
Freischärler angegriffen, verwundet und getötet (Anlage 12
bis 14) oder zu Kriegsgefangenen gemacht (Anlage 15). Ebenso wurde ein
deutscher Feldgeistlicher von den französischen Truppen gefangen
und wie ein gemeiner Verbrecher behandelt (Anlage 8).
Die Kaiserliche Regierung bringt mit Entrüstung diese dem Völkerrecht
und der Menschlichkeit hohnsprechende Behandlung deutscher Verwundeter,
deutscher Sanitätsformationen und deutschen Sanitätspersonals
zur öffentlichen Kenntnis und legt hiermit feierlich Verwahrung
ein gegen die unerhörten Verletzungen eines von allen Kulturstaaten
geschlossenen Weltvertrages.
Berlin, 10. Oktober
1914"
Die
Anlage
In
Anlage 1 sagt Grenadier Haenseler, 2. Kompanie, 3. Bat., Garde - Ersatz
- Brigade, über die Vorgänge am 5 September 1914 an der Eisenbahnbrücke
über die Meurthe nördlich Rehainviller aus: Die Franzosen traten
die liegengebliebenen Leute unseres Zuges mit den Füßen und
als sie Lebenszeichen durch Schreien oder Stöhnen gaben, hörte
ich Schüsse. Auch ich erhielt einen Fußtritt, verhielt mich
aber völlig ruhig. Bei eintretender Dunkelheit sah ich mich nach
meinen verwundeten Kameraden um und stellte fest, daß sie nach ihrer
Lage tot sein mußten, während sie am Morgen nur leicht verwundet
waren.
Anlage 2. Franz Mevissen, 4. Esk. Jäger-Regt. zu Pferde No. 7, sah
am 7. September südwestlich Arlons auf belgischem Gebiet aus einem
Versteck, wie Franzosen in der hellen Nacht auf dem Gefechtsfeld umhergingen
und verwundete deutsche Jäger mit Lanzen erstachen.
Anlage 3. Musketier Theodor Mündel, 9. Komp., Inf. Regt. No. 138,
wurde am 25. August bei Luneville verwundet. Ein Franzose, der Revolver
und Degen trug, fragte den neben Mündel liegenden Gefreiten in gebrochenem
Deutsch, wo er verwundet sei. Der Gefreite antwortete: Am Fuß. Darauf
schoß der Franzose den Gefreiten mit dem Revolver durch den Kopf.
Bei der Rückkehr der Franzosen erhielt Mündel selbst mit einem
Bajonettkolben einen Schlag gegen die rechte Schläfe und über
die linke Schulter, obwohl die bereits erlittene Verwundung an dem starken
Austritt des Blutes durch die Uniform deutlich bemerkbar war.
Anlage 4. Musketier Kempen, 8. Komp., Inf. -Regt. No. 78, sah am 29. August
in der Nähe von Cuise bei St. Quentin, wie ungefähr fünfzig
französische Soldaten unter Führung mehrerer Offiziere im Zickzack
über das Schlachtfeld gingen und mit dem Bajonett auf Verwundete
einstachen, so auf einen Verwundeten, der zehn Schritt von Kempen entfernt
lag. Als er "Hilfe!" rief, schoß ihm ein französischer
Offizier mit der Pistole in den Mund. Kempen selbst, der sich tot stellte,
erhielt neun leichte Verletzungen mit dem Bajonett.
Anlage 5 enthält einen Bericht der Oberärzte Neumann und Grünfelder
von einem bayrischen Pionier-Regiment über die Beraubung und Verstümmelung
deutscher Soldaten des 35. Landwehr-Regiments bei Orchies. Die aufgefundenen
Leichname waren der Schuhe und Strümpfe und sämtlicher Erkennungszeichen
beraubt. Ein Mann war rückwärts niedergeschossen, lag aber auf
dem Rücken; die Mund- und Nasenlöcher waren mit Sägespänen
vollgestopft. Einem anderen war das linke Ohr glatt abgeschnitten und
das Gesicht blaurot, eine Folge des Erstickungstodes. Mund, Nase und Augen
waren mit Sägespänen vollgestopft. Am Halse waren Würgezeichen.
Einem anderen war der Goldfinger glatt vom Knöchel abgeschnitten.
In der Bauchwand saßen vier Schusslöcher, von Pulverschmauch
eingefaßt, ein Zeichen daß die Schüsse aus unmittelbarer
Nähe abgegeben waren. Fünf andere Erschlagene zeigten Verletzungen
durch stumpfe Gewalt. Einem waren die Augen ausgestochen. - Aus den festgestellten
Tatsachen ergab sich, daß ein großer Teil der Leute unverwundet
in die Hände der Feinde gefallen war.
Anlage 6 betrifft den Überfall von Verwundeten-Automobilen, die die
Genfer Flagge führten bei Bethencourt am 8. September. Verwundete
und Führer wurden ermordet und beraubt.
Anlage 7 enthält Meldungen des Armeearztes der zweiten Armee, nach
denen das Kriegslazarett des 2. Armeekorps in Peronne von Franzosen allen
Personals und Materials beraubt wurde.
In Anlage 8 berichtet der katholische Feldgeistliche Redemptoristen-Pater
Bernhard Brinkmann, der am 7. September bei Esternay (bei Trefole) von
Gendarmen abgeführt, in ein schmutziges Gefängnis ohne Fenster
gebracht und ohne Nahrung gelassen wurde. Am anderen Tage wurde er durch
eine Kette mit einem gefesselten französischen Zivilverbrecher zusammengeschlossen
und mit diesem mehrere Tage unter Hohn und Spott der Bevölkerung
durch viele Dörfer transportiert. 2)
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