Der Weltkrieg am 20. Oktober 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Gefecht an der belgischen Küste

Großes Hauptquartier, 20. Oktober, vormittags.
Die deutschen von Ostende längs der Küste vorgehenden Truppen stießen am Yser-Abschnitt bei Nieuport auf feindliche Kräfte. Mit diesen stehen sie seit vorgestern im Gefecht. Auch gestern wurden Angriffe des Gegners westlich Lille unter starken Verlusten für den Angreifer zurückgewiesen.
Auf dem östlichen Kriegsschauplatz hat sich nichts Wesentliches ereignet.
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Gefangene französische Freischärler auf dem Weg zum Kriegsgericht
Gefangene französische Freischärler auf dem Weg zum Kriegsgericht

Verletzungen der Genfer Konvention

Berlin, 20. Oktober. (W. B. Amtlich.)
Der "Reichsanzeiger" schreibt in seinem amtlichen Teil:
Die Kaiserliche Regierung hat nachstehende Denkschrift über die Verletzungen der Genfer Konvention vom 6. Juli 1906 durch die französischen Truppen und Freischärler, in der gegen deren völkerrechtswidriges Verhalten scharfer Protest erhoben wird, der französischen Regierung sowie den Regierungen der neutralen Mächte zugehen lassen:

"In dem gegenwärtigen Kriege haben französische Truppen und Freischärler die zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken bei im Felde stehenden Heeren getroffenen Bestimmungen der Genfer Konvention vom 6. Juli 1906, die von Deutschland und Frankreich ratifiziert worden sind, in flagranter Weise verletzt. Aus der großen Zahl der bekannt gewordenen Fälle werden in Anlagen diejenigen aufgeführt, die bereits durch gerichtliche Vernehmungen oder dienstliche Meldungen einwandfrei festgestellt wurden. An der Spitze der Genfer Konvention steht einer der ersten Grundsätze des Kriegsrechts, daß nämlich die Verwundeten und Kranken des feindlichen Heeres ebenso wie die Verwundeten und Kranken des eigenen Heeres geachtet und versorgt werden sollen (Art. 11 Abs. 1). Diesem Grundsatz haben französische Truppen und Freischärler ins Gesicht geschlagen, indem sie deutsche Verwundete, die in ihre Hände gefallen waren, nicht nur roh behandelt, sondern auch beraubt, ja sogar teilweise in bestialischer Weise verstümmelt und ermordet haben (Anlage 1 bis 8).
Für die beweglichen Sanitätsformationen sehen Artikel 6 und 14 der Genfer Konvention besonderen Schutz vor. Diesen Bestimmungen zuwider haben französische Truppen deutsche Automobile mit Verwundeten angegriffen (Anlage 6) und Sanitätswagen beschossen (Anlage 11 bis 14), obwohl das Rote Kreuz deutlich erkennbar war; auch wurden deutsche Lazarette überfallen, ihres Personals und ihrer Ausrüstung beraubt (Anlage 7).
In völkerrechtswidriger Weise haben sich ferner französische Truppen gegen den Artikel 9 der Genfer Konvention vergangen, der das Sanitätspersonal der kriegführenden Heere schützen, ja sogar sie neutral behandelt wissen will. Wie sich aus den Anlagen ergibt, wurde der Führer einer Sanitätskolonne von einem französischen Truppenführer verhaftet und weggeschleppt (Anlage 9), und ein Arzt, der einem Verwundeten helfen wollte, von französischen Truppen erschossen (Anlage 10); auch wurden die Ärzte und Begleitmannschaften eines Sanitätswagens unter Feuer genommen (Anlage 11), sowie Krankenträger bei der Bergung der Verwundeten durch französische Truppen und Freischärler angegriffen, verwundet und getötet (Anlage 12 bis 14) oder zu Kriegsgefangenen gemacht (Anlage 15). Ebenso wurde ein deutscher Feldgeistlicher von den französischen Truppen gefangen und wie ein gemeiner Verbrecher behandelt (Anlage 8).
Die Kaiserliche Regierung bringt mit Entrüstung diese dem Völkerrecht und der Menschlichkeit hohnsprechende Behandlung deutscher Verwundeter, deutscher Sanitätsformationen und deutschen Sanitätspersonals zur öffentlichen Kenntnis und legt hiermit feierlich Verwahrung ein gegen die unerhörten Verletzungen eines von allen Kulturstaaten geschlossenen Weltvertrages.

Berlin, 10. Oktober 1914"

Die Anlage

In Anlage 1 sagt Grenadier Haenseler, 2. Kompanie, 3. Bat., Garde - Ersatz - Brigade, über die Vorgänge am 5 September 1914 an der Eisenbahnbrücke über die Meurthe nördlich Rehainviller aus: Die Franzosen traten die liegengebliebenen Leute unseres Zuges mit den Füßen und als sie Lebenszeichen durch Schreien oder Stöhnen gaben, hörte ich Schüsse. Auch ich erhielt einen Fußtritt, verhielt mich aber völlig ruhig. Bei eintretender Dunkelheit sah ich mich nach meinen verwundeten Kameraden um und stellte fest, daß sie nach ihrer Lage tot sein mußten, während sie am Morgen nur leicht verwundet waren.
Anlage 2. Franz Mevissen, 4. Esk. Jäger-Regt. zu Pferde No. 7, sah am 7. September südwestlich Arlons auf belgischem Gebiet aus einem Versteck, wie Franzosen in der hellen Nacht auf dem Gefechtsfeld umhergingen und verwundete deutsche Jäger mit Lanzen erstachen.
Anlage 3. Musketier Theodor Mündel, 9. Komp., Inf. Regt. No. 138, wurde am 25. August bei Luneville verwundet. Ein Franzose, der Revolver und Degen trug, fragte den neben Mündel liegenden Gefreiten in gebrochenem Deutsch, wo er verwundet sei. Der Gefreite antwortete: Am Fuß. Darauf schoß der Franzose den Gefreiten mit dem Revolver durch den Kopf. Bei der Rückkehr der Franzosen erhielt Mündel selbst mit einem Bajonettkolben einen Schlag gegen die rechte Schläfe und über die linke Schulter, obwohl die bereits erlittene Verwundung an dem starken Austritt des Blutes durch die Uniform deutlich bemerkbar war.
Anlage 4. Musketier Kempen, 8. Komp., Inf. -Regt. No. 78, sah am 29. August in der Nähe von Cuise bei St. Quentin, wie ungefähr fünfzig französische Soldaten unter Führung mehrerer Offiziere im Zickzack über das Schlachtfeld gingen und mit dem Bajonett auf Verwundete einstachen, so auf einen Verwundeten, der zehn Schritt von Kempen entfernt lag. Als er "Hilfe!" rief, schoß ihm ein französischer Offizier mit der Pistole in den Mund. Kempen selbst, der sich tot stellte, erhielt neun leichte Verletzungen mit dem Bajonett.
Anlage 5 enthält einen Bericht der Oberärzte Neumann und Grünfelder von einem bayrischen Pionier-Regiment über die Beraubung und Verstümmelung deutscher Soldaten des 35. Landwehr-Regiments bei Orchies. Die aufgefundenen Leichname waren der Schuhe und Strümpfe und sämtlicher Erkennungszeichen beraubt. Ein Mann war rückwärts niedergeschossen, lag aber auf dem Rücken; die Mund- und Nasenlöcher waren mit Sägespänen vollgestopft. Einem anderen war das linke Ohr glatt abgeschnitten und das Gesicht blaurot, eine Folge des Erstickungstodes. Mund, Nase und Augen waren mit Sägespänen vollgestopft. Am Halse waren Würgezeichen. Einem anderen war der Goldfinger glatt vom Knöchel abgeschnitten. In der Bauchwand saßen vier Schusslöcher, von Pulverschmauch eingefaßt, ein Zeichen daß die Schüsse aus unmittelbarer Nähe abgegeben waren. Fünf andere Erschlagene zeigten Verletzungen durch stumpfe Gewalt. Einem waren die Augen ausgestochen. - Aus den festgestellten Tatsachen ergab sich, daß ein großer Teil der Leute unverwundet in die Hände der Feinde gefallen war.
Anlage 6 betrifft den Überfall von Verwundeten-Automobilen, die die Genfer Flagge führten bei Bethencourt am 8. September. Verwundete und Führer wurden ermordet und beraubt.
Anlage 7 enthält Meldungen des Armeearztes der zweiten Armee, nach denen das Kriegslazarett des 2. Armeekorps in Peronne von Franzosen allen Personals und Materials beraubt wurde.
In Anlage 8 berichtet der katholische Feldgeistliche Redemptoristen-Pater Bernhard Brinkmann, der am 7. September bei Esternay (bei Trefole) von Gendarmen abgeführt, in ein schmutziges Gefängnis ohne Fenster gebracht und ohne Nahrung gelassen wurde. Am anderen Tage wurde er durch eine Kette mit einem gefesselten französischen Zivilverbrecher zusammengeschlossen und mit diesem mehrere Tage unter Hohn und Spott der Bevölkerung durch viele Dörfer transportiert.
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Französische Berichte

Paris, 20. Oktober (Priv.-Tel.)
Die "Agence Havas" veröffentlicht folgende amtliche Note: Die Deutschen behaupten, um ihr neuerliches Bombardement von Reims zu rechtfertigen, die Franzosen hätten auf den Türmen der Kathedrale Beobachtungsposten aufgestellt, und fügen bei, man habe Lichtsignale bemerkt. Diese Behauptungen sind neue Lügen. Man braucht sich nur die Lage zu vergegenwärtigen, um feststellen zu können, daß wir kein Interesse daran haben, auf den beinahe demolierten Türmen Beobachtungsposten aufzustellen, und besonders von ihrer Spitze aus Lichtsignale zu geben, denn die ganze Ebene von Reims kann ebensogut und mit weniger Gefahr von den benachbarten Höhen aus beobachtet werden. Wenn wir auch Beobachtungsposten auf den Türmen gehabt hätten, so hätte es genügt, sie mit telephonischen Verbindungen auszustatten, was ihnen gestattet hätte, ihre Erkundungen weiterzugeben, ohne die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich zu ziehen.

Mailand, 20. Oktober. (Priv.-Tel.)
Das "Journal de Rouen" teilt mit, daß eine der stärksten Stellungen der Deutschen zwischen Roye und Arras der Grand Canal du Nord sei, der noch unausgebaut ist und dessen 95 Kilometer lange Rinne von den Deutschen als Laufgraben benutzt wird, worin gedeckt große Truppenverschiebungen stattfinden. Die Kämpfe bei Lassigny, Roye, Nesle, Roisel toben um diese starke Stellung.
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Die indischen Truppen in Frankreich

Genf, 20. Oktober. (Priv.-Tel.)
Wie aus Marseille gemeldet wird, sind dort gestern achtzehn englische Dampfer mit neuen indischen Truppen gelandet, deren Zahl 30000 betragen soll.
(Es dürfte sich bei dieser neuen Landung um solche indische Truppenteile handeln, die England aus Ägypten, wo sie nicht zuverlässig genug erschienen, zurückzieht, um sie durch englische Truppen zu ersetzen.)
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Der Seekrieg

London, 20. Oktober. (W. B.)
Das Reutersche Bureau meldet aus Tokio: Nach amtlicher japanischer Bekanntmachung ist der Kreuzer "Takatschio" am 17. Oktober in der Kiautschoubucht auf eine Mine gelaufen und gesunken. Von der 264 Mann betragenden Besatzung sollen ein Offizier und neun Mann gerettet sein.
("Takatschio" war allerdings ein veraltetes Schiff, das 1885 vom Stapel gelaufen ist, von 3700 Tonnen Wasserverdrängung, 18 Seemeilen Geschwindigkeit, bestückt mit acht 15 Zentimeter- und zwei 5.7 Zentimeter - Geschützen. Aber auch wenn die militärische Bedeutung dieses Verlustes nicht überschätzt werden darf, so wird er von Japan mit seiner kleinen Flotte doch sehr schmerzlich empfunden werden, und vor allem beweist er, daß unsere Truppen auf dem fernen ostasiatischen Posten es verstehen, auch unter ungünstigsten Umständen dem Gegner empfindlichen Schaden zuzufügen. )

Amsterdam, 20. Oktober. (Priv.-Tel.)
Der "Nieuwe Rotterdamsche Courant" veröffentlicht einen Bericht des Kapitäns des in Rotterdam angekommenen Dampfschiffes "Drottning Sofia", dessen zweiter Steuermann das Gefecht der deutschen Torpedoboote mit dem englischen Geschwader beobachtet hatte. Darin heißt es: "Ein Torpedoboot sahen wir sinken, aber wir bemerkten auch deutlich, daß eines der englischen Torpedoboote durch ein Torpedo getroffen wurde und wir sahen eine Wolke von Dampf über diesem englischen Torpedoboot aufsteigen, woraus wir den Schluß zogen, daß der Kessel gesprungen war." Aus dieser Mitteilung geht hervor, daß der englische Bericht, die englischen Boote seien so gut wie unverletzt, nicht ganz wahr sein kann.

London, 20. Oktober. (W. B.)
Der Kreuzer "Undaunted" und die vier Zerstörer, die am 18. Oktober in Harwich ankamen, berichteten über den Kampf in der Nordsee: Wir verließen Harwich am Samstag zu einem Patrouillendienst. Es gelang uns, die deutschen Schiffe zum Kampf zu zwingen, die tapfer gegen die Übermacht fochten. Die großen Geschütze des "Undaunted" eröffneten das Feuer auf fünf Meilen Entfernung. Der Kreuzer, der durch die Begleitschiffe gegen Torpedoboote geschützt wurde, richtete das Feuer gegen zwei feindliche Boote, während die britischen Zerstörer die zwei anderen beschädigten. Die deutschen Torpedoboote sanken nacheinander, bis zuletzt tapfer kämpfend. Das Gefecht dauerte anderthalb Stunden.
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Der 1. Weltkrieg im Oktober 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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