Die
Kämpfe im Westen
Die
"Frankfurter Zeitung" schrieb am 16. Oktober 1914:
Die Ereignisse in Nordfrankreich, von denen für kurze Zeit der
Blick durch den Fall Antwerpens abgelenkt worden ist und deren Entwicklung
in ein langsameres durch die Natur der Kämpfe und die Steigerung
unserer Aktivität an anderer Stelle bedingtes Tempo gekommen war,
sind wieder in einen Abschnitt größerer Lebendigkeit getreten.
Während durch den Sinn unserer zentralen Stellung zwischen Oise und
Maas, die wir als festes Rückgrat der ganzen Operationen betrachten
können, die Ruhe zwanglos erklärt wird, von der die beiderseitigen
amtlichen Berichte im großen Ganzen übereinstimmend berichten,
und während die ungeheure Schwierigkeit der Verhältnisse an
der Maaslinie einen nur allmählichen, mit zeitraubenden Mitteln erzielten
Fortschritt gestattet, ist der nördlichste Teil unseres rechten Flügels
in ständigem Fluß geblieben. Dort sind mächtige Kräfte
angesetzt worden, die im Gebiet von Lille und Hazebrouk bedeutende strategische
Fortschritte für uns erzwungen haben. In diesem französischen
Teil Flanderns hat sich eine Entwicklung vorbereitet, die nicht nur vereinzelte
taktische Erfolge durch die Einnahme der Festung Lille und die Niederlagen,
die die französische Truppen in den letzten Tagen erlitten haben,
erzielte, sondern die der gesamten strategischen Lage der französischen
Armee eine durchgreifende Änderung bereiten dürfte. Über
den Wert einzelner Städte und schließlich auch einzelner Bahnlinien
läßt sich streiten. Immerhin vertragen sich die Versuche unserer
Gegner, die Bedeutung der Einnahme von Lille zu verkleinern, schlecht
mit der großen Genugtuung, die die "Times" kürzlich
äußerte, als ihr Kriegsberichterstatter meldete, daß
eine deutsche Abteilung bei Lille habe zurückweichen müssen.
Wenn der englische Bericht richtig ist, wonach die Kämpfe, die der
Einnahme der Stadt vorangingen, viele Tage lang angedauert haben, dann
wird die Tatsache der Besetzung dieser Stadt und noch mehr der Umstand,
daß nach französischem Bericht schon vorgestern eine deutsche
Armee in der Linie Bailleul - La Basse (also erheblich westlich von Lille)
vorgegangen ist, zu einem vollgültigen, wenn auch ungewollten Anerkenntnis
des strategischen Wertes unser neuen Stellungen durch unsere Gegner. Aus
den amtlichen Berichten wissen wir, daß unsere Kavallerie bis weit
über Hazebrouk hinauf, ja sogar bis an die Meeresküste streift.
So ist dort oben im französischen Flandern dicht bei der Grenze Belgiens
eine feste Sperre durch unsere Truppen errichtet worden - französische
Berichte sprechen bald von der Einsetzung neugebildeter Formationen, bald
von dem Eingreifen der vor Antwerpen freigewordenen Kräften und je
stärker die deutschen Truppenmassen südwärts drücken,
desto bedenklicher wird die Lage der gesamten französischen Flügelarmee.
Der neue Vorstoß der Franzosen bei Albert, den der letzte deutsche
Tagesbericht meldet, zeigt deutlich das Bestreben der französischen
Heeresleitung, durch eine Offensive im Zentrum der Flügelstellung
der bedrängten Nordhälfte Luft zu schaffen. Die Vorgänge
bei Lille werden auch den in den äußersten Westen Belgiens
geflüchteten Belgiern und Engländern zum Verhängnis werden,
die nach ihrem Rückzug aus Antwerpen dorthin geeilt sind, um sich
mit neugelandeten Streitkräften der Verbündeten zu vereinigen
und um mit dem vorgeschobenen linken Flügel der Franzosen nördlich
von Lille zusammenzuarbeiten. Aber der deutsche Keil hält die beiden
Heere auseinander, und starke Kräfte treiben das Antwerpener Heer
zur Küste. In drei Gruppen scheinen sich unsere Divisionen vorzuschieben,
von Ekloo aus gegen Brügge, von Courtrai (Kortryk) gegen Thourout
und von Ypern gegen Dixmuiden. In Ypern selbst sollen mehrere Tausend
Marinesoldaten der Verbündeten von den Deutschen eingeschlossen worden
sein.
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