Die Kämpfe zu Lande im Mai und Juni 1916 

 

Bericht aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 6. Juli 1916

In diesen beiden Monaten hat die allgemeine Kriegslage in beständiger Steigerung eine derartige Verschärfung erfahren, daß die Wende vom Juni zum Juli 1916 weniger als je zu einem zusammenfassenden Rückblick geeignet erschien. Trotzdem soll der Versuch eines solchen in den nachstehenden Zeilen unternommen werden. Es ist ja nicht das erstemal, daß uns ein vollkommener Umschwung der Lage zu unseren Ungunsten lange vor dem Einsetzen der Ereignisse, die ihn herbeiführen sollten, von der gesamten Presse unserer Gegner angekündigt worden ist. Weder diese Ankündigungen noch die ihnen folgenden Taten haben es je vermocht, uns die Ruhe zu nehmen, die auch der Grundton der nachstehenden Betrachtungen sein darf.

 

I.

Werfen wir zunächst einen flüchtigen Blick auf jene Schauplätze des weitverzweigten Kriegsgeschehens, die in einer verhältnismäßigen Ruhe zu verharren schienen.
Wenn die Vorgänge auf dem Balkan einen der Brennpunkte des fieberhaften Anteils, man kann sagen der ganzen Welt, darstellten, so hat das weniger in militärischen Vorgängen seinen Grund als in politischen. Zwar schien der Abtransport der neu zusammengestellten serbischen Armeereste nach Saloniki beendigt zu sein, aber zu ernstlichen Zusammenstößen war es auf der mazedonischen Front noch immer nicht gekommen. Immerhin trat eine Veränderung der Lage dadurch ein, daß sich die Bulgaren am 26. Mai in den Besitz des Rupelpasses setzten und eine taktisch günstigere Stellung vorwärts dieses Passes ausbauten. Diese Vorgänge haben der Entente den Vorwand zu einer schroffen Verschärfung der Bedrückung hergeben müssen, die seit Monaten auf dem Griechenvolke lastet. Griechenland ist durch seine geographische Lage und seine Armut an natürlichen Hilfsquellen jedem Zugriff eines Stärkeren ausgesetzt. Die beispiellose Brutalität, mit der die Entente diese Zwangslage des Hellenentums ausgenutzt hat, um sich in die innersten Angelegenheiten des wehrlosen Landes einzuzwängen und Monarchie und Volk zu willenlosen Spielzeugen ihrer Ziele zu pressen, steht in seltsamem Gegensatz zu der Erstarrung jedes militärischen Betätigungsdranges, die das mit so viel Geschäftigkeit und Lärm zusammengebrachte Ententeheer schon seit mehr denn einem halben Jahre an die unmittelbare Umgegend des zwangsweise besetzten neutralen Saloniki fesselte.
Auch auf den vorderasiatischen Kriegsschauplätzen schien die in früheren Abschnitten dieser Betrachtung so lebhaft gesteigerte Regsamkeit unserer Feinde nachgelassen zu haben. Der Fall Kut-el-Amaras hatte weder den Engländern noch den Russen Anlaß gegeben, in durchführten Unternehmungen größeren Stils für den bedeutungsvollen Erfolg der türkischen Waffen einen Ausgleich zu schaffen. Die Angriffe der Russen in der Gegend Kasr-i-Schirin waren zum Stehen gebracht, ein lange vorbereiteter Angriff russischer Kräfte hatte am 3. und 4. Juni mit einer entscheidenden Niederlage der Angreifer geendet. In Armenien vollends war das vor nicht allzulanger Zeit noch so energische und sieggekrönte Vordringen russischer Streitkräfte zunächst zum Stehen gekommen, und dann hatten die Türken auf der ganzen Front die Russen zurückgedrängt. Sie standen mit stärkeren Kräften bereit, den Vormarsch nach Nordpersien fortzusetzen.
Ebensowenig hatten sich die Italiener entschließen können, die Enge ihrer Umstellung bei Valona durch den geringsten Vorstoß auszuweiten.

 

II.

Von den entfernteren Kriegsschauplätzen hat sich sonach die kriegerische Regsamkeit unserer Gegner immer mehr hinweggezogen, um, den Pariser Beschlüssen entsprechend die "Einheit der Front" nachhaltiger auf den inneren Ring konzentrieren zu können. Hier versuchte die Entente, die Mittelmächte - unter Zuhilfenahme einer rücksichtslosen Anspannung der nach der Auffassung aller unparteiischen Beurteiler völkerrechtswidrigen Mitblockade der Neutralen - immer enger zu umschließen und sich in Ruhe aus eine gemeinsame große Offensive vorzubereiten. Aber dazu haben die Zentralstaaten ihren Feinden nicht Zeit gelassen.
Einer der beiden Vorstöße der Mittelmächte war bereits seit geraumer Zeit im Gange: der Angriff gegen die französischen Stellungen auf beiden Maasufern um Verdun. Er nahm einen machtvollen, alle feindlichen Gegenanstrengungen Schritt für Schritt niederwuchtenden Fortgang. Da dies gewaltige Schauspiel der Schlacht an der Maas, das, für beide Kämpfer gleich ehrenvoll, dauernd die hingerissene Teilnahme der Welt in Atem hielt, in anderen Berichten aus dem deutschen Großen Hauptquartier ausführlich geschildert wird, brauchen hier nur die großen Grundlinien nachgezogen zu werden.
Das wechselvolle Ringen auf dem linken Maasufer nahm während des ganzen Maimonats ohne Ermatten seinen Fortgang. Es galt, die nach der Einnahme des Waldes von Avocourt zwischen diesem und dem "Toten Mann" entstandene "Sackstellung" auszuräumen. Dieses Ziel ist in schrittweisen, durch kleinere Rückschläge nur vorübergehend gehemmten Vorarbeiten ohne Rast erreicht worden. Abschnittweise wurden die nördlichen, die westlichen, zuletzt am 21. Mai die östlichen Ausläufer der Höhe 304 gestürmt. Östlich des "Toten Mannes" ist am 23. Mai die Trümmerstätte, die einstmals das Dorf Cumières war, gestürmt worden. Die an diesem Tage noch gescheiterte Eroberung der Cauretteshöhe und des ganzen Geländes von der Südkuppe des "Toten Mannes" bis zur Südspitze von Cumières konnte bis Ende Mai erzwungen werden. Auch in diesem Abschnitt brachte der Juni häufige und gleichermaßen erfolglose Gegenstöße.
Seit der Maimitte versuchten die Franzosen mit verzweifelter Anstrengung den Schwerpunkt der Maaskämpfe auf das rechte Ufer hinüberzureißen. Nach einer riesigen Artillerievorbereitung holten sie zu einem wuchtigen Schlage gegen Fort Douaumont aus. Es gelang ihnen, am 22. Mai bis an die Kehle des Forts vorzustoßen. Da setzte der Gegenangriff ein; schon der 24. Mai brachte den Franzosen eine schwere Niederlage. In glänzendem, fortgesetztem Angriff eroberten die Deutschen die ihnen entrissenen Stellungen zurück, drangen weit über sie hinaus, brachten am 1. Juni den ganzen Caillettewald in ihre Hand. In den folgenden Tagen wurden Dorf Damloup und endlich auch das Fort Vaux erstürmt und fest in deutsche Hand gebracht. Seine tapfere Besatzung, die sich in den unteren Gewölben gehalten hatte, mußte am 7. Juni kapitulieren. Am 8. Juni setzte ein neuer Vorstoß ein, der zunächst ein starkes feindliches Feldwerk der Feste Vaux, dann in ständigem Fortschreiten die Stellungen westlich und südlich der Thiaumontferme, und endlich am 23. Juni das Panzerwerk Thiaumont selbst und den größten Teil des Dorfes Fleury in deutsche Hand brachte, den Zentralpunkt und den linken Flügelpunkt der zweiten französischen Hauptstellung. Alle diese Errungenschaften mußten und konnten gegen wütende französische Gegenangriffe gehalten werden, zuletzt noch am 26. und 27. Juni gegen einen Stoß größten Maßstabes auf der ganzen Frontbreite des Abschnittes Thiaumont - Fleury. Die Kämpfe dieser zwei Tage rechnen zu den schwersten und für die Franzosen verlustreichsten des ganzen Krieges. Unerbittlich nahm hier der Zermürbungsprozeß an Frankreichs Heeren seinen Fortgang.

 

III.

Während sich so der westliche Gegner der Mittelmächte im Laufe des Mai und Juni eines zwar schon seit langem wirksamen, aber sich von Tag zu Tag noch verstärkenden Druckes zu erwehren hatte, holte Deutschlands ältester Verbündeter, Österreich-Ungarn, zu einem machtvollen Schlage gegen Italien aus. Genau Mitte Mai gestattete das Wetter endlich den sorgfältig vorbereiteten und vom Feinde längst erkannten Vorstoß. Es gelang den k. u. k. Truppen, die Italiener nicht nur aus dem größten Teil der von ihnen bei Kriegsbeginn genommenen Bezirke Südtirols wieder hinauszuwerfen, sondern auch die italienische Grenze in breiter Front zu überschreiten und den Angriff fast bis zum Südrande der Gebirgswälle vorzutragen, die den Ebenen Norditaliens vorgelagert sind.
Bis zum 25. Juni machte der österreichisch-ungarische Angriff zwischen Etsch und Brenta stetige Fortschritte, die Zahlen an Gefangenen und erbeuteten Geschützen, Maschinengewehren und anderen Beutestücken mehrten sich in gleichem Maße.
An diesen Erfolgen konnte auch die Tatsache nichts ändern, daß am 26. Juni 1916 mit Rücksicht auf die militärische Gesamtlage zur Wahrung der vollen Freiheit des strategischen Handelns ein Teil des eroberten Gebietes wieder aufgegeben und, unbemerkt vom Gegner, die Angriffsfront verkürzt wurde.

 

IV.

Die verzweifelten Hilferufe des schwerbedrängten Frankreichs und Italiens hatten inzwischen wenigstens bei dem einen der beiden abwartenden mächtigen Verbündeten Gehör gefunden. Es war das durch zwei Monate anscheinend in Erstarrung versunkene Rußland, das sich von den furchtbaren Verlusten an Ländergebiet, Mannschaften und Kriegsmaterial, die das Jahr 1915 und zuletzt noch die Offensive im März 1916 gebracht hatten, mit Unterstützung der halben Welt inzwischen bis zu einem gewissen Grad erholt hatte und ein kräftiges Zeichen neuerwachten Lebens gab.
Schon in der zweiten Hälfte des Mai waren an der ganzen österreichisch-ungarischen Ostfront bedeutsame Veränderungen erkannt worden, die aus Angriffsabsichten schließen ließen. Am 4. Juni begann die russische Offensive nach einer den bisherigen Einsatz weit übersteigenden Artillerievorbereitung an sieben Stellen gleichzeitig aus einer Frontbreite von mehr als 300 Kilometern.
Die Riesenschlacht, die nun entbrannte, war Ende Juni 1916 noch nicht abgeschlossen, aber ihre Ergebnisse konnten doch bereits abgeschätzt werden. Sie hat der Sache der Mittelmächte einen Rückschlag gebracht und hat den Italienern die dringend benötigte, heiß erflehte Entlastung für den Augenblick zuteil werden lassen. Sie hat den Russen am rechten Flügel ihrer Offensive bei Luck einen mäßigen (und schwerlich dauernd haltbaren) Rückgewinn an früher verlorenem russischen Boden eingetragen, am linken russischen Flügel unseren Verbündeten den größten Teil der Bukowina mitsamt der vielumstrittenen Hauptstadt zu entreißen vermocht.
Hiermit ist die Bedeutung und der Erfolg des russischen Vorstoßes des Monats Juni erschöpft. Das in der Presse offen verkündete Ziel der gewaltigen russischen Anstrengungen, der Durchstoß bis Lemberg, die Rückgewinnung Galiziens oder gar das Eindringen in Ungarn, hat nicht erreicht werden können. Die Darstellung dieser Kämpfe im einzelnen würde wesentlich über den Zweck und Raum dieser Betrachtung hinauswachsen, deren Aufgabe nur die Schilderung der großen Grundzüge der Entwicklung sein kann, soweit sie sich dem Auge einer im Flusse der Geschehnisse befangenen Betrachtung überhaupt schon erkennbar machen.

 

V.

In einer Gelassenheit, die der Welt immer neues Erstaunen abnötigt, sah England bis gegen Ende Juni 1916 den übermenschlichen Opfern und Anstrengungen seiner Verbündeten mit gekreuzten Armen zu. Es hat die Hilferufe Frankreichs und Italiens lediglich mit herablassenden Beifallbezeigungen für die heroischen Anstrengungen dieser schwergeprüften Nationen beantwortet. Erst seit dem 20. Juni steigerte sich die Gefechtstätigkeit auf der gesamten englischen und auf dem südlich anschließenden Teil der französischen Front. Seit dem 24. Juni begann eine sich oft bis zum Trommelfeuer steigernde Artilleriebeschießung der deutschen Front und des rückwärts gelegenen Geländes.
Bis zum Monatsende war es in den Feuerpausen der Artillerie nur zu Patrouillenkämpfen gekommen. Erst am 1. Juli 1916 begann der große Angriff, auf den die Verbündeten und die Entente lange gewartet hatten, nördlich der Somme.
An verschiedenen anderen Stellen der englischen Front sind vorher im Mai und Juni die Deutschen die Angreifer gewesen. Im Mai gelang es ihnen, im Artois kleinere Abschnitte der englischen Stellungen in ihre Hand zu bekommen. Im Ypernbogen wurde am 2. Juni die Doppelhöhe 60 südöstlich Ypern mit anschließenden Gräben, und am 6. Juni die Stellungen bei Hooge, zusammen drei Kilometer Frontbreite, erstürmt. Ein Teil der neuerkämpften Stellungen ging allerdings am 13. Juni wieder verloren, während alle späteren, teilweise durch Gasverwendung unterstützten Angriffe abgewiesen werden konnten.

 

VI.

Versuchen wir den rückschauenden Überblick über das Fortschreiten des Landkrieges in den Monaten Mai und Juni zusammenzufassen, so ergibt sich:
Vier große Handlungen sind im Gange. Der deutsche Vorstoß bei Verdun schreitet langsam, doch unerbittlich, Frankreichs Heere zermürbend, vorwärts. Österreichs Angriff in Südtirol hat nach stürmischem Anfangsgelingen eine Hemmung erfahren durch die Gesamtkriegslage. Die russische Offensive hat zwar ebenfalls mit namhaften Siegen eingesetzt, ist aber dann zum Stehen und hier und dort bereits zu rückläufiger Entwicklung gebracht worden.
Die vierte große Angriffswelle, deren Aufbranden sich seit einiger Zeit immer deutlicher angekündigt hatte, brauste nun heran - und wieder einmal erhoffen die Feinde der Mittelmächte den entscheidenden Umschwung des Kriegsglücks. Englands lange gesparte Heeresmacht trat auf den Plan.

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

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