Der
Kaiser bei den Truppen in den Pripetsümpfen
Berlin,
15. November.
Aus dem Großen Hauptquartier wird uns geschrieben:
Der Kaiser weilte am Anfang der letzten Woche bei unseren Truppen
in den Pripetsümpfen. Nachmittags fuhr er im Bahnhof Brest-Litowsk
ein. Der Bahnhof selbst ist eine Ruine, auf der die deutsche Kriegsflagge
weht. Vor den aufgeräumten Trümmern stand die Ehrenkompagnie,
gestellt von einem bei Brest-Litowsk liegenden Landsturmbataillon. Unter
den Klängen der Nationalhymne schritt der Kaiser nach Begrüßung
der unmittelbaren Vorgesetzten die Front der ergrauten Soldaten ab und
ließ die Kompagnie im Parademarsch vorbeimarschieren. Haltung und
Aussehen der Leute waren vorzüglich, stramm aufgerichtet blickten
sie ihrem obersten Kriegsherrn ins Auge.
Vom Bahnhof begab sich der Kaiser im Kraftwagen zur Zitadelle. Hier hatte
er beim Manöver 1886 als Gast des Zaren gewohnt. Was die Russen bei
der Schnelligkeit der Räumung der Festung zerstören konnten,
haben sie zerstört. Die ausgedehnten Kasernen der Zitadelle liegen
in Trümmern. Auch bei dem Fort Kowaljewo, wohin die Fahrt weiterging,
sind die Betonarbeiten zum Teil gesprengt, zum Teil aber ebenso wie die
Hindernisse noch voll erhalten. Dann ging die Fahrt am Übungslager
Pugatschewo vorbei zur Stadt Brest-Litowsk, noch vor wenigen Wochen eine
von 60000 Einwohnern bevölkerte Stadt, jetzt zu vier Fünfteln
verbrannt. Die Russen haben Hab und Gut der Bewohner planmäßig
vernichtet und die Bevölkerung mit sich ins Elend weggeschleppt.
Im Bereiche der Festung gibt es keinen einzigen Landesbewohner mehr, nur
Truppen aller Gattungen bildeten in den Ruinenstraßen Spalier.
Am nächsten Morgen traf der Kaiser vorn in der Front in Pinsk ein.
In der von den Russen für ihren Rückzug neuangelegten Haltestelle
Pinsk-Wald verließ er den Zug. Die trübe Novemberstimmung des
Vortages hatte strahlendem Hohenzollernwetter Platz gemacht. Auf dem Bahnhofe
stand die Ehrenkompagnie, diesmal gestellt von jungen Soldaten. Hinter
dem Bahnhofe reihten sich in Parade mehrere Brigaden der Bugarmee. Vom
brausenden Hurra vieler tausend junger Soldatenkehlen begrüßt,
schritt der Kaiser die Front der Truppen ab, deren Haltung und Aussehen
dem obersten Kriegsherrn die unerschütterte Kraft und den unverminderten
Siegeswillen seiner Truppen zeigte, trotz der gewaltigen Leistungen der
Verfolgung und des jetzt stattfindenden Stellungskampfes in unwirtlichster
Gegend.
Von hier begab sich der Kaiser zu einem kurzen Besuch der Kathedrale nach
Pinsk. Auf den Straßen drängte sich, anders als in Brest- Litowsk,
das Volk der 40- bis 50000 Einwohner zählenden Stadt. Die Weiterfahrt
führte den Kaiser bis in die Stellungen der Truppen östlich
Pinsk, am Schilfmeer der Pripetsümpfe. Aus den Sanddünen am
Ostufer des Strumen und der Jasiolda waren die russischen Stellungen und
Hindernisse sichtbar.
Am Abend des Tages fuhr der Kaiser, der den Truppen seine Freude über
ihre vorzügliche Verfassung und seinen Dank für ihre Leistungen
hatte übermitteln lassen, über Brest-Litowsk zu einer anderen
Armee auf dem Kriegsschauplatz. |