Über
die Tätigkeit der Kriegsgetreide GmbH
Berlin, 2. Februar.
(Priv.-Tel.)
Unsere Feinde bekämpfen uns nicht nur mit ihren Heeren und ihren
Flotten, mit Pulver und Granaten, und den übrigen Waffen der modernen
Kriegführung, sie haben daneben noch die Absicht, unsere Bevölkerung
auszuhungern, um uns den Frieden abzuzwingen. Darauf zielt namentlich
das von keinen Gewissensskrupeln geplagte England ab. Dieses England,
das die belgische Neutralität zum Vorwand für seinen Überfall
auf Deutschland benutzte, und das sich seit Beginn des gewaltigen Kampfes
doch nicht im geringsten durch die Tatsache stören läßt,
daß es die neutralen Staaten mit seiner egoistischen Konterbande-Politik
viel härter trifft als Deutschland selbst. Denn das läßt
sich nach sechsmonatiger Dauer des Krieges schon sagen: Deutschland kann
nicht ausgehungert werden, und Deutschland läßt sich auch nicht
aushungern. Mögen die Engländer die deutsche Handelsstatistik
der letzten Jahre auch noch so gut studiert haben: in diesem Punkte haben
sie sich gründlich verrechnet, und vor allem haben sie die deutsche
Organisationskraft unterschätzt. Gewiß, Deutschland hat einen
großen Prozentsatz seiner Weizenvorräte aus dem Auslande bezogen,
aus Staaten, die jetzt gegen uns im Kampfe stehen, oder aus Staaten, denen
England den Weg zu uns abgeschnitten hat. Aber wir können uns auch
mit weniger Weizen behelfen. Das mit stärkerem Zusatz von Roggen
und Kartoffeln gebackene Brot ist nicht weniger nahrhaft und schmackhaft,
und das deutsche Volk, das militärisch nicht unterliegen wird, wird
sich auch wirtschaftlich nicht niederzwingen lassen. In unseren persönlichen
Bedürfnissen und alltäglichen Lebensgewohnheiten müssen
wir uns allerdings etwas Beschränkung auferlegen. Darüber besteht
kein Zweifel mehr. Und wer den Ernst der Situation noch nicht begriffen
hat, dem haben hoffentlich die neuen Bundesratsverordnungen dazu verholfen.
Am 1. Februar wird alles in Deutschland vorhandene Mehl für die Kommunen
und alles Brotgetreide für die Kriegsgetreide G. m. b. H. beschlagnahmt,
die ihrerseits für eine gerechte, jede Vergeudung ausschließende
Verteilung sorgen werden. Zu dieser Maßnahme mußten wir greifen,
um der Sorglosigkeit zu steuern, mit der von vielen zum Schaden des Volksganzen,
leider viel zu langen mit unseren Getreidebeständen gewirtschaftet
worden ist. Wie standen die Dinge zu Beginn des Krieges? Wir konnten,
vom Wetter begünstigt, unsere Ernte in allen Teilen des Reiches hereinbringen
und verfügten im Jahre 1914 über eine gute Mittelernte. Mit
dieser hätten wir nun an sich gut reichen können bis zur nächsten
Ernte, wenn nicht eine ganze Anzahl Abzüge zu machen gewesen wäre.
Zunächst schied ein Teil von Ostpreußen aus, wo durch die zeitweilige
russische Invasion Teile der Ernte verloren gingen. Dazu kommen die Aufwendungen,
die wir für Belgien machen mußten, um die dortige Bevölkerung
vor einer Hungersnot zu bewahren, bis sich in hochherziger Weise die Vereinigten
Staaten dieser Armen annahmen. Von Monat zu Monat vermehrte sich ferner
die Zahl der Kriegsgefangenen, und zurzeit müssen Engländer
bei uns beköstigt werden. Besonders fiel ins Gewicht das gänzliche
Stocken unserer Futtermitteleinfuhr, so daß die Landwirte zur Verfütterung
von Brotgetreide griffen. Ein dagegen erlassenes Verbot blieb erfolglos,
ebenso wie die diesen Zweck verfolgende Relation unter den Höchstpreisen
für Getreide, so daß uns leider auf diese Weise große
Mengen des zur Volksernährung unentbehrlichen Brotgetreides verloren
gegangen sind. Auch die Höchstpreise an sich führten der Bevölkerung
den Ernst der Lage nicht genügend nahe, die Ermahnungen blieben fruchtlos,
und so mußte sich wieder ein mal das von allen Ausländern bewunderte
deutsche Organisationstalent bewähren.
Die Kriegsgetreide-Gesellschaft, die größte Einkaufsorganisation,
die in Deutschland je bestanden hat, wurde begründet mit einem Kapital
von 50 Millionen Mark. Sie wollte zunächst im freien Verkehr ungefähr
2½ Millionen Tonnen Getreide aufkaufen, um nach dem 15. Mai bei
eintretendem Mangel ihre Vorräte allmählich wieder auf den Markt
zu bringen. Beteiligt sind an ihr die Bundesstaaten mit 2½ Millionen
Mark, die Großstädte über 100000 Einwohner mit 20 Millionen
und eine Anzahl gewerblicher großer Unternehmungen mit 9 Millionen
Mark. Um 2½ bis 3½ Millionen Tonnen im Werte von vielleicht
600 bis 700 Millionen Mark aufkaufen zu können, beschaffte sie sich
das erforderliche Geld durch Lombardierung bei der Darlehenskasse und
durch Bürgschaft der Zentralgenossenschaftskasse, die ihrerseits
wieder Rückendeckung bei der Reichsbank fand. Der Aufgabenbereich
der mit Sachverständigen aus Landwirtschaft, Handel und dem Müllereigewerbe
arbeitenden Gesellschaft ist ungeheuer erweitert worden durch die neueste
Bundesratsverordnung. Das Problem, das sie nun zu lösen hat, ist
die richtige Verteilung auf alle Gebiete des Reiches nach Maßgabe
der Bevölkerung und des durchschnittlichen Friedenskonsums. Durch
die Beschlagnahme steht zunächst die Maschinerie des freien Handels,
der sich in Deutschland zu großer Blüte entfaltet hat, still
und in den ersten Wochen können in einzelnen Bezirken Schwierigkeiten
auftreten, weil die Mehl- und Getreidevorräte zu ungleich verteilt
sind. Einzelne Städte haben in kluger Voraussicht sich große
Vorräte verschafft, einzelne Mühlen haben sich überreich
eingedeckt. Andere Kommunen waren sorgloser in dem Glauben, das Reich
werde für sie schon sorgen. Bis der erforderliche Ausgleich gegen
Ende März durchgeführt ist, kann an irgend einer Stelle Knappheit
an Mehl oder Getreide auftreten. Aber zu irgend welcher Besorgnis gäbe
eine solche nur örtliche und zeitweise Knappheit gar keinen Anlaß.
Es sind zur Zeit mindestens 1 Million Tonnen Mehl vorhanden; nur ihre
richtige Verteilung kann sich hier und da verzögern. Und es ist auch
genügend Mehlgetreide vorhanden, das hat die letzte im Dezember aufgenommene
Statistik erwiesen. Mit gutem Gewissen kann dem deutschen Volke gesagt
werden, daß wir mit unseren Vorräten reichen werden, wenn wir
uns nur eine gewisse, etwa auf Dreiviertel des Friedenskonsums zu bemessende
Beschränkung auferlegen. Wir haben jetzt die Gewähr, daß
wirklich danach gehandelt wird. Die Kommunen haben zum Teil ihre dahingehenden
Verfügungen schon erlassen und so werden wir mit Hilfe der Streckungsmaßnahmen
nicht nur bis zur nächsten Ernte versorgt sein, sondern sogar noch
darüber hinaus, und zwar auch dann, wenn aus dem neutralen Auslande
gar nichts mehr hereinkommt und wenn wir nicht mit in Rechnung stellen,
daß auf dem von uns reich besäten Boden Belgiens das Getreide
durchschnittlich einen Monat früher zur Reife kommt als in Deutschland
selbst. Wir können umso zuversichtlicher sein, als für die Statistik
vom Dezember, die die Basis für die Konsumberechnung abgeben mußte,
aus mancherlei Gründen anzunehmen ist, daß bei ihr die Getreidevorräte
auf keinen Fall zu hoch, sondern eher etwas zu niedrig angegeben worden
sind. Unsere Landwirtschaft hat also einen Sieg hinter der Front errungen
und dieses Bewußtsein sollte ihr auch über die Härten
hinweghelfen, die der gegenwärtige Eingriff in alle privatwirtschaftlichen
Betriebe ganz besonders für sie bringt. Den Landwirten wird alles
Getreide weggenommen bis auf das Saatgut fürs Frühjahr und bis
auf den allerdings auch auf drei Viertel des Friedenskonsums beschränkten
Bedarf für den eigenen Haushalt und das Gesinde. (9 kg. Brotgetreide
oder für jedes Kilo Getreide 800 Gramm Mehl auf den Kopf und Monat.)
Weiter werden die Landwirte durch den Futtermittelmangel gezwungen, einen
großen Teil des insgesamt etwa 23 bis 25 Millionen Stück betragenden
Schweinebestandes abzuschlachten. Bei richtiger Sparsamkeit beim Futter
wird es dagegen möglich sein, die Milchkühe und das Zuchtvieh
bis zum Frühjahrsgrünfutter durchzuhalten. Aber in einer Zeit,
wo Hunderttausende ihr Liebstes hingeben, darf niemand klagen, sondern
die Daheimgebliebenen müssen an Opferfreudigkeit wetteifern mit unseren
Truppen draußen im Felde. Noch ein Wort über die Kriegs-Getreidegesellschaft,
die jetzt mit so vielen staatlichen Vollmachten ausgestattet worden ist.
Ihr Tätigkeit hat sich auf dem Lande nicht überall leicht abgewickelt.
Die Landwirte haben in ihr teilweise ihren Feind gesehen, weil es dem
freien Mann auf der eigenen Scholle zuwider ist, daß ihm - in diesem
Falle im allgemeinen Interesse - etwas mit Zwang genommen werden kann
und auch genommen wird. Zu diesem Mittel der individuellen Enteignung
konnte die Kriegs-Getreidegesellschaft mit Hilfe der Landräte schon
vor dem 1. Februar greifen und hat es auch in einzelnen Bezirken getan,
wenn freihändig nicht genügend Getreide zu haben war. Nach dem
Erlaß der letzten Verordnungen ist die Opposition hier und da noch
lebhafter geworden. Man hält die Kriegs-Getreidegesellschaft für
überflüssig, nachdem bereits Verteilungsstellen eingerichtet
worden sind. Eine irrtümliche Auffassung. Das Reich selbst kann mit
seinem bürokratischen Apparat die schwierige Verteilung über
das ganze Reich nicht erfolgreich abwickeln. Das kann nur eine leicht
bewegliche Organisation. Es wäre außerdem um die Konservierung
unseres kostbaren Getreides übel bestellt, wenn sie dem Regierungsassessor
anvertraut wäre.
Die Aufgabe der Kriegs-Getreidegesellschaft kann man sich gar nicht groß
und schwierig genug vorstellen. Um sie zu lösen, müssen sich
viele Sachverständige aus den einschlägigen Gewerben die Hände
reichen. Mit fünf Millionen Landwirten muß eine Verbindung
angeknüpft werden. Nicht weniger als drei Millionen Tonnen Getreide
müssen in der Zeit vom 1. Februar bis 31. März von der Kriegs-Getreidegesellschaft
übernommen und bewegt werden, und es ist ausgerechnet worden, daß
hierzu alle vier Minuten ein Eisenbahnzug mit 40 Waggons Getreide bei
täglich zehn Stunden Arbeitszeit abgenommen, expediert, abgefertigt
und eingelagert werden muß. Der Einkauf und die Begutachtung geschieht
in jedem Bezirk von zwei Kommissionären und dem zuständigen
Gemeindevorsteher, die dafür eine Höchstprovision von vier Mark
für die Tonne sich teilen. Mühelos ist ihre Aufgabe nicht. Sie
tragen bei der Abschätzung der Güte des Getreides eine hohe
Verantwortung. Die schwierigste und wichtigste Aufgabe der Kriegs- Getreidegesellschaft
ist aber die Konservierung unserer Getreidevorräte. In Friedenszeiten
hat uns diese Aufgabe der Handel abgenommen, indem er das bei uns unter
feuchtem Klima gewachsene Getreide während der Keimzeit ins Ausland
führte und uns dafür das unter wärmerer Sonne im Ausland
gewachsene hereinbrachte. Jetzt ist diese Wechselwirkung ausgeschlossen
und wir müssen durch die zum Glück in den Mühlen vorhandenen
technischen Einrichtungen unser eigenes Getreide ohne Schaden über
die Keimzeit hinwegzubringen versuchen. Zunächst waren hierfür
nur die Großmühlen in Aussicht genommen worden und mit ihnen
wurde ein Mahl- und Lagervertrag von der Kriegs-Getreidegesellschaft abgeschlossen,
der ebenfalls Gegenstand lebhafter Anfeindungen, namentlich auf dem flachen
Lande, war. Den Einwänden, daß infolge der für das platte
Land ungünstigen Lage der Großmühlen die Kleie nicht wieder
an den Ursprungsort des Getreides zurückfließe, ist von der
Kriegs-Getreidegesellschaft dadurch Rechnung getragen worden, daß
künftig auch die kleinen Mühlen unter 25 Tonnen Produktion beschäftigt
werden sollen unter der Voraussetzung, daß sie sich unter Führung
der größten unter ihnen zu einem Verband zusammenschließen,
der die nötigen Lombardunterlagen schaffen kann. Die Hauptforderung
bleibt dabei, daß die Mühlen technisch so fortgeschritten sein
müssen, um bis zu den vorgeschriebenen 82 Prozent ausmahlen zu können.
Die für die Landwirtschaft bei der jetzigen Futtermittelnot so außerordentlich
wichtige Kleienfrage wird wohl durch die Bestimmung in § 26 der Bundesratsverordnung
vom 25. Januar der Lösung etwas nähergebracht, wonach die Kriegs-Getreidegesellschaft
verpflichtet ist, das Getreide, welches in ihrem Eigentum oder zu ihren
Gunsten beschlagnahmt wird, zu Gunsten des Kommunalverbandes, in dessen
Bezirk es sich befindet, auf sein Verlangen bis zur Höhe des aus
ihn entfallenden Bedarfsanteiles zu enteignen. Dabei wird dem Abfluß
des Getreides nach den großen Mühlenzentren bis zu einem gewissen
Grade gesteuert. Die am 1. Februar erfolgte Beschlagnahme wird so mit
Sicherheit Aufschluß geben über die in Deutschland vorhandenen
Mengen von Mehl und Getreide und die demnach zu folgenden Beschränkungen.
Sie wird weiter die Unterlage geben zur Prüfung der Frage, ob es
ratsam ist, für das ganze Reich ein einheitliches Kriegsbrot unter
starker Verminderung des Weizenzusatzes backen zu lassen. Vorgearbeitet
wird diesem Gedanken erfreulicherweise durch die Verfügungen, die
in den letzten Tagen zahlreiche große Städte erlassen haben
und die schon jetzt manchen luxuriösen Friedensgewohnheiten den Garaus
machen werden. Aber mag nun das Ergebnis der Beschlagnahme sein wie es
will, feststeht, daß der Aushungerungsplan unserer Feinde an dem
Willen und dem Organisationssinn des deutschen Volkes zu Schanden werden
wird. 2)
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