Der Vormarsch der Russen in der Bukowina
Aus
Dornawatra in der Bukowina wird der "Frankfurter Zeitung" geschrieben: In
der letzten Zeit machen die Russen verzweifelte Anstrengungen, tiefer in die
Bukowina einzudringen. Sie verfolgen damit strategische und politische
Absichten. In strategischer Hinsicht wollen sie erstens durch einen Einbruch
nach Ungarn von der Bukowina, dem östlichen Kampfterritorium, die rechte Flanke
der in den Karpathen kämpfenden österreichisch - ungarischen Truppen umgehen,
zweitens decken sie durch ein tieferes Eindringen in die Bukowina die Flanke
ihrer eigenen in den Czornahora- und anderen Waldkarpathenpässen kämpfenden
Truppen. In politischer Hinsicht wollen die Russen durch den Vormarsch in den an
Rumänien grenzenden Ländern Bukowina und Siebenbürgen dieses noch vorläufig
unschlüssige Königreich an der Westgrenze umfassen, um es so allmählich der
Verbindung mit Österreich zu berauben und es durch militärische Demonstrationen
auf ihre Seite zu bringen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß sich Rußland bei
seinen Operationen in der Bukowina zum großen Teile von Rücksichten auf Rumänien
leiten läßt. Die forcierten Angriffe auf Czernowitz mit dem ungeheuren Aufwande
von Menschenmaterial und Geschützen in den letzten Tagen des November, um diese
durch die Österreicher im Oktober besetzte Stadt wieder zurückzugewinnen, hatten
hauptsächlich ihre Ursache in dem Bestreben der Russen, dem am 1. Dezember
zusammengetretenen rumänischen Parlamente zu zeigen, daß das rumänische
Kulturzentrum Czernowitz wieder in russischem Besitze sei, um so die rumänische
Volksvertretung zu einer Stellungnahme für Rußland zu veranlassen. Am 29.
November zogen die Russen in Czernowitz ein. Dies wurde ihnen nur dadurch
ermöglicht, daß sie in weitem Bogen die längs des Pruth sich dahinziehende
Verteidigungsstellung der österreichisch-ungarischen Truppen umfingen. Um der
Gefahr der Umzingelung zu entgehen, mußten sich die Österreicher rasch in das
Innere der Bukowina zurückziehen. Nun rückten die Russen auf drei Linien vor.
Eine Linie war die Karpathenreichsstraße Czernowitz - Terescheny, die zweite
Linie Hlinica - Storozynetz und dann weiter auf der verdeckten
Karpathenreichsstraße gegen Czudin; die dritte Linie war am Rande der Bukowina
längs des Ceremosz, von Nepolokouz nach Wiznitz, Rostocki und Putilla. Die erste
Linie führt durch rein rumänisches Gebiet, die dritte durch rein ruthenisches
Huzulengebiet und die zweite durch nationale Grenzgebiete. Die unter Führung des
Obersten Fischer stehenden verhältnismäßig sehr schwachen Bukowiner
Waldkarpathentruppen, die sich zum größten Teil aus Landstürmern
zusammensetzten, verteidigten das Gelände gegen den in vielfacher Mehrheit
vorrückenden Feind so tapfer, daß die Russen auf der ersten Linie nur bis zum
Serethflusse vordringen konnten. Auf der zweiten Linie mußten sie beim
dichtbewaldeten Schurdinpasse infolge der guten Verteidigung der Österreicher
Halt machen. Auf der dritten Linie gelangten die Russen zum Putillatal; weiter
konnten sie nicht, weil ihnen die huzulischen freiwilligen Legionäre große
Schwierigkeiten bereiteten. Die Kräfte der etwa 50000 Mann setzten sich aus
Kaukasustruppen, die für dieses Gebiet besonders geeignet sind, Fußsoldaten aus
Zentralrußland und Reichswehrleuten zusammen. Als die Russen sahen, daß sie
nicht weiter kamen, und sich auch bei den russischen Soldaten wegen der
Schwierigkeiten des Vormarsches Unzufriedenheit bemerkbar machte, zogen sie neue
Verstärkungen - nach Meldungen des Bukarester russenfreundlichen Blattes
"Adeverul" etwa 90000 Mann - heran und rückten vor. Die Österreicher und Ungarn,
die bisher den Russen ziemlich schwere Verluste beigebracht hatten, mußten sich
infolge dieser großen Übermacht in die Bukowinapässe zurückziehen und räumten
freiwillig das Flach- und Hügelland der Bukowina. Die Russen zogen von
Terescheny und Deutsch - Tereblesti über den Serethfluß und besetzten Sereth.
Nach der Erstürmung des Schurdinpasses kamen sie nach Radautz und von da nach
dem Salzbergwerk Kaczyka, um dann auf der Karpathenstraße nach Kimpolung, den
Mestikanestipaß, nach Dornawatra und über den Borgopaß nach Siebenbürgen zu
gelangen. Nach der Eroberung des Putillatales besetzten sie Storonetz Putilla,
zogen nach Seletin, um von hier aus über den Luczynapaß nach Kirlibaba und dann
weiter über den Priloppaß in das Vissotal zu gelangen, um so den
österreichisch-ungarischen Truppen, die bei Körösmezö kämpften, in den Rücken zu
fallen. Es ist ausgeschlossen, daß die Russen diese Pässe überwinden werden,
denn die österreichisch-ungarischen Truppen verteidigen sich mit großer
Tapferkeit. Dabei muß noch berücksichtigt werden, daß die Russen bei den anderen
Karpathenübergängen es nur mit einem einzigen Passe zu tun hatten, während sie
hier zwei schon von der Natur sehr wild geartete Pässe zu überschreiten
haben. |