Der Weltkrieg am 10. November 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Fortschritte bei Ypern und in den Argonnen -
Ein Erfolg in Russisch-Polen

Großes Hauptquartier, 10. November, vormittags.
Unsere Angriffe bei Ypern schritten auch gestern langsam vorwärts. Über 500 Franzosen, Farbige und Engländer wurden gefangengenommen und mehrere Maschinengewehre erbeutet.
Auch weiter südlich arbeiteten sich unsere Truppen vor. Heftige Gegenangriffe der Engländer wurden zurückgewiesen.
Im Argonnenwald machten wir gute Fortschritte, feindliche Vorstöße wurden leicht abgewehrt.
In Russisch-Polen bei Konin zersprengte unsere Kavallerie ein russisches Bataillon, nahm 500 Mann gefangen und erbeutete acht Maschinengewehre.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Die Kämpfe bei  Czernowitz

Budapest, 10. November. (Priv.-Tel.) 
Verschiedene Umstände ließen unsere Heeresleitung darauf schließen, daß die Russen in der Bukowina einen neuerlichen Angriff in erster Reihe auf Czernowitz planten. Um dieses Vorhaben zu vereiteln, wurden umfassende Vorkehrungen getroffen, die zu einem glänzenden Erfolge führten. Unsere Truppen überschritten einige Kilometer nördlich von Czernowitz den Pruth und überfielen die Russen in der Flanke. Völlig überrascht von dem Angriff leisteten die Russen nur kurzen Widerstand und traten den Rückzug auf die dem Anschein nach einzige freie Linie an. Sie gerieten jedoch in den Schußbereich unserer Geschütze, die geradezu furchtbare Verheerungen in den Reihen der Russen anrichteten. Das Schlachtfeld bedeckten förmliche Berge von russischen Leichen. Mehrere hundert Russen wurden gefangen.
In Ostgalizien ist es gestern zwischen Rznow und Jablonow zu einem Zusammenstoß mit einer russischen Abteilung gekommen. Die Russen wurden in die Flucht gejagt.
2)

 

Vom Balkan

Budapest, 10. November. (W. B.) 
Aus Sofia erhält das Blatt "Az Est" die Meldung, daß die österreichisch-ungarische Heeresleitung die Freilassung der in Kriegsgefangenschaft geratenen serbischen Soldaten aus Mazedonien anordnete. Die erste Gruppe der Freigelassenen sei aus dem Gefangenenlager bei Esztergom bereits in Sofia eingetroffen Sie erzählten, die Serben hätten die bulgarische Bevölkerung von Mazedonien zum Militärdienst gegen Österreich-Ungarn gezwungen und sie immer in die vorderste Feuerlinie gestellt. Die Bulgaren gaben dem Zwange nach mit dem Vorbehalt, bei der ersten Gelegenheit zu desertieren. In den Kämpfen um Visegrad fochten Bulgaren aus Neuserbien notgedrungen mit, gingen aber, so bald sie konnten, in das österreichisch-ungarische Lager über. In Ungarn wurde ihnen eine humane, freundliche Behandlung zuteil.
2)

 

Der Krieg im Orient

Konstantinopel, 10. November. (Priv.-Tel.) 
Die türkischen Vortruppen haben gestern die Grenzen Ägyptens überschritten und halten nunmehr zwei Haupteinfallstore, El Arisch und Scheikh Zor, besetzt, die sie nach kurzem Kampfe genommen haben. Die Türken erbeuteten dabei von den Engländern vier Geschütze und beträchtliches Telegraphenmaterial.
An der kaukasischen Front wird die türkische Offensive fortgesetzt. Die Russen verloren bei ihrem Rückzuge viele Gefangene. Sie verschanzen sich nun in einer zweiten Stellung.

Konstantinopel, 10. November. (Priv-Tel.) 
Der halbamtliche "Tanin" nimmt den Telegrammwechsel zwischen den zwei ehrwürdigen Souveränen Österreich Ungarns und des Osmanenreichs zum Anlaß längerer Betrachtungen. Er erklärt: "Nach drei Monaten des Wartens nimmt nunmehr auch die Türkei mit voller Zuversicht und Würde ihren Platz an der Seite ihrer hohen Verbündeten ein. Während die türkische Flotte im Schwarzen Meere siegreich ihre Flagge zeigte, versteckte sich der Feind in einem Loch. Die türkische Armee hat nun den Befehl erhalten auf Ägypten zu marschieren. Dort an der Wiege der Kulturmenschheit wird sie ihre hohe Aufgabe zu erfüllen wissen, sie wird den tyrannischen Pharao dieses Jahrhunderts vom Throne stürzen. Die ersten Nachrichten vom Kaukasus, so sagt das türkische Blatt weiter, hätten gezeigt, daß die Aussichten für die Zukunft durchweg gut sind. Es schließt seine Betrachtungen mit der Erklärung, das türkische Volk nehme die vom Kaiser Franz Josef und vom Oberkommandierenden der österreichisch-ungarischen Armee, Erzherzog Friedrich, entsandten Grüße mit der größten Achtung auf. "Gott ist mit der guten Sache. Der Sieg wird unser sein!"

Konstantinopel, 10. November. 
Heute trafen hier, wie der "Tanin" meldet, 2000 mohammedanische Gefangene aus Deutschland ein. Es sind hauptsächlich ehemalige französische Truppen aus Algerien und Tunis, die jetzt in den Reihen der türkischen Armee gegen die Feinde des Islam kämpfen wollen. Dieser ersten Abteilung sollen noch weitere folgen.

Konstantinopel, 10. November. (W. B.) 
Die Blätter äußern lebhafte Freude über das Vorrücken der türkischen Truppen auf ägyptisches Gebiet. Das habe zum Ziele, der seit 1882 dauernden englischen Okkupation ein Ende zu machen. Die Blätter betonen einmütig, daß die kanadischen und australischen Truppen außerstande sein werden, Ägypten gegen die Türken zu verteidigen. Der "Tanin" erklärt, die Annexion Ägyptens werde nur ein sehr provisorischer Akt Englands sein, und erinnert an die niedrige Intrige der verworfenen Gegner, die ehemals unter dem Vorwande eines Bündnisse mit der Türkei sich Zypern angeeignet hätten, um die englische Herrschaft im Mittelmeer gegen Rußland zu sichern.
2)

 

Der Lügenfeldzug

Die "Frankfurter Zeitung" schrieb am 10. November 1914:
Als bei Kriegsbeginn England die deutschen Kabel durchschnitt und gleichzeitig in Deutschland aus militärischen Gründen eine strenge Nachrichten- und Postsperre durchgeführt werden mußte, war Deutschland in diesem kritischsten Moment seiner Geschichte in der Welt isoliert; es schien hilflos dem raffinierten Lügenfeldzug seiner Feinde preisgegeben. Neben unserem treuen Bundesgenossen Österreich-Ungarn schienen wir nur laue Freunde und mißgünstige Gegner zu haben; selbst die Völker, die in unserer Sache ihre eigene erblicken mußten, hielten sich aus Furcht vor den drohenden Großmächten vorsichtig zurück Es vergingen bange Tage, in denen nichts aus Deutschland herauskam, was das Ausland über unser Vorgeben wahrheitsgemäß unterrichtet hätte, während wir in Deutschland das mißtönende und gefährliche Echo der geschäftigen Beeinflussungsversuche vernahmen, mit denen unsere rücksichtslosen Feinde die ganze Welt gegen uns in Waffen zu bringen versuchten. In dieser Zeit hochgesteigerter nationaler Anstrengungen erging dann auch der Ruf an unsere Intellektuellen, jenem Lügenfeldzug der Feinde die Aufklärung des Auslandes entgegenzustellen. Es konnte nicht lange erwogen und geprüft, es mußte schnell gehandelt werden, so wie die überfallene Besatzung eines Lagers zur nackten Waffe greift, um sich zur Wehr zu setzen. Volle Anerkennung verdienen jene, die sich uneigennützig in diesen Aufklärungsdienst stellten. Es ist viel und willig gearbeitet worden, oft mit Geschick, freilich nicht immer, auch nicht immer mit der erforderlichen Rücksichtnahme, aber überall mit gutem Willen. Es scheint jetzt aber angebracht, auch diese Tätigkeit den veränderten Umständen anzupassen.
Allerdings war es ein Problem, die deutschen Nachrichten und Meldungen überhaupt im Auslande zu verbreiten, um die dortigen oft ganz absurden Vorstellungen über Lage und Stimmung in Deutschland zu berichtigen. Neutrale Länder, um deren Seele in jenen Tagen viel gerungen wurde, erhielten aus Deutschland nichts mehr, in anderen war die Presse gegen uns unverhüllt gehässig, und die Nachrichten mußten in einer anderen Form bekannt gemacht werden. Es wäre interessant, ein Kapitel über die Aufnahme dieser Aufklärungstätigkeit in den verschiedenen Ländern zu schreiben, da diese Aufnahme so genau den Stand der Stimmungen anzeigt, wie das Thermometer die Wärme: wir können danach genau feststellen, wo man sich freundlich und wo man sich abwehrend gegen uns stellte, wo man wirklich neutral und wo man voll Haß gegen uns war. Man wird aber das wie die andere Frage, warum unser Nachrichtendienst mit dem Auslande in jener wichtigen Zeit versagte, besser in einer späteren Periode behandeln; es wird dann hierüber Wichtiges zu sagen sein. Für jetzt genügt es, wenn wir feststellen, daß heute unsere Meldungen im ganzen Auslande erhältlich sind. Sie sind vor allem in Europa wie in Amerika verbreitet, soweit nicht die kriegführenden Mächte sie unterdrücken können. Wo also die neutrale Presse sie nicht verbreitet, geschieht es aus bösem Willen, gegen den wir machtlos sind. Es hat demnach keinen Zweck mehr, wenn die in reicher Zahl entstandenen Nachrichtenstellen noch versuchen, amtliche Meldungen aus Deutschland zu verbreiten, da sie dadurch lediglich offene Türen einrennen. Wie weit sie ihren Dienst noch fortführen sollen, ist eine Frage der Erfahrung und Beobachtung, insbesondere auch des Taktes und der eingehendem Kenntnis des Gebietes, das sie bearbeiten. Daß einzelne Stellen hier Vorzügliches leisten, unterliegt für uns keinem Zweifel, aber ein erheblicher Teil dieser Tätigkeit sollte jetzt eingestellt werden.
Wichtiger als die Verbreitung einzelner Nachrichten kann die objektive Darstellung unserer Leistungsfähigkeit, insbesondere auch auf wirtschaftlichem Gebiete sein, wozu sich kurzgefaßte Studien recht gut eignen würden. Es will uns auch scheinen, als brauchten wir jetzt, wo das Ausland allmählich von selbst zu einer gerechteren Würdigung unserer Haltung und unserer starken Volkskraft gelangt, bei Ausstreuungen der Feinde nicht mehr nervös zu werden, da die Gefahr, daß die neutralen Staaten sich durch ein gefälschtes Augenmaß zu übereilten Entschlüssen hinreißen lassen, zurückgetreten ist. Und was unser Menschentum anbelangt, so können wir ruhig das Urteil der Geschichte im Vertrauen auf ein gutes Gewissen abwarten und unsere Feinde walten lassen, deren wahrer Charakter sich immer mehr enthüllt. Die Verletzung der belgischen Neutralität erweist sich für jeden, der objektiv denken will, als ein englisches Agitationsmanöver kühnster Art: die angebliche Zerstörung Löwens ist in Ursache und Umfang völlig klar gestellt und die Kathedrale von Reims, die der letzte große Ansturm des Lügenfeldzuges zum Gegenstand hatte, muß für uns sprechen, da jetzt jeder wissen kann, wer dieses unschätzbare Kunstwerk absichtlich in Gefahr brachte. Wir werden gut tun, allen solchen Manövern gegenüber einen kühlen Kopf zu behalten: wir werden uns wehren, wo es notwendig ist aber niemand nachlassen. Denn wer uns nicht mag, den werden wir schwerlich zur Liebe zwingen. Wir können ihm aber durch unsere Taten, durch unsere Würde und Menschlichkeit Achtung abringen. Wer will, der kann an dem Schicksal Antwerpens lernen, wohin letzten Endes der Lügenfeldzug unserer Feinde führen muß. Die furchtbare Massenflucht der Antwerpener, als sie die Wahrheit erfahren mußten und sich von dem verlogenen England schnöde verlassen sahen, diese Verwüstung von Bürgergut und Bürgerglück, diese Erlebnisse sinnlosesten Schreckens, das war ein Vorspiel von dem, was die Belügung der Völker auch anderwärts hervorrufen kann.
Im übrigen wäre es wohl nützlich, jetzt die Aufklärung des Auslandes in eine andere Bahn zu leiten. Wir haben in Deutschland nichts zu verbergen, soweit nicht militärische Rücksichten mitsprechen. Aber unsere wirtschaftlichen Zustände, unsere Gefangenenlager, unsere Lazarette für verwundete Feinde, all das können wir dem Auslande ruhig zeigen. Und noch mehr können wir ihm zeigen wie die Dum-Dum-Geschosse der Engländer und die Verwüstungen durch die Franktireurs oder durch die Russen. Unsere Heeresleitung hat in richtiger Einsicht schon wiederholt Ausländer zugelassen oder sie direkt zum Kommen aufgefordert, um ihnen einen Einblick hierin zu gewähren. Das scheint uns die richtige Art zu sein, in der jetzt die Aufklärungsarbeit fortzusetzen, wäre: wahrheitsliebende Ausländer der verschiedensten Nationalität zum Besuche Deutschlands einzuladen und sie alles das sehen zu lassen (soweit nicht militärische Gründe dagegen sprechen) was den Gegenstand der Angriffe gegen uns bildet, oder wegen dessen wir die Feinde anzuklagen haben.

 

Der 1. Weltkrieg im November 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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