Der
Lügenfeldzug
Die
"Frankfurter Zeitung" schrieb am 10. November 1914:
Als bei Kriegsbeginn England die deutschen Kabel durchschnitt und
gleichzeitig in Deutschland aus militärischen Gründen eine strenge
Nachrichten- und Postsperre durchgeführt werden mußte, war Deutschland
in diesem kritischsten Moment seiner Geschichte in der Welt isoliert; es
schien hilflos dem raffinierten Lügenfeldzug seiner Feinde preisgegeben.
Neben unserem treuen Bundesgenossen Österreich-Ungarn schienen wir nur
laue Freunde und mißgünstige Gegner zu haben; selbst die Völker, die in
unserer Sache ihre eigene erblicken mußten, hielten sich aus Furcht vor
den drohenden Großmächten vorsichtig zurück Es vergingen bange Tage, in
denen nichts aus Deutschland herauskam, was das Ausland über unser
Vorgeben wahrheitsgemäß unterrichtet hätte, während wir in Deutschland
das mißtönende und gefährliche Echo der geschäftigen
Beeinflussungsversuche vernahmen, mit denen unsere rücksichtslosen Feinde
die ganze Welt gegen uns in Waffen zu bringen versuchten. In dieser Zeit
hochgesteigerter nationaler Anstrengungen erging dann auch der Ruf an
unsere Intellektuellen, jenem Lügenfeldzug der Feinde die Aufklärung des
Auslandes entgegenzustellen. Es konnte nicht lange erwogen und geprüft,
es mußte schnell gehandelt werden, so wie die überfallene Besatzung
eines Lagers zur nackten Waffe greift, um sich zur Wehr zu setzen. Volle
Anerkennung verdienen jene, die sich uneigennützig in diesen Aufklärungsdienst
stellten. Es ist viel und willig gearbeitet worden, oft mit Geschick,
freilich nicht immer, auch nicht immer mit der erforderlichen Rücksichtnahme,
aber überall mit gutem Willen. Es scheint jetzt aber angebracht, auch
diese Tätigkeit den veränderten Umständen anzupassen.
Allerdings war es ein Problem, die deutschen Nachrichten und Meldungen überhaupt
im Auslande zu verbreiten, um die dortigen oft ganz absurden Vorstellungen
über Lage und Stimmung in Deutschland zu berichtigen. Neutrale Länder,
um deren Seele in jenen Tagen viel gerungen wurde, erhielten aus
Deutschland nichts mehr, in anderen war die Presse gegen uns unverhüllt
gehässig, und die Nachrichten mußten in einer anderen Form bekannt
gemacht werden. Es wäre interessant, ein Kapitel über die Aufnahme
dieser Aufklärungstätigkeit in den verschiedenen Ländern zu schreiben,
da diese Aufnahme so genau den Stand der Stimmungen anzeigt, wie das
Thermometer die Wärme: wir können danach genau feststellen, wo man sich
freundlich und wo man sich abwehrend gegen uns stellte, wo man wirklich
neutral und wo man voll Haß gegen uns war. Man wird aber das wie die
andere Frage, warum unser Nachrichtendienst mit dem Auslande in jener
wichtigen Zeit versagte, besser in einer späteren Periode behandeln; es
wird dann hierüber Wichtiges zu sagen sein. Für jetzt genügt es, wenn
wir feststellen, daß heute unsere Meldungen im ganzen Auslande erhältlich
sind. Sie sind vor allem in Europa wie in Amerika verbreitet, soweit nicht
die kriegführenden Mächte sie unterdrücken können. Wo also die
neutrale Presse sie nicht verbreitet, geschieht es aus bösem Willen,
gegen den wir machtlos sind. Es hat demnach keinen Zweck mehr, wenn die in
reicher Zahl entstandenen Nachrichtenstellen noch versuchen, amtliche
Meldungen aus Deutschland zu verbreiten, da sie dadurch lediglich offene Türen
einrennen. Wie weit sie ihren Dienst noch fortführen sollen, ist eine
Frage der Erfahrung und Beobachtung, insbesondere auch des Taktes und der
eingehendem Kenntnis des Gebietes, das sie bearbeiten. Daß einzelne
Stellen hier Vorzügliches leisten, unterliegt für uns keinem Zweifel,
aber ein erheblicher Teil dieser Tätigkeit sollte jetzt eingestellt
werden.
Wichtiger als die Verbreitung einzelner Nachrichten kann die objektive
Darstellung unserer Leistungsfähigkeit, insbesondere auch auf
wirtschaftlichem Gebiete sein, wozu sich kurzgefaßte Studien recht gut
eignen würden. Es will uns auch scheinen, als brauchten wir jetzt, wo das
Ausland allmählich von selbst zu einer gerechteren Würdigung unserer
Haltung und unserer starken Volkskraft gelangt, bei Ausstreuungen der
Feinde nicht mehr nervös zu werden, da die Gefahr, daß die neutralen
Staaten sich durch ein gefälschtes Augenmaß zu übereilten Entschlüssen
hinreißen lassen, zurückgetreten ist. Und was unser Menschentum
anbelangt, so können wir ruhig das Urteil der Geschichte im Vertrauen auf
ein gutes Gewissen abwarten und unsere Feinde walten lassen, deren wahrer
Charakter sich immer mehr enthüllt. Die Verletzung der belgischen
Neutralität erweist sich für jeden, der objektiv denken will, als ein
englisches Agitationsmanöver kühnster Art: die angebliche Zerstörung Löwens
ist in Ursache und Umfang völlig klar gestellt und die Kathedrale von
Reims, die der letzte große Ansturm des Lügenfeldzuges zum Gegenstand
hatte, muß für uns sprechen, da jetzt jeder wissen kann, wer dieses
unschätzbare Kunstwerk absichtlich in Gefahr brachte. Wir werden gut tun,
allen solchen Manövern gegenüber einen kühlen Kopf zu behalten: wir
werden uns wehren, wo es notwendig ist aber niemand nachlassen. Denn wer
uns nicht mag, den werden wir schwerlich zur Liebe zwingen. Wir können
ihm aber durch unsere Taten, durch unsere Würde und Menschlichkeit
Achtung abringen. Wer will, der kann an dem Schicksal Antwerpens lernen,
wohin letzten Endes der Lügenfeldzug unserer Feinde führen muß. Die
furchtbare Massenflucht der Antwerpener, als sie die Wahrheit erfahren mußten
und sich von dem verlogenen England schnöde verlassen sahen, diese Verwüstung
von Bürgergut und Bürgerglück, diese Erlebnisse sinnlosesten
Schreckens, das war ein Vorspiel von dem, was die Belügung der Völker
auch anderwärts hervorrufen kann.
Im übrigen wäre es wohl nützlich, jetzt die Aufklärung des Auslandes
in eine andere Bahn zu leiten. Wir haben in Deutschland nichts zu
verbergen, soweit nicht militärische Rücksichten mitsprechen. Aber
unsere wirtschaftlichen Zustände, unsere Gefangenenlager, unsere
Lazarette für verwundete Feinde, all das können wir dem Auslande ruhig
zeigen. Und noch mehr können wir ihm zeigen wie die Dum-Dum-Geschosse der
Engländer und die Verwüstungen durch die Franktireurs oder durch die
Russen. Unsere Heeresleitung hat in richtiger Einsicht schon wiederholt
Ausländer zugelassen oder sie direkt zum Kommen aufgefordert, um ihnen
einen Einblick hierin zu gewähren. Das scheint uns die richtige Art zu
sein, in der jetzt die Aufklärungsarbeit fortzusetzen, wäre:
wahrheitsliebende Ausländer der verschiedensten Nationalität zum Besuche
Deutschlands einzuladen und sie alles das sehen zu lassen (soweit nicht
militärische Gründe dagegen sprechen) was den Gegenstand der Angriffe
gegen uns bildet, oder wegen dessen wir die Feinde anzuklagen haben.
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