Die
Höchstpreise für Lebensmittel
Die
"Frankfurter Zeitung" schrieb am 29. Oktober 1914:
In einer belagerten Festung ist, neben der militärischen Leitung,
die wichtigste Aufgabe des Kommandanten die, daß er die Lebensmittelversorgung
reguliere. Nun, Deutschland ist in diesem Kriege eine belagerte Festung.
Und wenn wir auch nicht so vollständig von der Außenwelt abgeschnitten
sind, wie unsere Gegner es gerne wünschten, so müssen wir uns
doch so einrichten, als ob wir es wären, um auch auf diesem Gebiete
der Nahrungsmittelversorgung für alle Fälle gerüstet zu
sein. Die Regierung hat drei Monate gewartet, bis sie diese Konsequenz
aus unserer Lage gezogen hat; sie hatte hierfür keinen Mobilmachungsplan
(der doch für unsere finanzielle Rüstung glänzend ausgearbeitet
fertig vorlag); sie fand auch nicht die Entschlußkraft, das im Frieden
Versäumte schleunigst nach Kriegsausbruch nachzuholen; erst der immer
lauter anschwellende Ruf der Öffentlichkeit hat sie endlich zum Handeln
gebracht. So ist vieles versäumt worden. Und das einzige Gute ist,
daß das Wichtigste noch nicht versäumt ist: wir werden auch
jetzt noch mit unseren Lebensmitteln reichen, werden nicht durch Schwäche
im Innern die Leistungen unserer Truppen gefährden.
Das lange Zögern der Regierung hat dem konsumierenden Volke eine
Mehrlast von mehreren hundert Millionen aufgebürdet. Diese unnötige
Belastung des Volkes ist hart, sehr hart, darüber hilft kein Argumentieren
hinweg. Und man muß mit aller Entschiedenheit fordern, daß
nicht etwa der gleiche schwere Fehler auch weiterhin wiederholt werde.
Diese Gefahr liegt sehr nahe. Denn zur Einführung von Höchstpreisen
für Kartoffeln hat der Bundesrat sich noch immer nicht entschließen
können, obwohl sie auch hier unbedingt geboten ist, um der gänzlich
unberechtigten Preistreiberei zu steuern. Und auch über den Zucker
liegen noch keine Beschlüsse vor; gerade hier hätte die Regierung
die Gelegenheit, durch Preisgabe der Verbrauchssteuer und Festsetzung
niedriger Preise dem Volke (und den Produzenten zugleich) Erleichterungen
zu schaffen.
So hat die Regierung in der Hauptsache nur die eine der zwei zu lösenden
Aufgaben in die Hand genommen: die Bedarfsregulierung. Sie konnte dies
entweder so tun, daß sie selbst den Vertrieb der Lebensmittel in
der Form des Monopols übernahm, oder auf dem anderen Wege, daß
sie durch einschneidende Verwendungsvorschriften den Konsum in die erwünschten
Bahnen lenkte. Sie hat das letztere, einfachere getan, und wir hoffen,
daß es genügen wird. Das Problem war ja in seinen Grundzügen
sehr simpel, erst bei den Einzelheiten kamen die technischen Schwierigkeiten.
Wir haben zu wenig Weizen und dafür einen Überschuß an
Roggen; uns fehlen die großen, sonst importierten Futtermengen für
das Vieh, und dafür haben wir Kartoffeln und die, jetzt noch nicht
berücksichtigten Zuckerrüben. Daraus folgen die jetzt beschlossenen
Maßnahmen, die ja an dieser Stelle wir anderwärts seit Wochen
und Monaten immer von neuem vorgeschlagen worden sind, von selbst. Wir
werden uns aus dem vorhandenen Brotgetreide mehr Brot machen, indem wir
das Mehl bei Weizen wie bei Roggen etwas gröber ausmahlen. Das ist
einträglich (auch für die Mühlen billiger) und gesund,
für den Magen wie für die Zähne und wenn das Kuchenbacken
dadurch eingeschränkt wird, so kann das nichts schaden, die Soldaten
im Felde und die Minderbemittelten zu Hause essen auch keinen Kuchen.
Wir werden ferner weniger Weizen und mehr Roggen essen; dazu hilft, neben
dem starken Preisunterschied zu ungunsten des Weizens, vor allem die Vorschrift,
daß statt reinen Weizenbrotes nur noch solches mit einem Zusatz
von 10 Prozent Roggenmehl gebacken werden darf. Daran wird sich der Konsum
ohne weiteres gewöhnen; in Fachkreisen beobachtet man schon seit
einiger Zeit eine Abwanderung des Weizenkonsums zum Roggenkonsum, als
Folge der öffentlichen Ermahnungen wie der hohen Preise. Wir werden
weiter weniger Roggen und mehr Kartoffeln essen, indem wir künftig
ein Kriegsbrot backen, das bis zu 20 Prozent Zusatz von Kartoffelprodukten
enthält. Wir werden Roggen sparen, indem wir die Schnapserzeugung
aus Korn einschränken (warum nicht ganz einstellen?) und vor allem,
indem wir Brotgetreide nicht mehr an das Vieh verfüttern. Das wird
(leider erst jetzt, nachdem es Wochen hindurch sicher in großem
Umfange betrieben worden ist) für die Regel, von dringenden Ausnahmen
abgesehen, verboten, und dieses schwer zu überwachende Verbot wird
den Landwirten dadurch schmackhafter gemacht, daß die Höchstpreise
für die anderen Futtermittel, für Gerste und Kleie, erheblich
unter den Roggenpreis festgesetzt werden. Wir werden endlich auch den
Kartoffelvorrat erheblich besser ausnützen, durch Einschränkung
der Alkoholerzeugung und durch starken Ausbau der Kartoffeltrocknerei,
die es ermöglicht, große sonst ungenutzt verfaulende Kartoffelmengen
zu einem dauerhaften Futter zu verarbeiten und aufzubewahren. Hier fehlt
- neben dem Zucker - noch die Regulierung der Viehbestände, also
die Untersuchung der Frage, ob wir not daran tun, unseren gesamten Viehbestand
(vor allem die schnell wieder zu ergänzenden Schweine) über
die "Belagerungszeit" durchzuhalten oder ob wir nicht jetzt
zu viel davon haben, zu viel für den augenblicklichen Bedarf und
zu viel für die Futtermittelvorräte.
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