Die
bisherige Entwicklung der Kämpfe um Antwerpen
Vom
Sonderberichterstatter der "Frankfurter Zeitung"
Brüssel,
im Oktober.
Seit acht Tagen hören die Brüsseler die Kanonen donnern,
die nun schon mehrere der wichtigsten Forts von Antwerpen niedergelegt
haben. Viele geben sich freilich noch immer Illusionen hin, obwohl sie
die Wirkung der deutschen und österreichischen schweren Artillerie
von Lüttich, Namur und Maubeuge her kennen. Sie lassen sich immer
wieder von wahnwitzigen Gerüchten betören. Bald sind die Franzosen,
die zum Entsatz kommen, schon bis Mons vorgerückt, bald landen Engländer
in Ostende. Trägt der Wind den Schall der Kanonen lauter und mächtiger
in die Stadt hinein, dann sind die Deutschen vor den ausbrechenden Belgiern
auf dem Rückzug.
Dem Fortgehen der Belagerung tun diese Täuschungen der Brüsseler
keinen Eintrag. Der amtliche Telegraph hat die ersten Erfolge schon gemeldet.
Die tatsächlichen Belagerungsoperationen haben erst vor kurzem begonnen.
Nachdem die belgische Armee sich am 20. August in die Festung zurückgezogen
hatte, wurde von der deutschen Heeresleitung nur ein "Beobachtungsheer"
davor gelegt, und man konnte den Eindruck gewinnen als ob Antwerpens Schicksal
von dem Gang der Kriegsoperationen in Frankreich abhängig gemacht
werden sollte. Ein Angriff von deutscher Seite erfolgte nicht. Die Gefechte,
die stattfanden, waren nur durch die Ausfälle der Belgier oder die
Besetzung einiger strategisch wichtiger Punkte wie Termonde notwendig
geworden Diese Ausfallsgefechte mehrten sich zwischen dem 9. und 13 September
und standen in offenbarem Zusammenhang mit der Zurücknahme des deutschen
rechten Flügels von der Marne auf die Aisne in Frankreich. Aber sie
hatten nirgends den gewünschten Erfolg. Der Ausfall von Villevorde,
der den Aufstand in Löwen veranlaßt hatte, die Züchtigung
dieser Stadt nach sich gezogen, die späteren endigten mit der Zerstörung
einiger Dörfer, in denen die Zivilbevölkerung sich noch immer
nicht versagen konnte, in die Kämpfe einzugreifen. In einer ersten
Phase der Operationen stritt man sich auch bereits um den Besitz der Stadt
Mecheln, allerdings nur mit fernem Artilleriefeuer, das wenig Schaden
tat. Zwischen dem 9. und 13. September und einige Tage später unternahmen
die Belgier auch einige Vorstöße auf die deutschen Verbindungslinien,
die indessen alle mißlangen.
Daß die deutschen Operationen nach und nach von der reinen Beobachtung
zur regelrechten Belagerung übergingen, merkte man auch in Brüssel.
Wir sahen mehr und mehr Truppen ankommen, darunter auch die strammen Leute
der Marineinfanterie, die Pioniere, die österreichischen Batterien
mit ihren Motormörsern und die deutsche Festungsartillerie welche
Maubeuge belagert hatten. Bald hörte man, daß auch zwei Kruppsche
42 Zentimeter-Geschütze langsam herankamen. In der Stadt wurde uns
ein merkwürdiges Schauspiel geboten: Wir sahen die deutschen Soldaten
alle Arten von Tonnen, besonders leere Petroleumfässer auf Wagen
durch die Straßen fahren, stets in der Richtung nach Norden. Die
Brüsseler begriffen sofort, daß es sich darum handelte, aus
diesen Fässern Flöße und Brücken zu bauen, auf denen
die überschwemmten Gebiete des Festungsbezirks überschritten
werden konnten. In den Tagen vom 9 bis 13. September war es schon zu Wassergefechten
gekommen Unsere Marine-Infanteristen schwammen in voller Rüstung,
das Gewehr überm Kopf, durch Kanäle zum Sturmangriff auf die
feindlichen Festungen.
Die eigentlichen Angriffe auf die Festung begannen am 27. September. Zunächst
mußte Mecheln vom Feinde gesäubert werden. Diese Stadt liegt
im Schußbereich der stärkstem Forts Waelhem und Wavre-St. Catherine.
Ihr Feuer hat wenig Schaden getan, jedenfalls nicht mehr als die von den
belgischen Stellungen ausgesandten Granaten und Schrapnells, welche die
Deutschem aus der Stadt vertreiben sollten, als noch keine feldgraue Uniform
sich dort gezeigt hatte. Mit der Niederlegung der ersten Forts erledigte
sich der Kampf um das davorliegende Mecheln von gelbst. Wie die amtlichten
Meldungen bereits erkennen ließen, ging man von deutscher Seite
bald auf die sich nördlich anschließenden Forts des äußeren
Ringes bis Lier über und war bald in der Lage, über die Forts
des inneren Ringes in die Vorstädte von Antwerpen zu schießen,
wenn man zur Kapitulation auffordern wollte. Östlich und westlich
vom Festungsbereich schoben sich deutsche Truppenkörper so weit vor,
daß ein Fluchtversuch der Belgier zur Abdrängung ins holländisches
Gebiet und damit zu ihrer Entwaffnung führen muß.
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