Der Weltkrieg am 29. September 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Beginn der Beschießung von Antwerpen

Großes Hauptquartier, 29. September, abends.
Auf dem rechten Heeresflügel in Frankreich fanden heute bisher noch unentschiedene Kämpfe statt. In der Front, zwischen Oise und Maas, herrschte im allgemeinen Ruhe. Die im Angriff gegen die Maasforts stehende Armee schlug erneute französische Vorstöße aus Verdun und Toul zurück.
Gestern hat die Belagerungsartillerie gegen einen Teil der Forts von Antwerpen das Feuer eröffnet. Ein Vorstoß belgischer Kräfte gegen die Einschließungslinie ist zurückgewiesen.
Im Osten scheiterten russische Vorstöße, die über den Njemen gegen das Gouvernement Suwalki erfolgten. Gegen die Festung Ossowiece trat gestern schwere Artillerie in Kampf.

Generalquartiermeister v. Stein. 1)

 

Die Kriegslage im Westen

Paris, 29. September. (Priv.-Tel.)
Die Bulletins sind jetzt viel kürzer gehalten. Die Zeitungen beschränken ihre Kommentare auf allgemeine Bemerkungen, die wenig Aufschluß geben. Paris ist in fieberhafter Erwartung. Vielfach wird angenommen, daß die Schlacht, die nun schon siebzehn Tage dauert, ihrer Entscheidung nahe sei, doch läßt sich bei der unerhörten Hartnäckigkeit des Kampfes nicht sagen, ob dies zutrifft.
Das Bulletin vom 28. September nachts 11 Uhr besagt:
Im Zentrum haben wir neue äußerst heftige Angriffe aufgehalten. Auf den Maashöhen und im Woëvre werden die Operationen durch dichten Nebel aufgehalten. In Lothringen und in den Vogesen ist die Lage unverändert.

Paris, 29. September. (Priv.-Tel.)
Ein heute Nachmittag 3 Uhr veröffentlichtes Bulletin sagt: Auf unserem linken Flügel nördlich der Somme sowie zwischen Somme und Oise hat der Feind mehrere Tag- und Nachtangriffe gemacht. Nördlich der Aisne wird nicht gekämpft. Im Zentrum, in der Champagne und östlich der Argonnen beschränkt sich der Feind auf starkes Geschützfeuer. Zwischen den Argonnen und der Maas sehen sich die Franzosen starken Befestigungen gegenüber. Sonst ist nichts Neues zu melden.
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Der Angriff auf Antwerpen

Amsterdam, 29. September. (Priv.-Tel.)
Die bisher hier eingetroffenen Berichte geben nur ein unzusammenhängendes Bild von den Kämpfen um Antwerpen, die am Freitag begonnen haben. Nur soviel ist klar, daß bisher nur kleinere Scharmützel stattfanden und daß selbst in dem Treffen bei Alost (zwischen Brüssel und Gent), das die Belgier als große Schlacht darstellen, nach Angabe der belgischen Berichte nur 6000 bis 10000 Deutsche im Gefecht waren. Die Aktion erfolgte auf einer Linie, die südlich von Alost beginnend über Mecheln bis (Moll östlich von Antwerpen) führt, das, wie gemeldet, von deutschen Truppen besetzt wurde. Auch Heyst op den Berg, ein Ort vor den östlichen Außenforts Anwerpens, ist nun in der Hand der Deutschen. Südöstlich von Alost hatten 400 Deutsche ein Gefecht mit einer kleinen englischen Abteilung.

Amsterdam, 29. September. (Priv.-Tel.)
Ein offizieller belgischer Bericht gibt zu, daß die Beschießung der südlichen Forts von Antwerpen, Waelhem und St. Kathelyne, begonnen hat. (Nach einer Meldung des "Telegraaf" steht auch das Fort Wavre unter Feuer.) Unter dem Schutze der Nacht haben die Deutschen, wie der Bericht sagt, Mecheln besetzt, sie hatten aber nicht versucht, aus der Stadt hervorzudringen (Mecheln liegt kaum 5 Km. südlich von Fort Waelhem und etwa 18 Km. südlich von der Stadt Antwerpen.) Das deutsche Artilleriefeuer auf große Distanz wird in dem belgischen Bericht " schlecht geregelt" genannt.
Am Sonntag sollen Granaten auf die Kathedrale von Mecheln gefallen sein. Der Kugelregen begann zuerst über dem Bahnhof und traf einen nach Antwerpen gehenden Zug und bestrich die Reiterkaserne und verschiedene andere Häuser. Die Bewohner Mechelns fliehen.

Brüssel, 29. September. (W. B.)
Bei dem Kampf um Mecheln hatte die schwere Artillerie des deutschen Heeres den ausdrücklichen Befehl erhalten, nicht auf die Stadt zu schießen, damit die Kathedrale geschont werde. Die Belgier selbst aber warfen aus dem Fort Waelhem nördlich von Mecheln schwere Granaten in die von den deutschen Truppen besetzte Stadt.
Das Kommando der Antwerpen belagernden deutschen Truppen hat behufs Verständigung der belgischen Regierung dem amerikanischen und dem spanischen Gesandten in Brüssel folgendes mitgeteilt: Soweit die belgischen Militärbehörden sich verpflichten, Kunstdenkmäler, insbesondere Kirchentürme, nicht für militärische Zwecke nutzbar zu machen, sind die deutschen Belagerungstruppen bereit, diese Bauten bei einer Beschießung tunlichst, das heißt insofern es bei der ungeheuren Sprengwirkung der modernen Geschosse möglich ist, zu schonen.
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Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Gemeinsame Offensive der Deutschen, Österreicher und Ungarn

Wien, 29. September.
Aus dem Kriegspressequartier wird amtlich gemeldet:
Angesichts der von den verbündeten deutschen und österreichisch-ungarischen Streitkräften eingeleiteten neuen Operationen sind beiderseits der Weichsel
rückgängige Bewegungen des Feindes im Zuge. Starke russische Kavallerie wurde unsererseits bei Biecz zersprengt. Nördlich der Weichsel werden mehrere feindliche Kavalleriedivisionen vor den verbündeten Armeen hergetrieben.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor. 1)

 

Die Kämpfe in Serbien

Wien, 29. September. (W. B.)
Amtlich wird bekannt gegeben:
Am 28. September trat nach mehr denn vierzehntägigen hartnäckigen Kämpfen, in deren Verlauf die Unsrigen die Drina und die Save neuerdings überschritten, auf dem südöstlichen Kriegsschauplatze eine Operationspause ein. Die Österreicher stehen auf serbischem Territorium und behaupten sich vorerst in den blutig errungenen Positionen gegen unausgesetzte heftige Angriffe. Diese enden stets mit bedeutenden Verlusten des Gegners. In den letzten Kämpfen wurden vierzehn Geschütze und mehrere Maschinengewehre erbeutet. Die Zahl der Gefangenen und Überläufer ist bedeutend. Die Nachrichten über eine serbisch-montenegrinische Offensive nach Bosnien sind durch den Einfall untergeordneter Kräfte in das Gebiet der Sandschakgrenze hervorgerufen worden. Maßregeln zur Säuberung des Gebiets sind unverzüglich getroffen worden.

Potiorek,
Feldzeugmeister.
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Vom Kriege gegen Rußland

Budapest, 29. September. (W. B.)
Das "Ungarische Korr.-Bur." meldet: Da die telephonische Verbindung mit der Gemeinde Ökörmezö im Komitat Maramaros unterbrochen war, machte sich im Publikum eine gewisse Beunruhigung bemerkbar. Heute eingetroffenen Nachrichten zufolge sind jedoch neuerlich Truppen dahin abgegangen, worauf sich die Lage geändert hat und zu Besorgnissen überhaupt kein Grund mehr vorliegt. Nach noch nicht bestätigten, aber von zuständiger Quelle stammenden Nachrichten aus Ungvar war in der Umgebung von Malom im Laufe des gestrigen Nachmittags ein Kampf im Gange, und heute sind die Russen wieder bis Uszod zurückgeschlagen worden. Angeblich ist auch aus der Gegend von Szinna Militär in großer Anzahl angekommen. Bis zur Station Csontos verkehren die Eisenbahnen.

Berlin, 29. September. (Priv.-Tel.)
Mit welch frechen Verdächtigungen die russische Heeresleitung gegen die deutsche Armee arbeitet, beweist eine beim Kriegsministerium eingegangene telegraphische Mitteilung des Armee-Oberkommandeurs der 8. Armee, in der ein Originalbefehl des russischen Generals Schilinski mitgeteilt wird, in dem vor Benutzung von Brunnenwasser gewarnt wird, da bei der deutschen Armee bei Koch hergestellte Cholerabazillen mitgeführt würden.
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Russische Finanzmaßnahmen

Wien, 29. September. (Priv.-Tel.)
Die "Korrespondenz Rundschau" meldet aus Stockholm, daß das ständige russische Finanzkomitee unter dem Vorsitz des Grafen Witte angesichts der ungünstigen finanziellen Lage Rußlands eine innerrussische Anleihe von 300 Millionen Rubel zu Kriegszwecken sowie die Ausschreibung einer Reihe von neuen Steuern zum Ersatze der durch den Krieg weggefallenen Staatseinkünfte beschlossen habe.
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Aus Mittelasien

Konstantinopel, 29. September. (W.B.)
Wie "Ikdam" erfährt, hat zwischen den Russen und dem persischen Stamme der Kardar ein Zusammenstoß stattgefunden. Der Angriff der Russen ist abgeschlagen worden, ein Offizier und 20 Soldaten wurden getötet. Derselbe Stamm nahm den Scheich von Barzam und seine Anhänger fest, alles russische Parteigänger, die vor längerer Zeit geflüchtet waren, und lieferte dieselben den türkischen Behörden ab. - Aus persischen Blättern übernimmt der "Ikdam" folgende Meldungen: Die Russen ziehen sich aus Persien zurück. Die russischen Kosaken sind aus Mesched über Aschabad angerückt, haben aber einen Teil ihrer Waffen, Kanonen und Munition zurückgelassen. Die Russen haben aus Angst vor der Revolution über alle von Muselmanen bewohnten Gebiete Rußlands den Belagerungszustand verhängt. - Die Nachricht daß die Russen von den Österreichern und Deutschen geschlagen worden sind,.hat eine heftige Strömung gegen Rußland hervorgerufen. In Turkestan dauert der Transport von Truppen nach Rußland fort, der Post- und Handelsverkehr ist eingestellt. Die Russen verstärken die Befestigungen an der afghanischen Grenze bei Kuschk. Die Afghanen haben den Hügel angegriffen, der den nach Afghanistan führenden russischen Tunnel beherrscht. Der Tunnel soll eingestürzt und mehrere Russen sollen verschüttet sein. Der Emir von Afghanistan entsandte 180000 Mann an die Grenze von Turkestan; diese Truppen sollen noch verstärkt werden. Die Russen sollen auch befürchten, daß die Perserprovinzen Aserbeidschan und Chorassan gegen sie marschieren würden.

Konstantinopel, 29. September. (W. B.)
Nachrichten aus hiesigen liberalen Kreisen zufolge wurde der Generalgouverneur von Aserbeidschan, der berüchtigte Samad Khan ein Parteigänger Rußlands, abgesetzt und durch den jüngeren Bruder des Schahs, den Thronfolger Mehmd Hassan Mirza, ersetzt. Dem neuen Generalgouverneur wird der ehemalige Wali von Kermanschah, Prinz Ferman Ferma, zur Seite gestellt werden.
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Aus Afrika

Bordeaux 29. September. (Priv.-Tel.)
Eine französisch-englische Expedition, die von Kriegsschiffen, besonders dem französischen Kreuzer "Bruix" und dem englischen Kreuzer "Cumberland" begleitet war, ist in Kamerun gelandet. Die Hauptstadt Duala ergab sich.

Lüderitzbucht, 29. September. (W. B.)
Meldung des Reuter-Bureaus: Gestern fand ein sehr lebhaftes Gefecht bei Lüderitzbucht zwischen Engländern und Deutschen statt. Die Deutschen hatten fünf Tote und zwei Verwundete, die Engländer drei Tote und vier Verwundete.

Frankfurt, 29. September.
Der frühere Burenkommandeur Jooste, der sich bei Ausbruch des Krieges als deutscher Kriegsfreiwilliger gemeldet hat und jetzt als deutscher Marinesoldat Dienste leistet, sendet der "Braunschweigischen Landeszeitung" eine Zuschrift, in der er mit Bezug auf das Verhalten der Buren in diesem Kriege ausführt, man dürfe nicht dem Burenvolk die Schuld an diesen Vorgängen zuschreiben. Er könne versichern, daß der Feind der Südafrikaner nicht der Deutsche sei, sondern der Brite. "Die 4000 Gräber der gefallenen Buren mahnen uns an unsere Pflicht, und das Blut der 26000 in den englischen Konzentrationslagern elend umgekommenen Frauen und Kinder schreit nach Rache. Was die Worte Bothas anlangt, so darf nur so viel Gewicht darauf gelegt werden, wie die Diplomatie in kritischen Zeiten verdient; es muß vielmehr die Tat des Generals Beyers, die Niederlegung seines Oberkommandos, ins Auge gefaßt werden. Daß Streitkräfte aus Kapland in Deutsch-Südwest eingebrochen sind, bedauere ich aufs tiefste, ich kann aber den vielen Freunden, die mich in diesen Tagen um Auskunft baten, nur antworten: Bin ich meines Bruders Hüter? Mir ist diese traurige und schmachvolle Tatsache ein neuer Beweis dafür, was die englischen Lügen fertig bringen, denn dem Bur ist offenbar feierlich versichert worden, daß die ihm abgünstig gesinnte deutsche Regierung das Uniongebiet annektieren wolle und dergleichen mehr . . . Mag das Burenvolk noch so viel Fehler haben, aber undankbar sind wir nicht, und wir werden nie und nimmer vergessen, wie viel Tränen getrocknet, wie viel Not gelindert und wie viel Menschenleben gerettet worden sind durch die uns aus dem ganzen deutschen Lande bewiesene Hilfe."
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Der 1. Weltkrieg im September 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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