Der Weltkrieg am 12. September 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Hindenburgs Sieg bei den masurischen Seen

Großes Hauptquartier, 12. September.
Die Armee des Generalobersten v. Hindenburg hat die russische Armee in Ostpreußen nach mehrtägigen Kämpfen vollständig geschlagen. Der Rückzug der Russen ist zur Flucht geworden.
Generaloberst v. Hindenburg hat in der Verfolgung bereits die Grenze überschritten und bisher 10000 unverwundete Gefangene und etwa 80 Geschütze gemeldet. Außerdem sind Maschinengewehre, Flugzeuge und Fahrzeuge aller Art erbeutet worden. Die Kriegsbeute steigert sich fortgesetzt.

Generalquartiermeister v. Stein. 1)

 

Auf dem Schlachtfeld östlich von Drengfurt, im September.
Das hehre Schauspiel, dessen erster Akt mit der Vernichtung der russischen Narew-Armee um Tannenberg seinen Abschluß gefunden hat, bietet nunmehr den zweiten Aufzug, dessen Zeuge ich gegenwärtig bin. Noch ist es nicht an der Zeit, den Inhalt dieses zweiten Aktes in seinen Einzelheiten hier wiederzugeben, geschweige denn ein Gesamtbild oder gar ein abschließendes Urteil über das Errungene hier zu liefern. Noch wütet der Kampf auf der ganzen Linie zwischen Altenburg und Angerburg, und diese Linie ist so vielfach gebogen und gewunden, wechselt so sehr fast von Stunde zu Stunde, daß, selbst wenn das militärische Interesse ein Bekanntwerden des bereits Gewonnenen und des noch Geplanten zuließe, sich doch diese gewaltige Schlachtlinie nicht schildern ließe.
Der Morgen sah mich auf dem Wege von Rastenburg nach Drengfurt. Das wundervolle Septemberwetter und die über die ganze Natur ausgebreitete friedliche Ruhe läßt mich ganz vergessen, daß ich einem Schlachtfelde zueile, das nur einige wenige Kilometer von mir entfernt liegt. Kurz vor dem anmutigen Flecken Salzbach werde ich daran erinnert, daß mein Weg mich zur Stätte des Ringens und Todes führt: in Staubwolken gehüllt, zieht ein Trupp russischer Gefangener vor mir vorüber. "Von welcher Division?" rufe ich in Russisch den laut- und teilnahmslos Einhergehenden zu - und sofort kommt ein strammer Zug in die regellose Soldatenmengen; die Gefangenen "fressen die Obrigkeit mit den Augen", wie das russische Reglement es so schön verlangt, und ohne Nachklappen erhalte ich zur Antwort: "Der sechsundzwanzigsten, Euer Hochwohlgeboren". Also aus dem zweiten (Grodnower) Armeekorps, dessen Kommandeur, der alte draufgängerische General Scheidemann, "Königsberg beiseite lassen wollte, um desto eher nach Berlin zu gelangen". Sein Wunsch wird vielleicht auch in Erfüllung gehen: er wird am Ende nach Berlin gelangen, nur nicht gerade als Sieger an der Spitze seines Korps.
Nach elf Uhr nähere ich mich gerade dem reizend an einem See gelegenen Städtchen Mühlbach - da hör´ ich deutlichen Geschützdonner und gleichzeitig sehe ich Rauchwolken den Himmel im Nordosten umhüllen. Immer und immer wieder jagen Munitions-Kolonnen an mir gegen Drengfurt vorbei, Leiterwagen mit Leichtverwundeten kommen mir entgegen. "Gerdauen gehört uns!"... "Unsere Artillerie hat endlich die ver... Russen gepackt!" "Wir haben sie aus Nordenburg hinausgejagt!". So rufen mir durcheinander die braven Jungen zu, die ihre blutbefleckten Verbände ganz vergessen zu haben scheinen.
Bei meiner Ankunft in Drengfurt steht der ganze Horizont in Flammen und Rauch, während das Brüllen der Geschütze ringsumher die Fensterscheiben der verlassenen Häuser zittern und klirren macht. Ich durcheile das Städtchen, das zu einem richtigen Feldlager geworden, schlängle mich durch kommende und gehende Proviant- und Munitionskolonnen, Ambulanzwagen, reitende Ordonnanzen, fauchende Kraftwagen des Oberkommandos hindurch, passiere neben dem hübschen Bismarckturm eine unserer gerade im Feuern begriffenen schweren Batterien und gelange schließlich auf die Anhöhe des alten Kirchhofs, die einen überraschend weiten Überblick über das ganze Schlachtfeld gestattet.
Zwischen Rehsau im Westen und weit über Thiergarten hinaus im Osten ist gerade ein scharfer Artilleriekampf im Gange. Bei Nordenburg haben wir uns bereits Luft gemacht und die russische Linie weit nach dem Nordosten und Norden zurückgebogen; nun gilt es, die Russen auch über Angerburg hinaus nach der gleichen Himmelsrichtung hin zurückzuschlagen; ihre Linie entweder zu durchbrechen oder aber womöglich ihre linke Flanke zu umklammern. Gerade vor mir liegt der "Fuchsberg", eine recht gut dominierende Anhöhe östlich von Drengfurt, in südlicher Richtung von Engelstein. Unsere bei Drengfurt aufgestellte schwere Artillerie richtet ihr Feuer auf diese Anhöhe und zwingt schließlich die dort stehenden Russen zum Rückzug. Nun heißt es vorgehen nach dem Fuchsberge zu, während von Rehsau bis Thiergarten unsere Granaten bereits alles in Feuer geschossen haben. Ich sehe die charakteristischen weißen Wolkenknäul der Schrapnells: die Russen suchen unser Vordringen dadurch zurückzuhalten. Vergebens - auch der Fuchsberg ist nicht mehr zu halten, und gegen 3 Uhr erstirbt das Feuer der russischen Geschütze. Man erzählt Wunderdinge von unseren Belagerungsgeschützen, von unseren 42-Zentimeter-Mörsern. Aber wer das Feuer unserer 15-Zentimeter-Haubitzen gesehen und beobachtet hat, muß auch ihnen höchstes Lob zollen. Diese hatten auch heute mit einem nicht zu verachtenden Gegner zu tun: die russische Artillerie - dies stellt sich immer deutlicher heraus - bildet den verhältnismäßig besten und ernsteren Teil der russischen bewaffneten Macht. Dennoch vermochte die russische Artillerie gegen die unsre nicht anzukämpfen, konnte verhältnismäßig nur kurze Zeit unserem Geschützfeuer standhalten. Zunächst ist unser Geschoß im allgemeinen dem russischen entschieden überlegen, zweitens steht die typische russische leichte Haubitze mit 12.19 Zentimeter Rohrdurchmesser unsrer 15-Zentimeter-Haubitze bedeutend nach, drittens ist die Treffsicherheit der Russen, obwohl in den jüngsten Jahren nicht unwesentlich ausgebildet, bei weitem nicht mit derjenigen unserer Artillerie zu vergleichen. Die Zünder des russischen Schrapnells (Brennzünder bis 5500, Aufschlagzünder bis 6400 Meter) scheinen, wie ich dies schon im russisch-japanischen Kriege konstatieren konnte, nicht selten zu versagen; noch mehr scheint dies bei den Aufschlagzündern der Granaten der Fall zu sein, während der Bogenschuß der Haubitzen-Schrapnells als recht gut zu bezeichnen ist. Im reinen Artilleriekämpfe - und um einen solchen handele es sich heute bei dem, was ich beobachten konnte - wird daher der Russe gegen uns nie etwas ausrichten können, umsomehr als das als entschieden "nervös" zu bezeichnende russische Geschütz vorzeitige Rückzugsgelüste zu empfinden pflegt.
Soviel für heute, soweit es sich aus und von dem Schlechtfelde berichten lässt. Die Russen haben ihre stark befestigten Stellungen auch auf der neugewählten Linie Altenburg-Angerburg (was an sich schon eine deutliche Rückzugslinie ausmachte) nicht nur nicht behaupten können, sondern dürften, mit umklammertem linken Flügel, den vielleicht gar fluchtartigen Rückzug nach dem Norden bereits angetreten haben. Ohne Prophet zu sein, kann man schon heute voraussehen, wie die zweite - nach Tannenberg - Entscheidung in Ostpreußen ausfallen wird.

Max Theodor Behrmann,
Kriegsberichterstatter.
2)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die Kämpfe in Galizien und Serbien

Wien, 12. September. (W. B.)
Amtlich wird bekanntgegeben:
10. September, abends. Die Schlacht bei Lemberg dauert an. Unser Angriff gewinnt allmählich an Raum.
Die Nachrichten von dem südöstlichen Kriegsschauplatz lassen erkennen, daß Teile der serbischen Armee, während wir die Drina überschritten, in Syrmien einbrachen, wo die Abwehr eingeleitet worden ist.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor. 2)

 

Vor Paris

Großes Hauptquartier, 12. September. (Priv.-Tel.)
Als die rechte Flügelarmee östlich von Paris ankam, erfolgte am 5. September ein Ausfall starker französischer Kräfte aus Paris auf die Linie Crepy en Valois - Meaux Dieser Ausfall, der bei den Franzosen durch sehr starke Artillerie, zum Teil durch aus Paris mitgeführte schwere Batterien gestützt wurde, wurde von den Deutschen zurückgeworfen, die auf Paris nachdrängten. Im Anschluß an diesen Ausfall erfolgte südöstlich von Paris ein Vorstoß sehr starker englischer und französischer Kräfte auf die Linie Meaux - Montmirail; auch diesem überlegenen Angriff hielten die deutschen Truppen stand, waren jedoch genötigt, ihren rechten Flügel zurückzubiegen. Der Angriff der Franzosen und Engländer war durch die hartnäckige Gegenwehr moralisch vollkommen zusammengebrochen, so daß die Deutschen ihre rückwärtige Bewegung am rechten Flügel ausführten, ohne daß die Franzosen nachdrängten. Die erste deutsche Armee allein nahm trotzdem 4000 Gefangene und 50 Geschütze mit.
Von den anderen Armeen liegen hierüber noch keine Berichte vor. Die schwersten Kämpfe spielten sich am Abschnitt des Petit Morin ab.
2)

 

Die französische Auffassung der Lage

Paris, 12. September. (Priv.-Tel.)
Die französischen Noten sprechen fortgesetzt von Erfolgen gegen die Deutschen. Sie besagen:
Der rechte deutsche Flügel unter Kluck sah sich von Anfang an von einer Umfassung bedroht, der er sich mit einer Reihe schneller, geschickter Bewegungen entzog. Kluck warf sich dann gegen unseren Flügel, welcher mit starker englischer Unterstützung eine neue Umfassungsbewegung westlich der Marne und westlich vom Ourcq unternahm. Wir brachten den Deutschen Verluste bei und hielten sie fest. Im ganzen genommen nimmt die Schlacht einen günstigen Verlauf für die Verbündeten. In den Argonnen halten die Deutschen stand, in Lothringen und den Vogesen ereignete sich nichts Neues.
Eine englische Note versteigt sich dazu, daß bei den Deutschen zahlreiche Fälle von Trunkenheit vorgekommen seien, was die Demoralisation beweise.
Präsident Poincaré sandte durch Millerand einen Brief an Joffre mit Glückwünschen für seinen "glänzenden Erfolg".
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Die Einnahme von Maubeuge

Großes Hauptquartier, 12. September.
In Maubeuge kapitulierten 40000 Mann, darunter vier Generale; 400 Geschütze fielen in die Hände der Deutschen. Am 8. September um 2 Uhr 30 nachmittags begann der Ausmarsch der Garnison, der bis um 9 Uhr abends dauerte. Die ausmarschierenden Truppen wurden sofort nach drei Einladungsstellen dirigiert, von wo sie nach Deutschland abgeführt wurden. Unter den Gefangenen fielen die Pioniere sowie die Artillerie, die ja immer eine französische Elitetruppe gewesen ist, durch ihre gute Haltung auf, während man diese bei der Infanterie nicht allgemein vorfand. Unter den Gefangenen befanden sich auch 120 versprengte Engländer, zumeist Bürschchen im Alter von 18 bis 20 Jahren. Als diese die Festung verließen, ging ein Murmeln des Unwillens durch die Reihen der deutschen Truppen. In ihm gelangte zum Ausdruck, wie das deutsche Volk so recht das perfide Albion als die Triebfeder und den Anstifter des ganzen gegenwärtigen Blutvergießens ansieht. Der deutsche Michel wird sein Schwert nicht eher in die Scheide zurückstecken, bevor nicht die Rechnung mit diesem gewissenlosen Volke gründlich beglichen ist. Der Unwille gegen die Engländer wurde noch größer, als diese versuchten, sich in harmlos unverschämter Weise mit den Deutschen anzubiedern, was von diesen natürlich in schärfster Form zurückgewiesen wurde.
2)

 

Der 1. Weltkrieg im September 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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