Nach
der Schlacht bei Tannenberg
Armee-Hauptquartier-Ost,
6. Septbr.
Das große Reinemachen nähert sich allmählich seinem
Ende.
Tagelang wurde an der größten Feldschlacht gekämpft, die
die neuere Geschichte je zu verzeichnen gehabt, und nachdem der gewaltige
Erfolg gesichert war, hieß es, mit den Aufräumungsarbeiten
vorgehen. Es war dies gewiß nicht leicht. Der blutige Kreis Paffenheim
- Ortelsburg - Neidenburg - Mühlen - Hohenstein, in den der Generaloberst
v. Hindenburg die 6½ Korps der russischen Narew- Armee gezwängt
hatte, lieferte in unsere Hände eine so riesige Anzahl von Gefangenen,
Geschützen und sonstigen Siegeszeichen, warf in die umliegenden Wälder
und Sümpfe so viele feindliche Versprengte und Hungernde, daß
es einer Reihe von Tagen bedurfte, um das Errungene zu zählen, zu
ordnen und nach und nach abzutransportieren. Dies alles wickelte sich
in geradezu wunderbarer Ordnung ab: die östliche Armee-Oberleitung
hat dadurch bewiesen, daß sie nicht nur Heere zu leiten und Schlachten
zu lenken, sondern auch rein administrativ Treffliches zu leisten versteht.
Tage hindurch hatte ich Gelegenheit, das von uns erraffte lebende und
tote Material zu prüfen. Es war dies gerade für mich von besonderem
Interesse: zwei Jahrzehnte hindurch konnte ich das militärische Rußland
in Krieg und Frieden an Ort und Stelle studieren; vor zehn Jahren sah
ich mich veranlaßt, diesem aus den mandschurischen Schlachtfeldern
kämpfenden Rußland ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis auszustellen
- nun hieß es Vergleiche anstellen, sich darüber schlüssig
zu werden, ob und was das russische Heer, die russische Heeresverwaltung
und -leitung seitdem gelernt hat. Um es gleich und kurz zu sagen: das
militärische Rußland hat - was mich übrigens keineswegs
überrascht, die alten Mängel beibehalten und neues nichts gelernt.
Von den in dichten Staubwolken dahinwatenden Gefangenen wird gewiß
niemand das propere, saubere Aussehen eines am Sonntag spazierenden Gardisten
erwarten. Aber die endlosen Reihen russischer Gefangener, die immer und
immer wieder vor mir vorbeidefilierten, boten ein derart eintöniges
Bild stupiden Jammers, daß mich schließlich schier ein Gefühl
wehen Mitleides mit diesem lebenden Kanonenfutter umschlich. Gott weiß,
es waren weder gefangene Löwen noch in die Falle gegangene Wölfe,
die ich da vor mir sah - ich mußte unwillkürlich an Tolstois
"Cholstomjer" denken, das müde, abgeplackte, bis zu den
Rippen abgemagerte Pferd, das trüben Auges um sich blickt auf dem
Wege zur Abdeckerei. Der russische Bauer, den ein thronlüsterner
Großfürst seinem Dorf und seiner Hütte entrissen hat,
damit er auf den ostpreußischen Feldern das verbrecherische Abenteuer
mit seinem dünnen Blute besiegele, ist seinem ganzen Urwesen nach
weder Held noch Ritter: er kämpft nicht, er mordet bloß - daher
sein Versagen in der Feldschlacht, daher auch seine Heimtücke, seine
sinnlosen Greueltaten, so oft er als Eintagsherrscher in ein feindliches
Dorf einzieht. Nur um geistige oder materielle Güter läßt
sich scharf und ritterlich kämpfen. So oft ich gefangene russische
Soldaten um den Grund des Krieges befragt habe, immer und immer wieder
bekam ich die gleiche Antwort: "Nass pognali" ("Man hat
uns hingejagt"). Vor einem Jahrzehnt hörte ich das gleiche auf
den Schlachtfeldern der Mandschurei. Hierin ist nicht zum wenigsten der
Grund der russischen Niederlagen zu suchen.
Vor einigen Tagen durfte ich in eine Feldtasche Einblick nehmen, die man
einem gefangengenommenen hohen russischen Offizier abgenommen hatte. Ein
altes Lied und ein böses Lied! Hofdamen aus Zarskoje Sselo und Peterhof
erzählen in diskret parfümierten Billett, wie General X. dem
General Y. bei "unserem Großfürsten" - dem düsteren
Nikolaj Nikolajewitsch - ein "Füßchen gestellt!"
und im Kommando den Rang abgelaufen; tapfere Mütter flehen ihre Söhne
im Felde an, "sich nicht übermäßig anzustrengen",
brave Gattinnen raten ihren Männern mit Flügeladjutanten-Schnüren,
sich "doch endlich krank zu melden". Ich sehe da wieder jene
Helden von russischen Gardeoffizieren vor mir neu aufleben, die vor einem
Jahrzehnt im Hintertreffen der mandschurischen Schlachten so tapfer Champagner-Flaschenköpfe
abschlugen und Vorder- und Nebenmänner in dienstlichen Intrigen schneidig
vernichteten. So war es und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.
Hunderte von eroberten Geschützen befinden sich in unseren Händen
- Geschütze, gegen deren Güte und Beschaffenheit sich vom artilleristischen
Standpunkt aus schlechterdings nichts einwenden läßt. Aber
wieder das alte garstige Lied: die Geschosse versagen oder die Brennzünder
taugen nichts oder die Munition weist falsche Kaliber auf. Erst vor wenigen
Monaten sagte mir der Chef der russischen Artillerieverwaltung, General
Kusmin-Karawajew: "Unsere Artillerie arbeitet im Felde stets entweder
mit den untauglichen Mitteln der Munition oder aber an den untauglichen
Objekten der Geschütze." Ein bon mot das eine tiefernste Wahrheit
in sich birgt; Beweise: Turuntschen, Mukden und jetzt wieder Tannenberg.
Die armen Gäule! So etwas Abgetriebenes, Ausgemergeltes, Zerbeultes
dürfte wohl kaum je auf einem Kriegsschauplatze die stolze Bezeichnung
Schlachtroß geführt haben. Die Kosakenpferde voran, die wieder
einmal beweisen - ich habe oft genug diesen Hinweis getan -, daß
die "stolzen Söhne des Don" nicht nur taktisch nichts taugen,
sondern nicht einmal als Pferdepfleger etwas wert sind. Das Dörferausrauben
oder Weiberschänden hat bekanntlich einen nur sehr bedingten Gefechtswert,
und über dies hinaus hat der russische Kosak noch nie etwas Nennenswertes
vollbracht - es müßten denn die Knutenhiebe sein, mit denen
er von Zeit zu Zeit ohne Ansehen der Person, des Geschlechts und selbst
des politischen Credo den "inneren Feind" bei sich zu Hause
niederkämpft
Max
Theodor Behrmann,
Kriegsberichterstatter.2)
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