Der Weltkrieg am 3. September 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT

Flucht der französischen Regierung nach Bordeaux

Paris, 3. Septbr. (W. B. Nichtamtlich.)
Die Agence Havas meldet:
Der Präsident der Republik und die Regierung haben Paris heute Nacht verlassen und sich nach Bordeaux begeben.

Kopenhagen, 3. Septbr. (Priv.-Tel.)
Clemenceau fährt fort in "L´homme Libre" über die Kundgebungen der Regierung zu spotten, weil diese nichts anderes mitteilen, als was man im voraus schon wüßte. Daß die Deutschen auf dem linken Flügel der Franzosen Fortschritte machen, bedeute nichts anderes, als daß sie sich Paris nähern. Deshalb müsse Frankreich seine Leiter auffordern, das Volk zur Tat aufzurufen.
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 Der deutsche Heeresbericht:

Der Vormarsch in Nordfrankreich -
90 000 Russen in Ostpreußen gefangen

Großes Hauptquartier, 3. September.
Bei der Wegnahme des hoch in Felsen gelegenen Sperrforts Givet haben sich, ebenso wie im Kampf um Namur, die von Österreich zugesandten schweren Motorbatterien durch Beweglichkeit, Treffsicherheit und Wirkung vortrefflich bewährt; sie haben uns ausgezeichnete Dienste geleistet.
Die Sperrbefestigungen Hirson, Les Ayvelles, Condé, La Fère und Laon
[Info] sind ohne Kampf genommen.
Damit befinden sich sämtliche Sperrbefestigungen im nördlichen Frankreich außer der Festung Maubeuge in unsern Händen.
Gegen Reims ist der Angriff eingeleitet.
Die Kavallerie der Armee des Generalobersten v. Kluck streift bis Paris.
Das Westheer hat die Aisne-Linie überschritten und setzt den Vormarsch gegen die Marne fort; einzelne Vorhuten haben sie bereits erreicht. Der Feind befindet sich vor den Armeen der Generalobersten v. Kluck, v. Bülow, v. Hausen und des Herzogs von Württemberg im Rückzug auf und hinter die Marne.
V vor der Armee des deutschen Kronprinzen leistete er im Anschluß an Verdun Widerstand, wurde aber nach Süden zurückgeworfen.
Die Armeen des Kronprinzen von Bayern und des Generalobersten v. Heeringen haben immer noch starken Feind in befestigten Stellungen in Französisch-Lothringen gegenüber.
Im oberen Elsaß streifen deutsche und französische Abteilungen unter gegenseitigen Kämpfen.
Im Osten ernten die Truppen des Generalobersten v. Hindenburg weitere Früchte ihres Sieges. Die Zahl der Gefangenen wächst täglich; sie ist bereits auf 90000 Mann gestiegen. Wieviel Geschütze und sonstige Siegeszeichen noch in den preußischen Wäldern und Sümpfen stecken, läßt sich gar nicht übersehen.
Anscheinend sind nicht zwei, sondern drei russische kommandierende Generäle gefangen.
Der russische Armeeführer ist nach russischen Nachrichten gefallen.

Generalquartiermeister v. Stein. 1)

 

Ein Aufruf des Präsidenten Poincaré

Präsident Poincaré
Poincaré

Paris, 3. Septbr. (W. B. Nichtamtlich.) 
Präsident Poincaré und die Regierung richteten folgenden Aufruf an das Land:

Franzosen! 

Seit mehreren Tagen stellen erbitterte Kämpfe unsere heldenhaften Truppen und die feindliche Armee auf die Probe. Die Tapferkeit unserer Soldaten hat ihnen an mehreren Punkten bemerkenswerte Vorteile eingetragen, dagegen hat uns im Norden der Vorstoß der deutschen Streitkräfte zum Rückzuge gezwungen. Diese Lage nötigt den Präsidenten der Republik und die Regierung zu einem schmerzlichen Entschlusse. Um über das Heil der Nation zu wachen, haben die Behörden die Pflicht, sich zeitweilig von Paris zu entfernen. Indessen wird der hervorragende Oberbefehlshaber der französischen Armee voll Mut und Begeisterung die Hauptstadt und ihre Bevölkerung gegen den Eindringling verteidigen. Aber der Krieg soll gleichzeitig im übrigen Lande weitergeführt werden; ohne die Furcht, nachzulassen, ohne Aufschub oder Schwäche wird der heilige Kampf für die Ehre der Nation und die Sühne des verletzten Rechtes weitergehen. Keine unserer Armeen ist in ihrem Bestände erschüttert. Wenn einige von ihnen bemerkenswerte Verluste erlitten haben, so sind die Lücken sofort von den Depots aus wieder aufgefüllt worden. Der Aufruf von Rekruten sichert neue Quellen an Menschenenergie.
Widerstand und Kampf, das soll die Parole der verbündeten englischen, russischen, belgischen und französischen Heere sein. Widerstand und Kampf, während die Engländer uns zur See helfen. die Verbindungen unserer Feinde mit der Welt abzuschneiden. Widerstand und Kampf, während die russischen Armeen weiter vorrücken, um den entscheidenden Stoß in das Herz des Deutschen Reiches zu führen. Es ist die Aufgabe der republikanischen Regierung, diesen hartnäckigen Widerstand zu leiten. Überall werden sich zum Schutze der Unabhängigkeit Frankreichs die Länder erheben, um diesem furchtbaren Kampfe seine ganzen Kräfte und seine Wirksamkeit zu verleihen.
Es ist unumgänglich notwendig, daß die Regierung freie Hand zum Handeln behält. Auf Wunsch der Militärbehörden verlegt die Regierung daher für den Augenblick ihren Aufenthalt nach einem Punkt Frankreichs, wo sie in ununterbrochener Verbindung mit der Gesamtheit des Landes bleiben kann. Sie fordert die Mitglieder des Parlamentes auf, sich nicht fern von ihr zu halten, um gegenüber dem Feinde zusammen mit der Regierung und ihren Kollegen den Sammelpunkt der nationalen Einheit zu bilden. Die Regierung verläßt Paris erst, nachdem sie die Verteidigung der Stadt und des befestigten Lagers durch alle in ihrer Macht stehenden Mittel sichergestellt hat. Sie weiß, daß sie es nicht nötig hat, der bewunderungswürdigen Pariser Bevölkerung Ruhe, Entschlußkraft und Kaltblütigkeit zu empfehlen. Die Bevölkerung von Paris zeigt jeden Tag, daß sie den größten Pflichten gewachsen ist.
Franzosen! Zeigen wir uns dieser tragischen Umstände würdig. Wir werden den endlichen Sieg erringen, wir werden ihn erringen durch den unermüdlichen Willen zum Widerstande und zur Beharrlichkeit. Eine Nation, die nicht untergehen will, die, um zu leben, weder vor Leiden noch vor Opfern zurückschreckt, ist sicher zu siegen.

Der Aufruf ist von Poincaré und sämtlichen Ministern
unterzeichnet
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Der Kaiser bei den Truppen

Großes Hauptquartier, 1. Septbr.
Am Sedan-Tage trafen sich der Kaiser und der Kronprinz bei Sorbey (Südöstlich von Longuyon). Der Kaiser fuhr dann im Kraftwagen weiter zum Königs-Grenadier-Regiment Nr. 7, dessen Kommandeur Prinz Oskar ist; dort hielt er eine Ansprache, die mit Hurra und der Nationalhymne endete, während die Sonne golden unterging und die Kanonen von Verdun herüberdröhnten.
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Die Wahrheit über Löwen

3. September.
Die Verleumdungen und Lügen unserer Feinde und die scharfe Kritik, die an der Zerstörung Löwens vereinzelt auch in den Blättern neutraler Staaten geübt worden ist, macht es notwendig, nochmals unverdächtigen Zeugen der Ereignisse in Löwen das Wort zu geben. Belgische Dominikaner, die in Köln angekommen sind, schildern die Vorgänge, die zu der Zerstörung Löwens geführt haben, wie die " Kölnische Volkszeitung" berichtet, folgendermaßen:
Die belgische Regierung erließ (nach dem Einzug der deutschen Truppen) eine Bekanntmachung, die zur Ruhe aufforderte und besonders vor dem Schießen warnte, da sonst schwere Strafen verhängt würden. Die Geistlichen wurden angewiesen, diese Kundmachung am Sonntag, den 23., zu verkündigen und dem Volke einzuschärfen. Von dem deutschen Militär waren Geiseln festgenommen worden, die, da alles ruhig blieb, am 24. abends wieder freigelassen wurden. Am Dienstag, den 25. morgens wurde noch einmal in allen Kirchen zur Ruhe und Besonnenheit ermahnt. Am Nachmittag dieses Tages kamen um 5 Uhr neue deutsche Truppen an, die, wie auch die vorhergehenden, die mittlerweile Löwen wieder verlassen hatten, in der Stadt einquartiert wurden. Bald darauf verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, Engländer und Franzosen seien von zwei Seiten im Anzug. Man hörte um diese Zeit Kanonendonner und Gewehrfeuer. Alsbald wurden schon aus den Häusern vereinzelte Schüsse auf die Soldaten abgegeben, was zur Folge hatte, daß um 7 Uhr 30 Minuten abends die Soldaten unter die Waffen gerufen wurden. Da begannen die Bürger in größerer Zahl aus den Häusern auf die Deutschen zu schießen. Die Truppen antworteten mit Gewehr- und Maschinengewehrfeuer. Der Kampf dauerte die ganze Nacht hindurch. Schon gingen Häuser in Flammen auf, besonders in der Bahnhofstraße. Die große Peterskirche, in der man Waffen gefunden hatte, wurde zusammengeschossen. Jeder, der sich am Fenster zeigte, wurde beschossen.
Die Geiseln wurden von neuem eingezogen und aufs Rathaus verbracht. Darunter befanden sich der Vizerektor der Universität Coenraets, der Subprior der Dominikaner und noch zwei Priester. Vom Rathaus wurden diese Geiseln unter militärischer Begleitung durch die Straßen geführt, damit sie an den Straßenecken die Bewohnerschaft in Französisch und Flämisch zur Ruhe mahnten. Das dauerte bis 4 Uhr nachts. Gleichwohl wurde während dieser Zeit aus den Häusern geschossen. Die Soldaten erwiderten das Feuer und die Brände mehrten sich.
Am Mittwoch mittag wurden die Geiseln von neuem durch die Straßen geführt, und sie verkündeten in beiden Sprachen, daß sie selbst erschossen würden, wenn der Widerstand nicht eingestellt werde. Es nützte nichts; selbst während dieses Rundganges wurde das Feuern nicht eingestellt; man schoß sogar auf die Soldaten, die die Geiseln begleiteten, ebenso auf den Arzt. Die ganze Nacht auf Donnerstag setzten sich diese Schändlichkeiten fort. Besonders auf dem Boulevard gingen nun immer mehr Häuser in Flammen aus.
Am Donnerstag, 27. August, um halb 9 Uhr vormittags kommt ein deutscher Offizier in Begleitung einiger Soldaten in das Kloster und fordert einige Patres aus, überall zu verkünden, daß die Stadt nun bombardiert werden würde. Es wurde den Bewohnern geraten, alles stehen und liegen zu lassen und sich nach dem Bahnhof zu begeben. Kurz darauf begann das Bombardement der Stadt. Um 9 Uhr waren die Patres am Bahnhof. Man hatte die Verwundeten, belgische und deutsche, die sie im Kloster, wo sich eine Station vom Roten Kreuz befand, verpflegt hatten, dorthin gebracht und in den Wartesaal gebettet. Die Patres bekamen die Erlaubnis, um 2 Uhr abzufahren und zwar einen Zug mit Gefangenen zu benutzen. Bei ihrer Abfahrt brannten die Hallen, die Gebäude der katholischen Universität und die Bibliothek.
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Aus Antwerpen

London, 3. Septbr. (W. B. Nichtamtlich.)
Reuter meldet aus Antwerpen unterm 2. September: Ein Zeppelin, der heute früh kurz vor 4 Uhr Antwerpen überflogen hat, ist ziemlich scharf beschossen worden. Gleichwohl hat er es vermocht, mehrere Bomben abzuwerfen. Zehn Häuser sind schwer beschädigt worden. Fünf Bomben sollen auf eine Viehweide gefallen sein.
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Die Kämpfe im Südosten

Österreichisches Kriegspressequartier, 3. September.
Die Kämpfe vor Lemberg beweisen nicht nur meisterhafte einheitliche Kampfführung, sondern auch die hervorragende Disziplin und den hohen inneren Wert der dort engagierten österreichisch-ungarischen Truppen, da es sich mehrmals darum handelte, wegen der enormen Schwierigkeiten die Kämpfe gegen den übermächtigen Gegner in Ordnung abzubrechen, also den Gegner genügend zu schwächen, ohne eine Niederlage zu erleiden. Alle mir begegnenden Offiziere und Mannschaften aus der Front berichten übereinstimmend über ausgezeichnete Stimmung, Ordnung in der Verpflegung und Munitionsversorgung. Die Schwierigkeit liegt nur in der enormen Übermacht der Russen, bei denen bereits Reserveformationen im Kampfe sind und daher stets frische Kräfte heranrücken. Trotzdem beschränken sich die österreichisch-ungarischen Truppen keineswegs auf reine Verteidigung, sondern führen fortgesetzt Offensivstöße aus.
Die lange Dauer des Ringens der Westarmee um den schließlichen großen Sieg ist erklärlich aus den verzweifelten Kämpfen des in starken Stellungen gewesenen russischen Gegners, dann aus den Marschschwierigkeiten (tiefer Sand und Moräste). Die Umfassung der russischen Truppen und ihrer Reserven, die immer wieder eingriffen, bedingte stets neue zu erkämpfende Siege, bis schließlich der große Enderfolg kam. Die bisher Gefangenen werden auf dreißigtausend geschätzt, die Zahl der erbeuteten Geschütze auf zweihundertzehn, wozu Massen von Maschinengewehren kommen. Die österreichischen Verluste an Geschützen und Gefangenen sind minimal. Die sonstigen Verluste sind schätzungsweise geringer, als man befürchtete. Die sanitären Verhältnisse sind sehr befriedigend.
Man ist guten Mutes, die strategische Situation ist günstig.
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Das Seegefecht in der Nordsee

3. September.
Die genauen Berichte über das Seegefecht bei Helgoland, bei dem der Verlust einiger kleiner Kreuzer und eines Torpedobootes zu beklagen war, lassen erkennen, daß auch die englischen Schiffe beträchtlichen Schaden erlitten haben. Das Zugeständnis in englischen Berichten, daß eines ihrer Schiffe stark zerschossen worden ist, läßt den Schluß zu, daß dieses Schiff so ziemlich gefechtsunfähig geworden ist. Da sie verschweigen, um welches Schiff es sich handelt, liegt die Vermutung nahe, daß es einer der großen Panzerkreuzer war. In diesem Fall haben sie nicht den geringsten Anlaß, von einem Erfolg zu sprechen, denn ein solcher Panzerkreuzer hat etwa die zwei- bis dreifache Gefechtsstärke der zerstörten deutschen Schiffe zusammengenommen. Zudem werden die von englischer Seite zugegebenen schweren Beschädigungen sich wohl nicht auf dieses eine Schiff beschränkt haben. Zieht man in Betracht, daß die englische Flotte mit einer ungeheuren Übermacht gegen die wenigen deutschen Vorpostenschiffe kämpfte, die an sich gar nicht zu einem solchen Kampf gegen Panzerkreuzer bestimmt sind, so ist der Verlauf dieses Gefechts für die deutsche Marine höchst ruhmreich gewesen. Denn einige wenige kleine Kreuzer, worunter einer der kleinsten und ältesten, und ein Torpedoboot, hatten sich mit zwei modernen Panzerkreuzern, zwei leichten Kreuzern und 40 Torpedojägern und einem Unterseeboote, also unter mehr als zehnfacher Übermacht, zu messen. Sie haben diesen ungleichmäßigen und aussichtslosen Kampf mutvoll bis zum Ende durchgeführt und dem Gegner einen Schaden zugefügt, der offenbar von diesem recht schwer empfunden wird. Danach kann man mit vollem Vertrauen einer von gleichwertigen Schiffen durchgeführten großen Seeschlacht entgegensehen, auch wenn dabei das zahlenmäßige Übergewicht auf englischer Seite ist. Von der Besatzung der gesunkenen deutschen Schiffe sind etwa 400 Mann gerettet worden
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Der neue Papst

Rom, 3. Septbr. (W. B.)
Die "Agenzia Stefani" meldet:
Kardinal della Chiesa wurde zum Papste gewählt.
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Der 1. Weltkrieg im September 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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