Der Weltkrieg am 3. August 1914

 

Ein Aufruf des Großherzogs von Hessen

Ernst Ludwig von Hessen
Ernst Ludwig von Hessen

Darmstadt, 3. Aug. (W. B.)
Eine Sonderausgabe der "Darmstädter Zeitung" veröffentlicht folgenden Aufruf des Großherzogs Ernst Ludwig:

"An mein Hessenvolk!

Für unser geliebtes Vaterland hat eine ernste Stunde geschlagen. Von Osten und Westen droht der Feind in einem frevelhaft uns aufgedrungenen Kriege in die Grenzen des Reiches einzudringen. Der Kaiser hat zu den Waffen gerufen. Es gilt die höchsten und heiligsten Güter zu wahren. Ich vertraue auf die alte Hessentreue, die sich in schwerer Zeit stets bewährt hat. Ich hoffe, daß mein Volk die großen Opfer an Gut und Blut freudig bringen wird, die jetzt von ihm gefordert werden. Meine innigsten Wünsche begleiten meine Hessen, die berufen sind, mit den Waffen in der Hand für Kaiser und Reich zu streiten. Wem es aber nicht beschieden ist ins Feld zu ziehen, der erfülle zu seinem Teil die großen Aufgaben, die den in der Heimat Bleibenden obliegen. Gottes Segen begleite unsere tapferen Streiter und bewahre unser teures Vaterland."
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Russische Kriegsmaßnahmen


Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch

Petersburg 3. Aug. (W. B.)
Der Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch wurde zum Generalissimus der russischen Streitkräfte ernannt. In einer Reihe von Gouvernement wurde der Kriegszustand erklärt. Der Kriegsminister brachte zur öffentlichen Kenntnis, daß es dringend erforderlich sei alle militärischen Maßnahmen geheimzuhalten. Jeder müsse zu diesem Ziele mitwirken. Der Minister empfiehlt größte Zurückhaltung und Vorsicht bei Unterhaltungen in Briefe und Telegrammen, die irgendwelche Bewegungen oder Dispositionen der Truppen enthüllen könnten, weil sonst der Armee gegebenenfalls überflüssige Opfer bringen müßte. Der Minister erklärte weiter, daß er den Generalstab beauftragt, die Öffentlichkeit über den Gang der Kriegsereignisse zu unterrichten. Die Bevölkerung werde sich jedoch mit kurzen knappen Nachrichten begnügen und ihre Befriedigung in dem Gedanken finden müssen daß diese Maßregel von der militärischen Notwendigkeit diktiert werde. Durch einen kaiserlichen Ukas wurden angesichts der gegenwärtigen Lage die Reichsduma und der Staatsrat zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen. Ferner wurde durch einen kaiserlichen Ukas ein Moratorium angeordnet.
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Der russische Botschafter verläßt Berlin

Berlin, 3. Aug. (Priv.-Tel.)
Die "B. Z. a. M." meldet:
Heute Vormittag ½12 Uhr hat der russische Botschafter in einem Automobil das Botschafterpalais unter den Linden verlassen. Vor dem Tore sah man einige Automobile und Wagen stehen, die das Personal der Botschaft und eine Anzahl Koffer mit dem Archiv der Botschaft fortzuführen hatten. Die diese Szene beobachtende Menge schaute lautlos zu, sodaß keinerlei Einschreiten der Schutzmannschaft notwendig war.
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Verhaftung des russischen Kultusministers 

Landsberg a. d. W., 3. Aug. (Priv.-Tel.) 
Der russische Kultusminister Casso, der sich auf der Durchreise nach der Heimat befand, wurde hier verhaftet und unter militärischer Bedeckung nach Stettin verbracht.
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Die Kaiserin-Witwe von Rußland

Berlin. 3. Aug. (W. B.)
Die Kaiserin-Witwe von Rußland passierte gestern von Calais kommend den Bahnhof in der Potsdamerstraße in der Absicht, nach Petersburg weiterzufahren. Sie wurde von einem Rat der russischen Botschaft empfangen. Der Rat stellte ihr vor, daß sie die Feuerlinie zu passieren habe. Nach langen Beratungen entschloß sich die Kaiserin-Witwe laut "Berl. Lokalanzeiger" über Hamburg zu reisen, um von dort auf dem Seewege Kopenhagen zu erreichen.
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Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Frankreich

Berlin, 3. Aug. (W. B. Amtliche Mitteilung.)
Bisher haben deutsche Truppen dem erteilten Befehle gemäß, die französische Grenze nicht überschritten. Dagegen greifen seit gestern französische Truppen ohne Kriegserklärung unsere Grenzposten an. Sie haben, obwohl uns die französische Regierung noch vor wenigen Tagen die Innehaltung einer unbesetzten Zone von 10 Kilometern zugesagt hat, an verschiedenen Stellen die deutsche Grenze überschritten. Französische Kompanien halten seit gestern Nacht deutsche Ortschaften besetzt. Bomben werfende Flieger kommen seit gestern nach Baden, Bayern und unter Verletzung der belgischen Neutralität über belgischen Gebiet nach der Rheinprovinz und versuchen, unsere Bahnen zu zerstören. Frankreich hat damit den Angriff gegen uns eröffnet und den Kriegszustand hergestellt. Die Reichssicherheit zwingt uns zu Gegenmaßnahmen. Seine Majestät der Kaiser hat die erforderlichen Befehle erteilt. Der deutsche Botschafter in Paris ist angewiesen worden, seine Pässe zu fordern.
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Die Haltung Englands

Berlin, 3. Aug., 5.40 N. (Priv.-Tel.)
Eine endgültige Erklärung Englands über seine Haltung liegt noch nicht vor. Man nimmt an, daß der Botschafter Goschen sie heute abgeben wird. Nachdem Rußland und Frankreich ohne Kriegserklärung tatsächlich den Krieg gegen uns eröffnet haben, kann die Haltung Englands auf die uns aufgedrungenen Entschlüsse keinen Einfluß mehr ausüben.
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Abreise des deutschen Botschafters in Petersburg

Berlin, 3. Aug. (Priv.-Tel.)
Wie der "Vossischen Zeitung" gemeldet wird, ist der deutsche Botschafter in Petersburg Graf Pourtales mit einer Anzahl Reichsdeutschen von Petersburg über Finnland nach Schweden abgereist. Er wird in kurzer Zeit in Berlin eintreffen.
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Der russische Botschafter in Wien

Wien, 3. Aug. (Priv.-Tel.)
Der russische Botschafter Schebeko erschien heute im Ministerium des Äußern und wurde vom Gesandten Grafen Forgach empfangen. Schebeko hat bisher seine Pässe nicht erhalten.
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Italiens Haltung

Rom, 3. Aug. (W. B.)
Die "Tribuna" meldet:
Gesten Mittag begab sich der deutsche Botschafter in die Consulta und teilte dem Minister des Äußern amtlich mit, daß Deutschland und Rußland sich im Kriegszustand befänden. Di San Giuliano nahm von der Mitteilung Kenntnis und erklärte daß Italien gemäß dem Geiste und dem Wortlaute des Dreibundvertrages Neutralität beobachten werde. Er drückte dabei die freundschaftlichsten Gefühle für Deutschland und Österreich aus. Der Botschafter machte keine Mitteilung über die gegenwärtigen deutsch-französischen Beziehungen.
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Neutralität der Vereinigten Staaten

Washington, 3. Aug. (W. B.)
Die Erklärung der Neutralität der Unionstaaten ist vorbereitet. Sie wird morgen veröffentlicht werden.
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Die Mobilmachung in der Türkei

Konstantinopel, 3. Aug. (W. B.)
Die Session des Parlaments wurde heute geschlossen. Der Vorsitzende betonte in seiner Ansprache, daß alle Ottomanen in dem gegenwärtigen schwierigen Augenblicke die Pflicht hätten, dem Throne wie ein Mann zur Seite zu stehen und sich der Verteidigung des Vaterlandes zu widmen.
Die teilweise Mobilisierung wurde nach einem im Palais abgehaltenen Ministerrate beschlossen. Eine diesbezügliche Kundmachung wurde bereits in Stambul plakatiert. Die Regierung hat eine Zensur für Auslandstelegramme eingeführt und trifft Maßnahmen gegen die Verteuerung der Lebensmittel. Der heutige Tag gilt als erster Mobilmachungstag.
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Von der deutschen Heeresleitung

Berlin, 3. Aug. (Priv.-Tel.)
Der Große Generalstab hat heute früh den Pressevertretern erklärt:
Vorerst gibt es nur eine Forderung: Vertrauen, unbedingtes Vertrauen in unsere oberste Armeeleitung; das weitere wird sich schon finden. Der Generalstab wird mit seinen Meldungen auf keinen Fall Schönfärberei treiben, sondern er wird sachlich und offen alles sagen, was zu sagen ist; wir sagen entweder nichts, aber wenn wir etwas sagen ist es wahr.
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Der Kampf gegen die Spione

Berlin, 3. Aug. (W. B.)
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegangenen amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zusammenziehung der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen Plätze. Kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Bevölkerung in unsere militärische Organisation ist glänzend gerechtfertigt. Besondere Hervorhebung verdient die Stimmung unter den Einberufenen. Voll Hingabe und Begeisterung, aber auch von dem Ernste der Stunde durchdrungen, sind alle der Gestellungsordre gefolgt. Das deutsche Volk darf die Zuversicht hegen, daß auch die weiteren militärischen Maßnahmen in der gleichen Ordnung und Planmäßigkeit ausgeführt werden.
Dem Publikum seinerseits aber erwächst jetzt eine außerordentlich bedeutsame Aufgabe. Es hat sich ergeben, daß uns das Ausland mit Spionen und Personen, die zur Ausführung verbrecherischer Anschläge bestimmt sind, geradezu überschwemmt. Es sind bereits zahlreiche Versuche unternommen worden, wichtige Kunstbauten, Eisenbahnbrücken, Tunnels und dergleichen zu sprengen, um den Aufmarsch unserer Truppen zu stören. Ein jeder solcher Versuch wird unter den obwaltenden Umständen unnachsichtlich mit dem Tode bestraft. Die bisherigen Versuche französischer und russischer Agenten in dieser Richtung sind glücklicherweise erfolglos geblieben. Täter sind sofort erschossen worden. Jedermann aus dem Volke hat die heilige Pflicht, was in seinen Kräften steht dazu beizutragen, daß derartige verbrecherische Anschlage auch weiterhin unwirksam gemacht werden. In einer ganzen Reihe von Fällen hat das Publikum bereits wertwertvolle Unterstützung bei der Verminderung solcher Anschläge und bei Entlarvung von Spionen dadurch geleistet, daß es auf verdächtige Personen aufmerksam machte, von verbrecherischen Plänen Anzeige erstattete oder rücksichtslos und in schroffster Form persönlich eingriff. Diese Mitwirkung jedes einzelnen aus der Bevölkerung zum Schutze des Vaterlandes muß noch verstärkt werden.
Wir sind rings von Spionen umgeben. Trage jedermann dazu bei, ihre Umtriebe unschädlich zu machen, indem er die Polizei oder deutsche Offiziere auf Verdächtige, namentlich ausländisch Sprechende, hinweist und deren Feststellung veranlaßt, und indem er von den etwa zu seiner Kenntnis gelangenden Anschlagsplänen Mitteilung macht. Auch das unwesentlichst Erscheinende kann dabei von Bedeutung sein. Eine sogenannte "Spionenfurcht" kennen wir nicht, wohl aber muß sich jeder seiner Pflicht gegen das Vaterland auch in dieser Hinsicht bewußt sein. Wer diese Pflicht erfüllt, erwirbt sich ein Verdienst um Kaiser und Reich.
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Der 1. Weltkrieg im August 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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